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Thema
In dem Land von Andreas
Camille Eid

Die Türkei, das Land, in dem viele der Apostel gepredigt und die ersten Kirchenväter gelebt haben

Man kann die Türkei nach dem Heiligen Land als die zweite Wiege des Christentums betrachten. Denn wie könnte man vergessen, dass sich dort viele der Apostel, angefangen bei Paulus bis hin zu Johannes und Philippus lange Zeit aufgehalten und gepredigt haben? Dass dort Schriften entstanden sind, wie das Evangelium und die Apokalypse? Wie könnte man vergessen, dass in Kleinasien, der heutigen Türkei, die ersten Kirchenkonzile stattgefunden haben? Dass dort die christlichen Gemeinschaften der Epheser, der Galater und der Kolosser angesiedelt waren, an die viele der neutestamentarischen Briefe adressiert sind? Wie könnten Namen wie Antiochia, Konstantinopel, Ephesus, Edessa, Tarsus, Nizea und dann Kappedonien, Lydien und Panfilien nicht den ganzen Glanz des christlichen, byzantinischen und syrischen Orients und die Erinnerungen, die sie bewahren, hervorrufen? Und in der Tat in Kappedozien, das in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts floriert, ist die erste Generation der Kirchenväter angesiedelt: Gregorius von Nissa, Basilius aus Cesarea, Gregorius aus Nizea, Evagrius aus Pontus und andere. Cesarea in Kappedozien (dem gegenwärtigen Kaysari), ist das Zentrum der Ausbreitung des Christentums in dem Land und sein Einfluss erstreckt sich bis nach Armenien. Aber, auf der Ebene der kirchlichen Organisation rutscht die Kirche Kleinasiens langsam unter die Kontrolle von Byzanz, dessen Autorität die anderen christlichen Zentren verdrängt.
Tief getroffen durch die Krise der Bildstürmerei erfährt die Ortskirche im 11. Jahrhundert die Türkeninvasionen, bewahrt aber – wie Marco Polo bezeugt – bis zum Ende des 14. Jahrhunderts die Überzahl. Von der Situation unter der Herrschaft der Ottomanen ist uns zumindest zu Beginn eine gute Einfügung der Christen in die Gesellschaft überliefert. Das Reich ist zu kräftig, um den Abfall mancher Gruppen oder Minderheiten nicht zu verkraften. Erst später beginnt diese Haltung zu schwinden. Die Christen, die in den gro?en Städten wohnen, sind Händler und Handwerker, haben aber in keinem Bereich eine Monopolstellung inne. Diejenigen, die in ländlichen Gebieten wohnen sind raya: Sie haben hohe steuerliche Lasten zu tragen und sind zahlreichen Einschränkungen unterworfen. Viele der jüngeren Christen werden ihren Verwandten grausam entrissen, um die Reihen der Janitschar, der prätorianischen Wache, aufzufüllen. Eine Art der Einberufung, die den wahren Albtraum der christlichen Gemeinschaften darstellte.
Durch die Gunst des Sieges von Lepanto und Wien fordern die europäischen Staaten Kapitulationserklärungen ein, in denen der Schutz der christlichen Minderheiten durch Klausel verbürgt ist. Frankreich fordert Rechte bezüglich des Schutzes der Katholiken, Russland bezüglich der Orthodoxen. Die christlichen Gemeinschaften erscheinen so in den Augen der muslimischen Bevölkerung als Vorhut ausländischer Interessen. Die Tragödien lassen nicht auf sich warten und führen zu der beinahe vollkommenen Auslöschung der jahrhundertealten christlichen Präsenz. Auch wenn die christliche Bevölkerung Istanbuls diesem Schicksal aufgrund der Erinnerung an die Hauptstadt der Orthodoxie entgeht, erfährt die Metropole einen ständigen Schwund an Gläubigen: 135.000 im Jahr 1927, 86.000 im Jahr 1965, heute nur noch 70.000. Weit davon entfernt, die letzten Überlebenden der Minderheiten zu beruhigen, führt die Laizität des Staates dazu, ihre Unsicherheit zu verstärken und sie so zur Emigration zu drängen.