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Kirche - Ökumene
Das Wunder der Freundschaft
Elisa Buzzi

Stanley Hauerwas, Texaner mit unverwechselbarem Südstaaten-Akzent, Professor für theologische Ethik an der Duke University von Durham in North-Carolina, mag es nicht, als protestantischer Theologe bezeichnet zu werden. Man darf jedoch festhalten, dass er einer der größten lebenden amerikanischen Theologen ist. Seine post-liberale Schule, oder "narrative Theologie", die er in zahlreichen Schriften und Darlegungen erarbeitet hat, ist heute eine der meist debattierten theologischen Richtungen. Er hat die Tagung in Granada mit einem Vortrag über "Die Auflösung der Kirche" eröffnet.

Welches sind Ihrer Meinung nach die grundlegenden Ursachen dieser Auflösung?
Wenn wir über dieses Problem reden, über die Krise der Modernität, ist es ganz wichtig, sich daran zu erinnern, dass wir selbst das Problem erzeugt haben. Wir tragen die Konsequenzen eines Schwindungsprozesses, der mit der Reformation begann. Auch wenn es historisch nicht korrekt ist, das der Reformation vorausgehende Zeitalter als den Augenblick der idealen Realisierung des Christentums zu kennzeichnen - das hat es vielleicht nie gegeben -, ist doch offensichtlich, dass wir unter dem Bruch der Einheit leiden. Die Tatsache, dass für lange Zeit die Christen denken konnten, Christus nachzufolgen und gleichzeitig sich gegenseitig umzubringen, musste notwendigerweise verheerende Folgen haben. Die fürchterlichste Auswirkung dieser Situation im heutigen religiösen Bewusstsein ist die Privatisierung des Glaubens, das heißt der Verlust der Vorstellung, dass das, was ich glaube, auch wahr ist. Die Trennung von Glaube und Wahrheit ist die wichtigste Ursache der Auflösung der Kirche. Am Ende dieser Trennung steht der für das Zeitalter nach der Aufklärung typische Individualismus, der im Grunde den Verlust des Gedächtnisses bedeutet, eine Verneinung der Geschichte und der Zugehörigkeit zu einem Volk als entscheidendes Element der Selbstbestimmung.

In welchem Sinn kann man also von einer Verkürzung des Christentums sprechen?
Wenn ich mir ansehe, was heute aus dem Protestantismus geworden ist, vor allem in Amerika, drängt sich mir förmlich der Gedanke auf: Gott ist dabei, den Protestantismus zu beseitigen! Mit anderen Worten, man kann sicher sagen, dass das Christentums verkürzt wird, und zwar im Sinne einer "Agnostisierung des Christentums". Dabei geht der Sinn für den Glauben, als etwas, das uns vermittelt wird, etwas, das wir durch Zeugen erhalten und das in der Gemeinschaft der Kirche konkret lebt, verloren. Macht man das Christentum immer agnostischer, dann wird es immer mehr auf eine Erkenntnis reduziert, die auf eine Veränderung des Lebens, also auf die Begegnung mit Christus in der Kirche, verzichten kann. Das ist ein Verlust des wirklichen Sinnes der Auserwählung als Handeln Gottes in der Geschichte. In dieser Situation hat die Kirche das Vertrauen in ihre Sprache verloren. Sie hat sich zurückgezogen und ist nicht mehr in der Lage, die menschliche Wirklichkeit in all ihren Dimensionen, von der Wissenschaft zur Politik, zu prägen und zu erkennen.

Sie haben es als wichtige Aufgabe für die Kirche bezeichnet, sich der Realität anzunehmen, und von der christlichen Freundschaft als konkrete Möglichkeit dieses Annehmens gesprochen.
Die Freundschaft ist zunächst einmal eine Übereinstimmung im Urteil, nicht etwas Abstraktes. Das Urteil ist eine Form des Lebens, das heißt weise in den Besonderheiten zu sein. Es ist ein Wunder, dass wir, die wir aus so unterschiedlichen Umfeldern stammen, hier übereinstimmen können. Das ist nur möglich, weil wir in gewisser Weise in dem einen Leben der Kirche verwurzelt sind. Wie ist es möglich, dass ein Texaner wie ich diese Übereinstimmung im Urteil mit dem Erzbischof von Granada habe? Das ist unmöglich! Die Freundschaft ist eine Einheit, die in geheimnisvoller Weise im Leben präsent wird und in einem gemeinsamen Urteil Ausdruck findet, und das ist das Werk des Heiligen Geistes.