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Thema - 20 Jahre Gemeinschaft der Werke
Eine Genossenschaft von Fischern
Paola Bergamini

Die Compagnia delle Opere (CdO - Gemeinschaft der Werke) entstand 1986 als Netzwerk von Initiativen unter dem Motto «Mehr Gesellschaft, weniger Staat» und der Leitidee der Subsidiarität.
Vom Ich zur Freundschaft, die Werke hervorbringt: So entstand die Compagnia delle Opere. Ihr Ausgangspunkt ist kein soziales Projekt, es sind die konkreten Bedürfnisse des Menschen, die Bedürfnisse des Herzens. Giorgio Vittadini erzählt, wie das Abenteuer begann.

Via Torino 68, 5. Etage. Von den Fenstern der Stiftung für die Subsidiarität erkennt man die Säulen von San Lorenzo und die Fialen des Mailänder Doms. «Giorgio, der Ausblick in der Via Copernico war etwas anders, nicht wahr?» Er lacht. In der Via Torino war damals der Sitz des Movimento Populare, einer politisch engagierten katholischen Bewegung, aus der auch die Compagnia delle Opere hervorging. Vittadini gehörte zu den Gründern der CdO und war von 1990 bis 2003 ihr Präsident. In diesem Jahr feiert sie ihr 20-jahriges Bestehen. Doch Vittadini winkt ab: «Lassen wir die Jubiläen, das Bilanzziehen und erst recht das Triumphgeschrei beiseite!» Fangen wir mit einem programmatischen Satz an, den Don Giussani Ihnen mit auf den Weg gab: «Hilf allem, was ist, zu existieren.» Die grundlegende Frage dahinter ist folgende: Damals wie auch heute sagte man uns, es sei unmöglich, die Gesamtheit des Glaubens und der eigenen Menschlichkeit in allen Aspekten des Lebens zu leben. Das war Ende der 70er Jahre. Für mich und meine Freunde hatte aber die Art von Leben, die wir mit Don Giussani kennen lernten, mit allem zu tun. Diese Gesamtheit des Lebens war schon teilweise konkret sichtbar. Ich denke an Radio Supermilano, die Theatergruppe Gli Incamminati, die Wochenzeitung Il Sabato, die Solidaritäts- und Kultur-Zentren, die Entwicklungshilfeorganisation AVSI, die ersten Genossenschaften des Südens. Das waren Beispiele, wie die Sehnsucht des Herzens mit allem zu tun haben kann, wenn sie mit der Realität zusammentrifft. Aber der eigentliche Ausgangspunkt war die Rede von Don Giussani in Assago. In welchem Sinne? Er stellte das Ich ins Zentrum. Ihm kam es nicht auf Sozialprojekte an. Er kritisierte jene von uns, die daran dachten, was wir im sozialen Bereich bewirken könnten. Und er verwarf diese Position als ideologisch. Statt dessen machte er das Ich, die Freundschaft, die Beziehungen, die Qualität des Lebens unter uns, das «Wie geht es Dir?» zum Thema. Wie hat er das konkret gemacht? Er hat es in zwei Weisen vorgelebt. Erstens, indem er lehrte, den religiösen Sinn und den Glauben zu leben und darüber zu reden. Zweitens, indem er das Zusammenleben zwischen Personen förderte, die einem Kriterium folgten, das auch nach 40 Jahren noch lebendig ist. Die einzig wahre Befreiung ist eine Befreiung, die man sofort erlebt und die sich in Beziehungen ausdrückt, die mit den Bedürfnissen des Herzens übereinstimmen. Das sind Versuche, sie haben aber die ganze Welt als Horizont. Das Problem besteht in der Qualität des Lebens unter uns. Zum Beispiel in der Tatsache, dass man in einer Gruppe von Freunden die Liebe lebt, die aus einem Urteil erwächst. Das ist eine neue Art von Freundschaft. Besteht aber nicht die Gefahr der Abstraktion? Anders gesagt, wann wird das zu einer Ideologie? Wenn es keine Erfahrung ist. Wenn es nicht gelebt wird, das heißt, wenn es keine sofortige Erfahrung der Freiheit bedeutet. Das habe ich in jenen Jahren sofort begriffen. Es war eine Freundschaft, die meinem Herzen entsprach, die Ausgangspunkt für ein Urteil über alles war und die von niemandem verurteilt wurde. Aber Vorsicht! Das heißt nicht, dass es keine Fehler gab. Es wurden viele Fehler gemacht, aber es war eine Erfahrung, die dem Menschen so sehr entsprach, dass sie ein Kriterium für alles wurde. Jesus Christus hat mit allem zu tun, denn ich erfahre das gerade in dieser Freundschaft. Viele meinten hingegen, CL solle nur den theoretisch-religiösen Hintergrund abgeben, die Intellektuellen sollten dann den Gedanken umformulieren, um damit schließlich in die Gesellschaft zu gehen. Das hat uns nicht gepasst. Deswegen wurde uns vorgeworfen, auch innerhalb der Bewegung, übertrieben lebendig zu sein. Kehren wir noch einmal zur Freundschaft zurück, die mir ein grundlegender Punkt auf diesem Weg zu sein scheint. In den kurzen Unterredungen, die ich mit Guissani führen durfte, hat er mir wiederholt zwei Dinge als wesentlich genannt: das Gebet und die Freundschaft. Nach einigen Treffen, die wir als Universitätsabgänger damals mit ihm hatten, warf er uns sogar einmal vor, dass uns die Freundschaft völlig egal sei. «Ihr kommt hierher, um mich zu hören, aber dann, im Konkreten, bedeutet der andere nichts für euch.» Worauf bezog er sich? Auf die Fischergenossenschaft! Eine wahre Freundschaft umfasst alles und schließt die Realität ein. Ihr kommt es auf das Konkrete an. So wie bei den Aposteln. Das Christentum, sagte er uns, ist als Fischergenossenschaft entstanden. Freunde, die zusammen Protagonisten in der Wirklichkeit wurden. Indem etwas erbaut, erschaffen wurde. Aber es wurde doch etwas aufgebaut, die Werke? Gewiss. Wir sind beim dritten Schritt. Eine Bewegung muss in der Realität Folgen haben, das heißt, Werke hervorbringen und nicht Ideologien. Aber Vorsicht: Sie macht die Werke nicht selbst, sondern sie erzieht Personen, die eine wirkmächtige Freundschaft leben und dabei eigenen Initiativgeist entwickeln. Diese Leute, die ihre Talente nicht in der Erde vergraben, gestalten dann aktiv die Wirklichkeit. Sicherlich kommt es dabei auch zu Fehlern. Denn das Risiko liegt immer beim «Ich», bei einem erwachsenen und freien Ich, nicht bei der Organisation oder Institution. Die CdO ist aber eine Organisation! Darauf komme ich gleich zu sprechen. Um all das zu machen, muss ein reifes Ich sich organisieren. Wenn du eine Initiative nicht organisierst, dann wird sie nicht bestehen bleiben. Aber welche Herausforderung hat Don Giussani uns gestellt, bei der zugleich jede denkbare Form von Ideologie demontiert wird? Er stellte die Frage: Bist du in der Lage, in der Organisation lebendig, ihr aber nicht hörig zu sein? Anders gesagt: Bist du in der Lage, arm zu bleiben, auch wenn du mit viel Geld umgehst? Denn das Werk gehört dem Ich, nicht der Organisation. In seiner Rede in Assago sprach Giussani von Realismus und Umsicht ... Das bedeutet, du sollst dem helfen, der in der Lage ist, ein Werk voranzubringen; einem anderen aber, wenn nötig vorschlagen, über den Abbruch einer Initiative nachzudenken. Es kommt darauf an, auf Stabilität zu setzen. «Realismus und Umsicht» soll heißen, jedes Unternehmen, jedes Projekt muss von Menschen geschultert werden, die dazu auch die Möglichkeiten besitzen müssen. Niemand soll denken, dass er allein in der Lage ist, die Probleme von allen zu lösen. Was wollte die CdO in diesen Jahren nach Ihrer persönlichen Erfahrung mitteilen? Die CdO ließ mich entdecken, dass der Glaube ein Gehorsam gegenüber den Umständen ist und dass daraus die Kreativität entspringt. Was meine Beziehung zu Giussani betrifft, so beruhte sie immer auf einer operativen Erfahrung. Wenn ich ihm von den verschiedenen Initiativen und Veranstaltungen erzählte, war er begeistert, er machte Bemerkungen zu den praktischen Aspekten und am Ende, als wir uns verabschiedeten, sagte er mir: «Hast du daran gedacht, das vor die Gottesmutter zu tragen? Sonst ist es nichts wert.» Später habe ich begriffen, dass er Recht hatte. Der Gehorsam gegenüber den Umständen war der Gehorsam Jemanden gegenüber, der etwas Derartiges gewollt hat. Und wer war gehorsamer als die Gottesmutter? Dann gibt es noch eine andere Sache, die mir geholfen hat. Für Giussani war ich eine Art «Stellenvermittler» für Menschen, die in Schwierigkeiten waren, keine Arbeit hatten. Ich tat alles Mögliche, um hier zu helfen. Er hakte nach, rief an und wollte wissen, was los ist. Nun denn, wenn ich es für Giussani tat, warum nicht für die anderen? Diese ihm eigene Vorgehensweise hat die CdO dazu genötigt, konkret zu bleiben, den Ball flach zu halten. Es geht nicht um vorgefertigte Ideen, sondern darum, auf die Bedürfnisse, die sich nach und nach präsentieren, eine Antwort zu geben. Damit eng verbunden ist die Wahrnehmung der Unangemessenheit deines Wirkens. Du kannst nicht die Dinge messen, die du gemacht hast, bestenfalls die Bedürfnisse des Menschen in der Gesellschaft. Giussani gegenüber reichte es nicht, zu sagen: «Schau mal, was ich gemacht habe». Der Blick geht viel weiter. Und es geht jeden Tag von vorne los. Das ist die Herausforderung. Die letzte Frage gilt dem Namen der Stiftung; woher der Begriff Subsidiarität? Genau aus dem Satz, den du am Anfang zitiert hast: Jeder soll leben und sich konkret ausdrücken können. Das ist ein Konzept, das die ganze Gesellschaft betrifft, nicht nur den Wohlfahrtsstaat, sondern auch eine bestimmte Art von Unternehmertum. Heute ist das Wort Subsidiarität eine Erfahrung, die nach und nach zum Schlüsselbegriff für die Politik und den Staatsaufbau wird. Davon ausgehend habe ich entschieden, mich der Stiftung für die Subsidiarität zu widmen, um wirksame und konkrete Antworten gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Fragen zu entwickeln: Wir tun dies gemeinsam mit Medienvertretern, Akademikern und Fachleuten unterschiedlicher Fachrichtung und Herkunft. Was sie alle eint, ist der Wunsch, das Gemeinwohl zu fördern.