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Briefe
Briefe April 2006
Zusammengestellt von Paola Bergamini

Unterstützung aus der Ferne
Ich arbeite in der Zentrale der AVSI. Neulich beeindruckten mich beim Lesen des Briefwechsels mit unseren Mitarbeitern vor Ort zwei Nachrichten ganz besonders. Eine kam aus Bulgarien und berichtete, wie einige Kinder eines Waisenhauses um die Taufe gebeten hatten. Die Katholiken, die man gebeten hatte, Taufpaten zu sein, wollten daraufhin prüfen, ob die Kinder sich auch bewusst waren, was es bedeutet, die Taufe zu empfangen. Die Kinder wussten es natürlich nicht. Darauf fragten jene die Kinder, warum sie um die Taufe gebeten hätten, und die Kinder antworteten: «Weil wir gesehen haben, dass ihr echte Christen seid, und wir wollen Paten wie euch haben.» Das Zeugnis ist nie eine kluge Rede, sondern geschieht, wenn jemand von einem anderen sagen kann: Ich möchte so sein wie du. Die andere Nachricht kam aus Ecuador und berichtete, dass Eltern, deren Kinder an einem Erziehungsprogramm teilnehmen, das Seminar der Gemeinschaft begonnen haben. Viele der Teilnehmer müssen im Morgengrauen aufstehen, um pünktlich um 8.30 Uhr da zu sein. Beeindruckt hat mich die Geschichte der Mutter eines kleinen Mädchens, Gisella, die um Mitternacht aus dem Haus geht und sieben Kilometer im Dunkeln zu Fuß zurücklegt, um das erste Dorf zu erreichen, wo um zwei Uhr nachts ein Fahrzeug vorbeikommt, das sie zu dem Ort bringt, wo das Treffen stattfindet.
Edda

Floras Ankunft
Liebe Freunde, wir möchten euch mitteilen, dass Flora zu unserer Familie hinzugekommen ist. Sie ist derzeit Pflegekind. Wir möchten sie adoptieren, sobald das Gesetz es uns ermöglicht. Flora ist 21 Monate alt, HIV-positiv und wiegt 5,5 Kilo. Dahinter steht folgende Geschichte. Eines Tages war zufällig mein Mann Andrea am Meeting Point, und eine betrunkene Großmutter drückte ihm das Kind in die Arme. Ich stand kurz vor der Geburt, und so war es für mich undenkbar, das Kind mit nach Hause zu nehmen. Aber in jenem Moment war ein Beginn gesetzt. Ein paar Monate später sagte Andrea zu mir: «Gio, wir haben von Jesus mit unseren beiden Kindern, Filippo und Letizia, schon so viel bekommen. Ich habe das Gefühl, dass wir das Gute erwidern und daher Flora bei uns aufnehmen sollten.» Ich war blass erstaunt. Anfangs war ich widerwillig wegen ihrer Erkrankung an Aids und der hohen Wahrscheinlichkeit, dass sie sterben werde. Dann erkannte ich klar und deutlich, dass darin für mich ein Gut und ein «Mehr» liegt. Also sagte ich einfach ja. Flora mag noch 6 Monate oder 60 Jahre leben. Und wenn sie lebt, haben wir eine große erzieherische Verantwortung. Bei Kindern ist AIDS absolut unvorhersehbar. Wir werden bei ihr sein, für die Zeit, die Gott in seiner Güte vorgesehen hat.
Giorgia und Andrea, Hoima (Uganda)

Mitglied der Compagnia delle Opere
Als mir vorgeschlagen wurde, mich beim Verband Compagnia delle Opere einzuschreiben, beschloss ich, Mitglied zu werden. Ich ging allerdings davon aus, dass dies ohnehin nicht lange dauern würde. Eines Tages rief ich an: «Ich bräuchte einen persönlichen Kredit.» Nach drei Tagen schicke ich dem Verband alle nötigen Dokumente. Ich bekam einen Anruf: «Wenn Sie am Mittwoch kommen, kann der Verantwortliche das Formular unterschreiben!» Ich kam spät und begann, den verschiedenen Themen zuzuhören. Ich hörte von konkreter Hilfe für Personen in Not, von Subsidiarität und von der Medikamenten- und der Lebensmittelbank. Je länger ich zuhörte, desto mehr fiel mir auf, dass diese Leute nicht vom Menschen als Zielgruppe oder Marktsegment sprachen. Ich hatte noch nie in dieser Weise von Barmherzigkeit sprechen hören. Am Ende der Begegnung traf ich einen Freund aus Studienzeiten, mit dem ich ein paar Jahre Erfahrung bei CL geteilt hatte. Ich fragte ihn: «Gehörst du denn immer noch dazu?» «Klar!» «Was macht ihr sonst noch?» « Zum Beispiel das Seminar der Gemeinschaft über Giussanis Buch Warum die Kirche?» «Für mich hat das Thema CL in dem Moment aufgehört, als ich nicht mehr regelmäßig in Ancona war, aber in diesen paar Minuten habe ich mich wie zu Hause gefühlt.» Ich kam in einem sonderbaren Rausch nach Hause. Plötzlich zog mein ganzes Leben an meinen Augen vorüber. Ich hielt es für ein vorübergehendes Gefühl, da das Leben etwas anderes sei. Dann geschah es, dass ich in eine Buchhandlung ging, um ein Buch zu kaufen. Ich war auf der Suche nach etwas, das mich zerstreute. Irgendwann fiel der Blick auf einen Einband: Warum die Kirche? Ich kaufte es. Am Tag danach begann ich es zu lesen, aber gleich die ersten Zeilen verwiesen mich auf zwei vorausgehende Texte, von denen einer der Religiöse Sinn war. Ich erinnerte mich an jenen Text. Es war aus-gerechnet jener, den ich während der Jahre an der Uni absolut nervig fand. Ich entdeckte ihn auf dem Dachboden, zusammen mit Barabbas und dem Stundenbuch. Tatsache ist, dass ich während des Sommers diesen Text verschlang. So sehr, dass ich in kürzester Zeit einige Gedichte von Leopardi auswendig lernte, die Giussani zitiert. Ich begann, mit den Leuten der Compagnia delle Opere das Seminar der Gemeinschaft zu machen, und ihre Gesichter sind für mich von größter Bedeutung. Ich habe ein ereignisreiches Leben geführt, mit glücklichen und sehr traurigen Begebenheiten. Ich versuchte, mich gut zu benehmen in der Familie, an meinem Arbeits-platz und gegenüber den Freunden. Aber was die Pausen meines Lebens begleitete, was oft meine Gedanken beherrschte, war die Sehnsucht, meinem Dasein Vollendung zu verleihen. Aber das Schöne an all dem ist, dass du es nicht merkst, während du dich in so einer Erfahrung bewegst. Du nimmst die stärkste und nächstgelegene christliche Erfahrung als selbstverständlich hin. Das hätte für mich die meines Onkels sein können, der als Don-Orione-Priester Missionar in Brasilien war. Oder die meines Vaters, der 30 Jahre lang an den Christentumskursen teilnahm. Jetzt denke ich mehr als gewöhnlich daran, wie viel Liebe und christliche Barmherzigkeit mein Vater bis in die letzten Tage seines Lebens geschenkt hat und welch ein Glaubenszeugnis er mir hinterlassen hat. Die Begegnung mit dem christlichen Ereignis bewirkt, dass ich ihn jetzt näher fühle als je zuvor.
Adriano

Von Kindern lernen
Ein Gymnasiast, der an einem Schüleraustausch in New York teilnimmt, schreibt seinem Vater Folgendes. Hallo Papa, ich möchte dir kurz mitteilen, wie es hier läuft. Wir haben die Weiße Rose gesehen. Das ist ein wirklich guter Film, und weißt du, was wir dann beschlossen haben? Wir möchten ein Flugblatt darüber schreiben, wie man in der Schule frei sein kann. Wir wollen uns Gehör verschaffen und die Leute wissen lassen, wer wir sind. Wir wollen nicht gleichgültig gegenüber der Lage in der Schule bleiben, wie Schüler, die sich auf Schlafen und Noten beschränken. Bald findet hier der Kreuzweg statt und auch dazu haben wir Plakate vorbereitet und 20 davon mit zur Schule genommen . Der Rektor gab uns grünes Licht, sie aufzuhängen. Wir bildeten zwei Teams: Pat Duffy und ich sowie Tommi und Mattia. Wir haben die ganze Schule damit tapeziert. Es ist der Wahnsinn, dass das Charisma von Don Gius selbst diese Schule in Staten Island erreicht. Am Freitag haben wir dasselbe mit allen anderen Schülern der Bewegung von Brooklyn getan. Wir waren in Teams eingeteilt und gingen von Geschäft zu Geschäft, um zu fragen, ob wir die Plakate aufhängen durften. Viele waren einverstanden, sogar einige Muslime. Wir hatten keine Angst und waren auch nicht schüchtern. Denn wenn man etwas in Angriff nimmt und daran denkt, was für eine Begegnung man gemacht hat, an die Gesichter der Menschen, die man getroffen hat, wenn einem bewusst ist, warum man das macht und ausgehend von der Freundschaft alles neu beurteilt, dann hat man am Ende vor nichts mehr Angst. Man hat die Gewissheit, dass das, was man lebt, wahr ist. Es ist kein Gefühl, sondern etwas, was man am eigenen Leib erlebt. Es war so, als würde man in New York mit einem Mega-Team von 20.000 Leuten herumlaufen.
Andrea, New York

Julias Versprechen
Lieber Don Julián. Seit einigen Jahren folge ich der Erfahrung der Graals-Ritter (bei uns heißen sie Ritter d`El Cid). Dieses Jahr, unmittelbar nach dem Versprechen, wurde ein Mädchen meiner Gruppe mit dem Tod ihrer Mutter konfrontiert. Bei Schulbeginn nach den Weihnachtsferien beschlossen wir, Benedikt XVI. zu schreiben. Hier der Brief von Julia: «Eure Heiligkeit. Ich heiße Julia und gehe in die zweite Klasse der Mittelschule. Seit dem Gestus des Versprechens gehöre ich zu den Rittern d´El Cid. Zunächst war ich mir nicht bewusst, wohin ich da ging. Es wurde mir vor etwa einem Monat klar, als meine Mutter starb. Meine Freunde von den Rittern haben mich unterstützt, und es wurde mir klar, dass wir Teil einer großen Familie sind und uns gegenseitig helfen. Ich dachte, dass Gott mir eine schwere Bestimmung ohne Sinn auferlegt hat, aber dank meiner Freunde und Lehrer habe ich den wahren Sinn des Lebens entdeckt. Mein heiliger Schutzpatron ist San Patrizio. Er hilft mir täglich, voranzugehen. In meinen Gebeten vertraue ich mich ihm an. Das Versprechen hat uns zu dem Weg geführt, wo alles durch die Gegenwart Jesu Christi und durch jene meiner Freunde und Lehrer einfacher wird. Wir treffen uns täglich vor dem Unterricht im Flur, um gemeinsam das Gebet der Ritter zu beten, in dem wir Christus bitten, uns auf seinem Weg zu führen. Das Versprechen ist eines der besten Dinge, die ich je gemacht habe».
Luisa, Seveso

Liebst du mich?
19 Jahre nach unserer standesamtlichen Hochzeit haben mein Mann und ich am 22. September 2005 kirchlich geheiratet. Es freut mich zu sagen, dass wir nun zum Volk Don Giussanis gehören. Wir haben dieses «Liebst du mich?» nicht richtig gehört, auch wenn da etwas Anderes in uns war, ist, sein wird. Wir begriffen nicht, wir hörten nicht, so waren wir uns selbst genug. Und nun nach 40 Jahren hat uns diese Gnade getroffen, eigentlich möchte ich lieber «überwältigt» sagen, und die Freude über dieses unerwartete, nicht erbetene Staunen ist unglaublich. Uns wurde Liebe geschenkt und wir haben, ohne darum gebeten zu haben, eine Fülle davon erhalten. Die Gottesmutter hat uns Christus offenbart, und nun lieben wir Ihn im Licht der Sonne, nicht wie zwei untreue Verliebte, sondern wie zwei in Gott geeinte Verlobte in den Augen aller. Ein außergewöhnliches Ereignis! Wer weiß, was der Herr uns noch bereitet, welche Dinge zum Hundertfachen uns erwarten.
Claudia, Brescia

Der Stand von Crema
Lieber Don Carrón. Ich bin ein sehbehindertes Mädchen und nehme seit Februar 1998 am Leben der Gemeinschaft in Crema teil. Ich folgte dabei den zahlreichen drängenden Einladungen meines Freundes Pierluigi, der ebenfalls sehbehindert ist. Ich wehrte mich, obwohl ich ahnte, dass sein Vorschlag interessant war. Mein Zaudern vor einer entschiedenen Zustimmung war in Wirklichkeit ein Alibi. Es waren Vorwände, um das Leben nicht zu wagen, das ich heute überzeugt und ruhig als unsere Geschichte bezeichnen kann. Eine Geschichte, zu der innerhalb der letzten zwei Jahre nun fünf sehbehinderte Freunde in der Bewegung zählen. Letztes Jahr fragte mich unser Freund und Leiter unserer CL-Schulgruppe: «Und, Simona, wann und wo machst du deinen Stand?» Ich muss zugeben, dass ich nicht gedacht hatte, solche Verantwortung zu übernehmen. Ich dachte auch nicht, dass ich als Sehbehinderte darüber nachdenken müsste, Christus durch Stände in der Gegend bekannt zu machen, etwa anderen Sehbehinderten oder nicht behinderten Freunden. So ließ ich mir von einigen Freunden helfen. Waren wir letztes Jahr etwa 50, so sind wir nunmehr bereits rund 60. Dabei war es für uns alle von besonderer Bedeutung, dass auch unsere Eltern und Verwandten daran teilnahmen.
Simona, Izano