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Kirche - Karol & Josef
Mit Leidenschaft für den Menschen aus Leidenschaft für Christus
Massimo Camisasca

Du bist Petrus.
Das lange Pontifikat Johannes Paul II. und der Neuanfang Benedikt XVI. Beide kennzeichnet eine Leidenschaft für den Menschen aufgrund ihrer Leidenschaft für Christus. Er ist Zentrum des Kosmos und der Geschichte.

Der Übergang von einem Papst zum anderen ist stets ein bedeutungsvoller Moment in der Kirchengeschichte. Für einige Tage ist man wie überflutet von einer Welle des vorhergegangenen Pontifikats und man weiß nicht, wer es wie fortsetzen wird.
Mir kommen die Stunden wieder in den Sinn, die unmittelbar dem Tod von Johannes Paul I. folgten. Jenseits der Dramatik dieses Endes, das nach einem so kurzen Pontifikat kam, fragte ich mich: Wer könnte es fortsetzen?
In der Tat markierte diese Zeit, trotz ihrer Kürze, eine enorme Neuheit.
Die langen Jahre des Pontifikats Paul VI. waren gerade zu Ende gegangen. Montini war ein großer Verteidiger des Glaubens in schwierigen, ja dramatischen Tagen. Mit den Beerdigungsfeierlichkeiten für Aldo Moro vor leerem Sarg - ohne den Leichnam des Staatsmannes, der ehemals Präsident der katholischen Studentenschaft war, - fanden sie ihren Höhepunkt.
Der Monat Johannes Paul I. war gekennzeichnet durch den Verzicht auf den pluralis maiestatis und die Abschaffung des Tragesessels, vor allem aber durch die Frische und Freudigkeit seiner Auftritte und seines Lächelns. Alles ließ an eine epochale Zäsur denken, auch und gerade weil er dem Wesen des Christentums so treu war und frei von jedem Formalismus. Ebenso wegen seiner Haltung: «Das wahre Drama der Kirche, die sich als modern definiert, ist der Versuch, das Staunen vor dem Ereignis Christi mit Regeln einzugrenzen.»

Eines der längsten Pontifikate
Nach ihm wurde uns Johannes Paul II. geschenkt. Sein Pontifikat war ein langes, besser gesagt, ein sehr langes. Es gehört zu den ausgedehntesten der Geschichte. Ein Pontifikat, das man in den nächsten Jahrzehnten noch ausgiebig erforschen und deuten wird.
Von außen betrachtet war an ihm alles von Rekorden geprägt: vor allem die Zahl der Reisen, die ihn in fast alle Länder der Erde geführt haben; auch in jene, wo die Tore wegen linker oder rechter Diktaturen verschlossen schienen. Man denke nur an die Begegnungen mit Pinochet oder mit Fidel Castro. Dann die Anzahl der von ihm gehaltenen Reden, die Zahl der Audienzen, der öffentlichen Auftritte und seine Medienpräsenz. So dürfte Johannes Paul II. wohl zum meist gesehenen Menschen der Welt geworden sein.
Ohne Vergleich mit anderen Pontifikaten ist die Anzahl der Enzykliken, Briefe, Botschaften und nachkonziliärer Dokumente. Wie seine Biographen dokumentiert haben, umfassen sie eine Seitenanzahl, die annähernd an die der Dokumente aller ihm vorausgegangen Päpste heranreicht. Die Größe Johannes Paul II. lässt sich aber auf keine dieser Rekorde zurückführen. Am Ursprung seiner Leidenschaft, seines Elans und Sprechens steht ein verborgener Kern, der sich zutiefst in den Jahren seiner Krankheit offenbart hat. Sie sind ein wesentlicher Schlüssel zum Verständnis seines gesamten übrigen Lebens. Dieser verborgene Kern ist die Liebe zur Kirche. Bereits aus den ersten Seiten von Redemptor hominis geht klar hervor, dass Johannes Paul II. die Aufgabe auf sich lasten spürte, die Kirche über die Schwelle des Jahres 2000 zu bringen. Diese dient als wichtige Metapher, um die Notwendigkeit zu zeigen, die Kirche zur Begegnung mit den Menschen zu führen. Dieser verborgene Kern führte ihn zu den Aufsehen erregendsten Gesten seines Pontifikats: Die Anerkennung und das Bündnis mit den kirchlichen Bewegungen, die Bitten um Vergebung für die Fehler und die Schuld der Christen in den vergangenen Jahrhunderten, bis hin zu den Gebetstreffen mit den Vertretern der übrigen Weltreligionen. Für Johannes Paul II. waren diese Initiativen Ausdruck einer einzigen großen Linie, die die Stellung der Kirche als das Zentrum der Welt umreißen sollte. Und sie begann für ihn stets bei der menschlichen Person und seiner Begegnung mit Dem, den er als Zentrum des Kosmos und der Geschichte bezeichnete.

Die Gefechte Papst Wojtylas
Die mehr als 20-jährige Zusammenarbeit zwischen Kardinal Joseph Ratzinger, dem Präfekten der Glaubenskongregation und Johannes Paul II. war eine schon lange zurückreichende Vorbereitung für seine Nachfolge. Die bedeutungsvolleren Dokumente Ratzingers während dieser Jahre haben die «Gefechte» des Papstes Wojty?a mitgetragen. Ich denke an die klarstellenden Dokumente über die Befreiungstheologie, zur Einzigartigkeit Jesu als Erlöser, zur Verteidigung des Zölibates und des werdenden Lebens. Doch kommt vor allem in der langen Arbeit an dem von einer Bischofssynode beschlossenen neuen Katechismus das Thema der Kontinuität zwischen beiden Pontifikaten zum Vorschein.
Papst Benedikt XVI. fand so ein Erbe ein vor, - sicherlich gegen seinen Willen und vielleicht auch gegen seine Zukunftsvorstellungen -, das jeden hätte erzittern lassen. Es verpflichtete den Nachfolger Petri in jedem Augenblick des Tages, an die Wurzeln seiner Sendung zu gehen und jeden oberflächlichen Vergleich mit den eigenen Vorgängern zu vermeiden. Ein Vergleich für den Papst ist in der Tat nur mit Dem möglich, der zu ihm sagt: «Du bist Petrus».
Verständlicherweise hat Benedikt XVI. eine neue Linie gewählt, um seine unvermeindliche Andersartigkeit gegenüber Johannes Paul II. zu zeigen und zugleich einen Weg zu eröffnen, die Kontinuität zu verstehen. Er wollte sich nicht von einer Abfolge anstrengender Reisen binden lassen, aber gleichzeitig auch nicht mit der Tradition brechen, die Paul VI. eingeführt hatte. So sind die großen Gelegenheiten entstanden, die ihn nach Bari zum eucharistischen Kongress und nach Köln zum Weltjugendtag geführt haben und bald auch nach Polen und in andere Länder. Wie Paul VI. entschied er sich, seine Reisen mit für das Leben der Kirche zeichenhaften Ereignissen zu verbinden. Benedikt XVI. wollte auch die Zahl der Audienzen verringern. Und dennoch, seine Botschaften fehlen nicht und sie sind ohne Zweifel immer ein Ereignis.

Ein Mann des Geistes
In den Texten ist das spezifisch Filigrane seines Denkens zu erkennen. Benedikt XVI. bringt in die Führung der Kirche, das galt schon für die Leitung der Glaubenskongregation, seine Erfahrung als Lehrer und als großer Denker mit. Er hat das Bedürfnis, zu lesen, sich zu informieren, zu reflektieren, und gerade das gibt jeder seiner Reden ein eigenes Gewicht. Er weiß auf absolut einzigartige Weise, Einfachheit mit Tiefe zu verbinden. In jedem Text erkennt man das große Verlangen, den Kern des Christentums auszudrücken, dieses wesentliche und unauslöschliche Zentrum, durch das sich das Geheimnis dem Menschen zuwendet. So war es mit seiner ersten Enzyklika, so mit seinen Predigten in Köln, und so erwarten wir es uns auch für die vielen kommenden Botschaften, wie zum Beispiel jene, die er Anfang Juni den Bewegungen und den kirchlichen Gemeinschaften bei ihrem Treffen in Rom auf den Weg geben wird. Er hat den Wunsch, dem Menschen die befreiende Mitte des Glaubens zu offenbaren; jene Verheißung, die aus dem Christentum nicht eine Last, eine Fessel oder einen einfachen Blick ins Jenseits macht, sondern eine Erfahrung, die schon jetzt in dieser Zeit möglich ist: die barmherzige Umarmung Christi, das Heil für den ganzen Menschen.

Derselbe Herr
«Der Wille Gottes mag uns anfangs wie eine beinahe unerträgliche Last erscheinen, wie ein Joch, das zu tragen unmöglich ist, aber in Wirklichkeit ist Gottes Wille keine Last, sondern verleiht uns Flügel, so dass wir hoch fliegen können», sagte Benedikt XVI. bei einer seiner ersten Ansprachen.
So wie das Pontifikat Johannes Paul II. wegen seiner Ausdehnung eindrucksvoll war, dieses von Benedikt XVI. beeindruckt durch seine Dichte. Wie das Herz beim Schlagen sich ausdehnt und zusammenzieht, so lebt die Kirche diesen Übergang des Jahrtausends und zeigt ihre Kontinuität eben durch einen unterschiedlichen Ausdruck des einzigen und identischen Herrn. Dies ist sicherlich einer der überraschenden und für den Gläubigen wundersamen Aspekte des Lebens des Leibes Christi in der Geschichte.