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Jubiläum - Mozart
Ein verborgener Mozart - hinter der Maske
Enrico Raggi

Er war ein unscheinbarer Mann, ein kleiner, einsamer Mensch. Er wusste es, aber scherte sich nicht darum. Ihm genügte die Schönheit, die seine Leere füllte. In seinem Briefwechsel enthüllt der Komponist seine tiefsten Gemütsregungen.

Es gibt einen wenig bekannten Mozart, der unzufrieden und ernst, von einer düsteren Stimmung geplagt und mit einem starken religiösen Sinn beseelt ist. Dieser Mozart wird wohl in den Veranstaltungen anlässlich seines 250. Geburtstages nicht erscheinen. Es ist schwierig, ihn bei der Lektüre seines Briefwechsels zu entdecken. Vor allem, weil die Briefe Mozarts ein Sumpf sind, aus dem man nicht herauskommen kann. Wolfgang trägt ständig verschiedene Masken, passt dem jeweiligen Ansprechpartner seinen Stil an. Er ändert seine Ausdrucksweise für die jeweiligen Ziele, die er erreichen will. Er ist ein hervorragender Theaterschauspieler, sowohl auf der Bühne als auch im Leben.
Wenn er an den Vater schreibt, dann nimmt er einen ernsten, gemäßigten Ton an, er klingt wie ein braves, wohlerzogenes und frommes Kind. «Für eine längere Zeit, auch vor der Ehe, sind Constanze und ich zur Heiligen Messe, zur Beichte und Kommunion gegangen und ich habe gemerkt, dass ich nie so inbrünstig gebetet habe und so fromm gebeichtet habe wie, wenn sie bei mir war. Auch für sie war es dasselbe. In einem Wort: Wir sind füreinander gemacht.»
Zu denen, die ihm Geld leihen sollten, wird er flehentlich, demütig, formal. Der Brief klingt wie ein vorgetragenes Stück mit Klavierbegleitung. Er spielt überall: Er mag Schimpfwörter, schreibt die Wörter von rechts nach links, unterbricht sie in der Mitte, wechselt ihre Reihenfolge, erfindet Namen, kodierte Sätze und Abkürzungen.

Ein verschönertes Bild
Nach seinem Tod wurden viele Briefe von seiner Frau Constanze zerrissen, um ein Bild von ihm als «ewiger Knabe» zu erzeugen. Ein verschönertes, sauberes und vollkommenes Bild. Deswegen sind die übrig gebliebenen Briefe voller Streichungen.
Weitere Briefe wurden später erfunden. Der berühmte Brief vom September 1791 an Lorenzo Da Ponte existiert einfach nicht («Ich habe nun nichts zu befürchten, da die Stunde geschlagen ist, an der ich bald sterben werde. Das Ende ist gekommen, bevor ich meine Gaben genießen konnte. Das Leben war ja schön, die Karriere fing glücklich an, aber man kann das eigene Schicksal nicht ändern. Niemand kann die eigenen Tage berechnen. Man muss sich der Vorsehung ergeben: Es wird so sein, wie es ihr gefällt. Es ist Schluss, das ist mein Trauerlied. Ich darf es nicht unvollkommen lassen.»). Niemand hat je diesen Brief je im Original gesehen und er wurde über die Jahrhunderte von einer unbekannten Quelle überliefert.
Wir wissen auch nie, ob Mozart in seinen Briefen etwas vortäuscht oder die Wahrheit sagt. Kaum jemand hat so viel geschrieben wie er, und kaum jemand versteckt sich so sehr hinter einem Wortschwall wie er.
Mozart gehört zum Kreis der Stillen. Je mehr er schreibt, desto weniger kommt man ihm bei.

Eine gewisse Leere
Trotzdem scheint sein Herz zwischen den Zeilen, unmerklich, im Murmeln und unter einer Menge oberflächlicher Beobachtungen auf. So schrieb er seiner Frau am 7. Juli 1791: «Ich kann Dir meine Empfindung nicht erklären, es ist eine gewisse Leere - die mir halt wehe tut, - ein gewisses Sehnen, welches nie befriediget wird, folglich nie aufhört - immer fortdauert, ja von Tag zu Tag wächst; - wenn ich denke, wie lustig und kindisch wir in Baaden beysammen waren - und welch traurige, langweilige Stunden ich hier verlebe - es freuet mich auch meine Arbeit nicht ... Basta!»
Die Behauptung Wolfgangs, die Musik genüge ihm nicht, ist absolut umwerfend ... Hier kommt ein Mozart ans Licht, der sich mit Don Giovanni völlig identifiziert: Je mehr er glaubt, das Leben zu fassen, desto stärker wird sein Durst danach. Je mehr Frauen er erobert, desto kräftiger spürt er seine Einsamkeit. Mozart wusste, dass er eine Gabe erhalten hatte: die Musik, eine Gabe, die die Leere eines normalen, faden und absolut banalen Lebens erfüllte. So beschreibt er seinen Alltag: «Den 27.ten in der halb acht uhr Mess oder so was, dann beym Lodron oder so was, aber nicht bey den Mayrischen, sondern zu Hause geblieben. Nachmittag gleich zur der gräfin Wicka, trisett oder so was gespielt. ? vormittag geregnet. Nachmittag schön Wetter geworden. O Wetter! O worden! o schön! O Nachmittag. o regen. o vormittag».

Ein von Gott geschenktes Talent
Die Biographen, die ihn persönlich kannten, beschreiben ihn als unscheinbaren kleinen Mann, als einen einsamen, stillen Menschen. Er war sich dessen bewusst und scherte sich nicht darum. Ihm genügte es, dass das ihm von Gott gewährte Talent Frucht bringt. Ihm genügte es, den Schmerzen und die Jubel, die Gewissheit, die Mühe des Lebens, die Zückungen des Herzens und die Zauberkraft der Seele so wie niemand vorher tun konnte, beschreiben zu können. Mozart ereignet sich, dringt ein, bricht dorthin ein, wo die Technik versagt: ins Sein, in den Tod, in den Menschen gegenüber dem Unendlichen. Mozart beobachtete und beschreibt das Menschliche sehr treu: Er spürt, dass es in der Wirklichkeit etwas gibt, was uns anzieht und sucht unablässig danach. Seine Musik entflammt unseren Wunsch nach Leben und Schönheit. Mozart bejaht immer etwas anderes als ihn. Er beschreibt nur das, was er gesehen hat. Er erschafft nichts. Er pflegt das, was es gibt: Die Treue eines Dieners (Leporello), die Zärtlichkeit des Blickes einer verliebten Frau (ob im Agnus Dei der Krönungsmesse oder bei der Gräfin der Hochzeit des Figaro ist in dieser Hinsicht das gleiche), das Geheimnis der Fleischwerdung (im K 427). Die Schönheit hat ihn nie beängstigt oder verlegen gemacht. Er spürte dabei kein Unbehagen, weil er ihr gegenüber unwürdig oder gar unmoralisch war, oder weil er sie nie verdient hätte (der Biograph schreibt diesbezüglich: «Mozart war voller Widersprüchlichkeiten und menschlicher Grenzen»). Er suchte immer nach der Schönheit. Und als er sie fand und erkannte, verließ er sie nie mehr: Das Gesicht (und die Stimme!) der Frauen, die in seinen Theaterspielen sehr zahlreich sind, die erschreckende Majestät des Allmächtigen, das Lebensfieber und der Wissensdurst in der Zauberflöte.
Beim Hören seiner Musik bringt uns Mozart dazu, Christus und die Gottesmutter zu lieben auf eine Weise, wie es seit Jahrhunderten nicht der Fall war. Die von ihm komponierte Musik ist die Bitte des guten Schächers, die Behauptung des Zenturios, der liebevolle Blick der Samariterin und die Träne der Magdalena: Es sind Personen, die nicht von ihren Grenzen bestimmt sind, sondern sich ganz und gar dem Außergewöhnlichen anvertrauen, das ihnen begegnet ist.