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Kirche - Ökumene
Ein jeder braucht den anderen
Elisa Buzzi

Javier Martinez, Erzbischof von Granada war der Impulsgeber des Theologenkongresses "Meetings for a New Beginning"

Wie entstand die Idee dieser Tagung?
Vor allem aus dem Schmerz heraus, einen großen Teil nicht nur der spanischen Kirche als Gefangene einer falschen und destruktiven Dialektik zu sehen: Die Christen, die den Sozialismus kritisieren, werden als konservativ angesehen, jene, die sich vom Liberalismus distanzieren, werden als Unterstützer des Sozialismus aufgefasst. In Wahrheit sind beide Positionen nur scheinbar Alternativen. Die Vorraussetzung beider Standpunkte ist die Verneinung der Wirklichkeit der Kirche. Es ist fast unmöglich, sich von der säkularisierten Vorstellung des Lebens, die zum langsamen Tod des christlichen Volkes führt, zu distanzieren. Viele Christen betreiben sogar die Verteidigung dieser Vorstellung mit missionarischem Eifer. Das wird sehr deutlich bei Positionen, die angeblich Ehe und Familie verteidigen wollen, dabei aber von denselben Prinzipien ausgehen, die zur Zerstörung von Ehe und Familie führen. Wie tiefgehend man sich der herrschenden Mentalität ergeben hat, zeigt sich daran, dass auch die Kritik am liberalen System normalerweise nicht aus den Reihen der christlichen Tradition kommt, die, wie es De Lubac sagte, "gerade bei denen, die davon überzeugt sind, sie zu verteidigen, so wenig bekannt ist", sondern aus dem Umfeld der säkularen Ideologien, in denen die Kultur der Aufklärung sich auflöst.

Mit diesen Fragen haben sich viele der von Ihnen geladenen Personen befasst.
Natürlich. Deswegen habe ich auch die Werke von Alasdair McIntyre, Stanley Hauerwas und seinen Schülern, Stephen Long, Daniel Bell, William Cavanaugh studiert. Ebenso die Werke der Vordenker der Radical Orthodoxy , wie John Milbank. Bei ihnen finde ich Erwägungen und Urteile zu unserer geschichtlichen Situation, ihren Ursachen und ihrer Überwindung, die ich für die Zukunft des Christentums für sehr wichtig halte. Und das gilt sowohl im katholischen als auch im protestantischen Umfeld.

Ein Treffen zwischen Katholiken und Protestanten, das klingt oft nach ökumenischem Dialog. War das auch bei dieser Tagung wesentlich?
Ich würde sagen, nein. Jedenfalls war das nicht der entscheidende Grund. Meine erste Sorge war und ist die Freiheit der Kirche, die Erfahrung der Kirche, die in mir in der Begegnung mit Don Giussani und im Leben von Comunione und Liberazione wiedererweckt wurde. Die Idee eines Neuanfangs besteht ganz und gar in der Wiederentdeckung der Bedeutung des Ereignisses von Jesus Christus und der Gemeinschaft der Kirche für das menschliche Leben in all seinen Aspekten. Das ist der Weg, den wir Christen, Katholiken und Protestanten, heute nur beschreiten können, wenn wir uns gegenseitig helfen, angefangen mit unseren unterschiedlichen Erfahrungen und im Einsatz und Gebet für unsere Einheit. So wie Stanley Hauerwas mir vor der Tagung geschrieben hat: "Vielleicht lässt Gott es zu, dass seine Kirche diese Wüste der Gegenwartskultur durchschreitet, um uns Christen zu zeigen, wie sehr wir einander brauchen."

Wie hat die Idee dieser Tagung Gestalt angenommen?
Ungefähr vor einem Jahr habe ich Stephen Long und Willian Cavanaugh kontaktiert, um die Rechte für eine spanische Übersetzung einiger Texte zu erhalten, die ich damals angefertigt hatte. Nachdem ich Stephan Long meine Erfahrungen und meine Sorgen erläutert hatte, legte er mir nahe, dass es für das Wohl der Kirche sehr wichtig sei, Personen aus dem Umfeld der Radical Orthodoxy, der Nouvelle Théologie und der post-liberalen Theologie von Hauerwas zusammenzubringen. Ich habe diesen Vorschlag als einen Fingerzeig aufgefasst, dem ich unbedingt nachkommen musste. Zusammenzukommen und gemeinsam über unsere Situation als Christen in der "Wüste" von heute zu sprechen, schien mir eine derartige Gnade zu sein, dass ich alles getan habe, was in meiner Macht stand, um das so zu ermöglichen, dass es für uns und die Kirche fruchtbar ist.