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Verfolgung in der Welt
Die Märtyrer des dritten Jahrtausends
Giancarlo Gioielli

Über 600 Missionare bezeugten in den vergangenen 15 Jahren auf allen Kontinenten ihre Liebe zu Christus und den Menschen mit dem eigenen Blut. Die Verfolgungen finden zumeist im Schatten der Weltöffentlichkeit statt. Die Missionspatres Bernardo Cervellera und Piero Gheddo sowie Don Andrea Pacini und Attilio Tamburini berichten von den zumeist unbekannten Märtyrern des dritten Jahrtausends.

Die Märtyrer des dritten Jahrtausends kommen aus Europa, Asien, Afrika und Südamerika. Sie sprechen bekannte und weitgehend unbekannte Sprachen und werden von den Medien zumeist nicht wahrgenommen. Kaum jemand tritt öffentlich für sie ein, obgleich ihre Zahl sehr hoch ist.
Die Verfolgung findet in allen Teilen der Welt statt. In Europa ist vor allem der Balkan betroffen. In Bosnien nimmt der islamische Fundamentalismus zu und im Kosovo wurden nach dem so genannten Friedensschluss in den letzten fünf Jahren Hunderte der christlich-orthodoxen Kirchen zerstört, die 500 Jahre ottomanischer Herrschaft überstanden hatten. Ferner ist an Albanien zu erinnern. Bis vor 15 Jahren war es hier verboten, den Namen Gottes im Mund zu führen, die Kirchen wurden im besten Fall zu Museen des Atheismus umgestaltet, Priester und Ordensleute gingen in den Untergrund oder wurden inhaftiert.

Amerika, Afrika und Asien
In den Ländern Südamerikas riskieren Christen, Laien wie Priester, nach wie vor ihr Leben, wenn sie sich der Gewalt der Drogenbarone und den Übergriffen auf die Ärmsten der Armen widersetzen. In dem von Leid gezeichneten schwarzen Kontinent ist vor allem der Sudan betroffen. In der Krisenprovinz Darfur aber auch im Südsudan geht der Krieg weiter. In den Gebieten, wo Erdöl entdeckt wurde, flüchten Christen weiterhin aus Angst vor Verfolgung, Repressalien oder Entführungen durch die Paramilitärs, die mit der islamischen Regierung im Norden des Landes zusammenarbeiten. Die im Norden gültige Scharia, das Gesetz des Korans, will man auch dem weitgehend christlichen Süden aufzwingen und der dort vor einem Jahr vereinbarte Friedensschluss erweist sich zunehmend als unzureichend. In Uganda wiederum rekrutiert die «Lord's Resistance Army» (LRA) weiterhin brutal Kindersoldaten und hat den katholischen Missionen den Krieg erklärt, weil diese sich bemühen, die entführten und zum Kampf gezwungenen Minderjährigen zu retten. In Nigeria gab es in jüngster Zeit bei blutigen Auseinandersetzungen um die Einführung der Scharia in verschiedenen nördlichen Bundesstaaten über 12.000 Tote. Ein großer Teil von ihnen waren Christen. Das islamische Gesetz ist inzwischen in zwölf Staaten des Landes gültig.
Auch in Asien wird weiterhin der christliche Glaube unterdrückt. So kann es geschehen, dass etwa in Saudi-Arabien 40 zum Gebet versammelte Christen verhaftet werden. Im Land der «heiligen Erde des Islam», Dar al Islam, darf keine Messe gefeiert und kein Kreuz ausgestellt werden. Die nicht-islamischen Länder gelten den Fundamentalisten wiederum als «Haus des Krieges» gegen die Ungläubigen. Im überwiegend muslimischen Pakistan herrscht weiter das Antiblasphemiegesetz und fordert seine Opfer. Laut Gesetz wird schon das Aussprechen eines Glaubensbekenntnisses, das die heilige Inspiration des Korans und des Propheten in Frage stellt, mit dem Tode bestraft - mit anderen Worten, wehe dem, der sich öffentlich als Christ bekennt. In Sri Lanka greifen hingegen buddhistische Extremisten christliche Kirchen an, und in Indien tun es Hindufanatiker ihnen gleich. Aber nicht nur der religiöse Fundamentalismus hat dem Christentum den Kampf erklärt. Auch den kommunistischen und totalitären Regime ist ein Bekenntnis zu Gott, das sich nicht menschlicher Macht beugt, unerträglich. Nordkorea erlaubt einzig den pseudo-religiösen Diktatorenkult für Kim Jong Il und seinen Vater. Wer gläubig ist, muss dies anmelden und unterliegt Schikanen. In 50 Jahren Herrschaft sind 300.000 Christen verschwunden, darunter praktisch alle Priester und Ordensschwestern.

China: widersprüchliche Situation
Das augenfälligste Beispiel ist aber China. Dort wurden erst vor wenigen Wochen 16 Schwestern von einem wilden Mob brutal zusammengeschlagen, weil sie eine katholische Schule gegen den Abriss verteidigten. Die Polizei schritt nicht ein. Im November wurden sechs Priester der romtreuen katholischen Kirche verhaftet. Sie gehören zur so genannten Untergrundkirche, die als gefährliche Sekte betrachtet wird. Demgegenüber gibt es in China eine «offizielle Kirche». Sie ist an die Regierung gebunden, die wiederum ihre Bischöfe ernennt und die Predigten kontrolliert. Eine widersprüchliche Situation, in der selbst die Oberhirten verunsichert sind. So lehnte es etwa der Bischof der offiziellen Kirche von Schanghai, Monsignore Tin, ab, nach 27 Jahren im Gefängnis ins Exil in ein westliches Land zu gehen, und akzeptierte eine dem Regime untergeordnete Rolle, um wenigstens eine eingeschränkte Seelsorge weiterzuführen. Denn unter der Bevölkerung zeigt sich ein tiefes Bedürfnis nach Glauben. Pater Bernardo Cervellera, Missionar des Päpstlichen Instituts für die Auslandsmission (PIME) und Direktor der Nachrichtenagentur Asia News, der sein Leben zwischen China und dem Mittleren Osten verbracht hat, ist einer der wenigen Leute, die es sich unter erheblichen persönlichen Risiken zur Aufgabe gemacht haben, zu bezeugen, was in jenen Ländern geschieht. Nach seiner Einschätzung «ist China heute der Ort größten Leidens, wo die Verfolgung der Christen und der katholischen Kirche am augenfälligsten offenbar wird. Die physische Gewalt der Behörden gegen Priester, Ordensschwestern und Bischöfe ist unglaublich hoch. Jegliche religiöse Regung wird beständig erstickt und die Zahl der Märtyrer ist extrem hoch. Die rund 15 Millionen Katholiken und 80 Millionen Christen leben unter der Furcht, dass ihnen Häuser und Felder genommen und sie selbst entführt werden. Den Bischöfen wurde nicht gestattet, an der Synode über die Eucharistie teilzunehmen, wo es sicher nicht um Politik und verweigerte Demokratie ging, sondern allein um das Sakrament der Eucharistie: Sie haben Angst vor einem gewandelten Stück Brot!»
Zwei Bischöfe von Baudin sind seit sieben Jahren verschwunden, sitzen im Gefängnis oder wurden vielleicht schon ermordet. Über ihren Verbleib wissen nicht einmal die Angehörigen etwas. Die italienische Regierung sowie einige Abgeordnete setzen sich für sie ein und verlangen Informationen. Der Vatikan hat sich unterdessen bereit erklärt, diplomatische Beziehungen aufzunehmen, fordert aber nachdrücklich die bis heute verweigerte Religionsfreiheit ein.
Und doch hat man im Westen den Eindruck, China sei ein bedingt demokratisches Land und habe den Kommunismus überwunden. Die geschieht allerdings einzig und allein aus Wirtschaftsinteressen und dem Glauben, dass schon allein der Kapitalismus Freiheit bedeutet. Cervellera geht allerdings davon aus, dass, wenn die Religionsfreiheit nicht kommt, auch die westlichen Unternehmer, die heute von der Begierde der Märkte angezogen sind, zu Opfern derselben Verfolgung werden, die heute die Christen trifft. Teilweise geschehe dies bereits: «Fabriken werden enteignet, Verträge gebrochen, Maschinen konfisziert, und die Korruption ufert aus.»

Neue Bekehrungen
Pater Piero Gheddo, Missionar, Schriftsteller und Journalist, gehörte zu den wenigen und ersten, die in den 70er und 80er Jahren das Martyrium der Christen in Südostasien beklagten, in all jenen Ländern, die vom Vietcong und den Roten Khmer «befreit» worden waren: «Die Andersheit der Christen erregt überall Anstoß», sagt Pater Gheddo. «Es gibt Orte, wo die Verfolgung offensichtlich, augenfällig ist wie in China oder Vietnam; andere Orte, wo die Religionsfreiheit verweigert oder beschränkt wird, wie in Saudi-Arabien, und schließlich Orte, wo man vergisst, was seit Jahren fortwährend geschieht, wie im Sudan. Ferner gibt es Länder, in denen die Verfolgung nicht so sehr von der Regierung ausgeht, sondern von muslimischen Fundamentalisten, die die Massen gegen die Christen aufhetzen und Missionare erschlagen lassen. Letzteres ist der Fall in Indonesien, auf den Philippinen, auf den Molukken.» So geschah es in den 90er Jahren in Osttimor, wo 300.000 Christen fliehen mussten, bevor die UNO einschritt. Das war mehr als ein Drittel der Bevölkerung, welche die Unabhängigkeit vom muslimischen Indonesien wollte, das die ehemalige portugiesische Kolonie annektiert hatte. Paradoxerweise behindert die Verfolgung nicht die Bekehrung, im Gegenteil. Genau wie in den ersten Jahrhunderten des Christentums. «In den christlichen Dörfern  lebt man anders, menschlicher, und die Leute merken das», berichtet Pater Gheddo, der mit 77 Jahren im Begriff ist, nach Afrika aufzubrechen. «In den christlichen Schulen werden alle aufgenommen, und alle haben die Möglichkeit eines würdigeren Lebens. Kein Zweifel, dass der Christ seinen Glauben unvollkommen lebt. Wir sind alle voller Widersprüche, wir sind alle Sünder ? und doch gibt es etwas Größeres, was sich mitteilt. Es ist nicht so sehr die Predigt, sondern vielmehr das andersartige Leben, das durch das Evangelium verkündet wird. Und das ist es, was bei dem islamischen Fundamentalisten ebenso Anstoß erregt wie bei der kommunistischen Regierung: dieses andersartige Leben.»

Folgenschwere Kurzsichtigkeit des Westens
Don Andrea Pacini, Direktor des Edoardo-Agnelli-Zentrums für vergleichende Religionsstudien, ist besorgt über die Folgen der Gewalt für die Integrationsprozesse auf der Nordhalbkugel. «Man sollte nicht verallgemeinern, aber es ist wahr, dass es in der muslimische Welt eine Neigung gibt, der Religionsfreiheit Grenzen zu setzen. Es gibt Situationen, wo im Rahmen einer Hierarchie immerhin Kultfreiheit gewährleistet ist. Andere Länder verweigern sogar die Messefeier. Saudi-Arabien ist ein drastisches Beispiel. Tatsache ist, dass die Situation lange Zeit nicht zur Kenntnis genommen wurde, wohl nicht zuletzt aus Wirtschaftsinteressen. Es sind aber gerade die reformorientierten muslimischen Intellektuellen, die uns diese Kurzsichtigkeit vorhalten. Die Verteidigung der Werte wurde verdunkelt von einem strategisch-militärischen und wirtschaftlichen Bündnis. Schließlich muss man auf die Lage in Iran und Pakistan hinweisen. Leider zeigen die Medien nur ein geringes Interesse an der Religionsfreiheit. Wir sollten sie aber als Lackmustest für die Achtung aller Grundfreiheiten und der Menschenrechte verstehen. Ich sehe die Gefahr, dass der Fundamentalismus in muslimischen Ländern und die Verweigerung der religiösen Freiheiten einen Schatten auf die Beziehungen unter den verschiedenen Kulturen und Religionen in der westlichen Welt wirft, besonders dort, wo die Einwanderungsquote hoch ist. Schließlich wird der Muslim als solcher als Gefahr angesehen, und man unterscheidet nicht mehr zwischen Fundamentalismus und gemäßigtem Islam, der ja seinerseits zum Opfer der Integralisten wird. Es handelt sich um eine internationale Frage, die in Angriff genommen werden muss. Beispielsweise sollte die Europäische Union sich dieser Themen annehmen. Mit Osteuropa hat das funktioniert: Hilfen im Austausch gegen Liberalisierung und Achtung der Menschenrechte. Ich sehe durchaus, dass die Situation anders war. Aber die Lockerung der Daumenschrauben der Diktatur brachte vielen Ländern die Freiheit.»

Die Universalität der Kirche
Jedes Jahr veröffentlicht Attilio Tamburini, der Direktor von Kirche in Not, einen wertvollen Bericht über den Stand der Religionsfreiheit in aller Welt. «Es gibt Augenblicke, wo die Verfolgung in einigen Gegenden mehr Aufmerksamkeit erfährt; andere werden weniger beachtet. In Indonesien ist der islamische Fundamentalismus auf dem Vormarsch, in China würde ich von einer strukturellen Verfolgung sprechen, denn der Wille dazu geht dort von der Regierung aus. Das Motiv ist überall dasselbe wie zu allen Zeiten: Der Christ ist frei. Nach seiner Vorstellung ist der Mensch einmalig, unwiederholbar und nicht durch die Macht zu beherrschen. Der Christ gehorcht einem Herren, der nicht von dieser Welt ist. In Bezug auf die katholische Kirche erregt besonders ihre Universalität Anstoß. Daher versuchen die Regierungen, Nationalkirchen zu schaffen, in denen die Gläubigen der Macht allein gegenüberstehen und daher leichter manipulierbar sind. Die christliche Auffassung vom Menschen hat dazu geführt, dass in Indien die Bildungseinrichtungen allen gleichermaßen offen stehen. Ein Paria kann ein Diplom erlangen, und das erregt in einer Gesellschaft, die von Kasten geprägt ist, Anstoß. Daher begegnen die katholischen Schulen und Universitäten enormen Schwierigkeiten. Von Seiten der lokalen Machthaber werden sie behindert, und einige von ihnen wurden sogar zerstört und niedergebrannt. Die italienische Regierung unternimmt etwas, aber sie könnte mehr tun. Die einzige Regierung, die mit Entschiedenheit vorgeht, sind die Vereinigten Staaten, was daran liegt, dass in den USA das Gespür für die Religionsfreiheit tief im Volk verwurzelt ist. Bei uns gibt es kaum ein öffentliches Interesse dafür. Zuerst müsste sich doch etwas auf kirchlicher Ebene bewegen. Wenn ich Vorträge zu diesem Thema halte, fragt man mich: Warum hat man uns das nie gesagt? Zuerst kommt die Information. Johannes Paul II. hat sich mit Klarheit dazu geäußert ebenso Benedikt XVI. und auch Kardinal Camillo Ruini. Das Problem ist hingegen die kirchliche Basis. Je weiter man zur Basis kommt, desto mehr schwindet das Gespür. Ich habe gesehen, wie Katholiken gegen die Vollstreckung der tausendsten Todesstrafe in den USA demonstrieren. Gut. Aber was ist mit den Katholiken, die in der ganzen Welt getötet werden? Eine gute Initiative wäre ein Tag für die leidende Kirche. In der Apostelgeschichte steht, dass die ganze Kirche für Petrus betet, als er gefangen genommen wird. Was tun wir heute für die verfolgten Christen?»

Das dritte Geheimnis von Fatima
Nach Expertenangaben leben über 250 Millionen Christen wegen ihres Glaubens unter Gefahr. Jährlich werden rund 160 000 Opfer von Gewalt und zwar sowohl einfache Gläubige als auch Priester und Ordensleute. Allein in den vergangenen 15 Jahren kamen über 600 Missionare ums Leben. Dennoch, und das ist das Beeindruckendste, steigt die Zahl der Konversionen, je stärker die Verfolgung wird. Aus den Ländern der Märtyrer kommen nicht nur Nachrichten von Folter und Gewalt, sondern zugleich unglaubliche Zeugnisse der Treue zur Kirche. Und gleichzeitig erhöht sich die Zahl der Berufungen. So auch in Hebei in China, wo die Gewalt gegen Katholiken am erbittertsten ist und 70 Priester im Untergrund arbeiten und 140 Theologiestudenten das Untergrundseminar der Kirche besuchen. Johannes Paul II. ahnte dies in prophetischer Weise am 13. Mai des Jahres 1981, an dem Tag, als er von dem Geschoss von Ali Agca getroffen wurde. Es geht um das dritte Geheimnis von Fatima, das am Beginn des neuen Jahrtausends veröffentlicht wurde: Eine lange Spur von Märtyrern, angeführt von einem weiß gekleideten Bischof, auch er ein Märtyrer, nährt mit ihrem Blut die Kirche Gottes.