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Editorial
«Wer glaubt, ist nicht allein»
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Wir alle wissen es: Einsam kann ich auch dann sein, wenn ich von Unmengen anderer Menschen umgeben bin. Einsamkeit hängt zusammen mit dem Verlust des Lebenssinnes, mit dem Verlust des Geschmacks am Leben, mit dem Eindruck, ohnmächtig zu sein; eine Ohnmacht, die sich speist aus der Erfahrung, dass ich in mir eine Erwartung trage, der nichts in der Wirklichkeit zu entsprechen vermag, deren Erfüllung ich mir nicht kaufen und in keiner rein menschlichen Beziehung erwerben kann. Eine Einsamkeit, die meisterhaft dargestellt wird in Orwells Filmklassiker Citizen Kane. Dieser unendlich reiche Mann, der sich alles kaufen kann, sich mit allem umgibt, was er begehrt, dessen Unruhe davon aber nicht gestillt und dessen Einsamkeit offenbar wird, weil er sich die Liebe nicht kaufen kann, die Begleitung eines anderen Menschen, die Zuneigung des Herzens, den Sinn seines Lebens. Und so stirbt er einsam und verlassen, nachdem ihn seine Frau verlassen hat, inmitten all seines Reichtums. Er musste erfahren, dass Macht, Geld, Luxus nicht die Lösung in sich tragen, sondern die Einsamkeit nur noch zuspitzen.
Auch die Fußballweltmeisterschaft vermochte die Einsamkeit nur in dem Maße aufzuheben, in dem der Fußball vorübergehend zum gemeinsamen Sinn der Zeit, des Lebens wurde. In ihr fand die tiefe Sehnsucht nach Harmonie und menschlicher Einheit eine Ausdrucksform. Spätestens mit Endspiel war es damit vorbei - für manche schon früher. Der Alltag hat es wieder, das ganze Land. Was kann da der Glaube ausrichten? Wie kann er die Einsamkeit aufheben? Wie kann er mich befreien? Wie vermag er Gemeinschaft zu stiften?
Die Gemeinschaft, die der Glaube stiftet, ist nicht die Übereinkunft zwischen Menschen, die sich auf ein Set von Dogmen und Meinungen einigen; sie liegt im Gegenteil in der persönlichen Anziehungskraft des Einzigen, der der Sinn, der Weg, Wahrheit und Leben ist. Die Jünger machten diese interessante, faszinierende Entdeckung: Jeder von ihnen nahm die menschliche Anziehungskraft dieses Jesus wahr. Ihm nicht zu folgen, wäre Verrat am eigenen Herzen gewesen. Und dann fanden sie sich wieder angesichts der anderen, denen es ebenso ging. Johannes, Andreas, Simon... Sie hatten einander nicht gewählt, sondern Er hatte sie angezogen, und das hatte sie zusammen geführt. Der Grund ihres Zusammenseins war die Anziehungskraft dieses Einen, die Verheißung, die ihr Herz verspürte, wenn sie mit ihm zusammen waren.
Nur dort, wo dies heute wieder geschieht, wo diese Anziehungskraft heute wirkt, wo Er uns heute in sich hinein zieht, ist der Glaube lebendig, die Einsamkeit überwunden: das ist die Kirche, das sind die kirchlichen Gemeinschaften. Seine Gegenwart unter uns.
Der Papst drückte dies so aus: «Jesus - und durch ihn Gott selbst - kommt zu uns und zieht uns in sich hinein. (...) "Der Geist weht, wo er will" (Joh 3, 8). Der Wille des Geistes aber ist nicht Willkür. Er ist der Wille der Wahrheit und des Guten. Deshalb weht er nicht irgendwo und dreht sich nicht einmal hierhin und einmal dorthin; sein Hauch treibt uns nicht auseinander, sondern er führt uns zusammen - weil die Wahrheit eint, und weil die Liebe eint. (...) Er vereint uns so sehr, dass der heilige Paulus einmal sagen konnte: "Ihr alle seid einer in Christus Jesus" (Gal 3, 28). Der Heilige Geist treibt uns mit seinem Hauch hin zu Christus. Der Heilige Geist wirkt "körperlich"; er wirkt nicht nur subjektiv, "geistlich". Zu den Jüngern, die ihn nur für einen "Geist" hielten, sagte der auferstandene Christus: "Ich bin es selbst. Fasst mich doch an und begreift: ein einfacher Geist, ein Gespenst, hat kein Fleisch und keine Knochen, wie ihr es bei mir seht" (vgl. Lk 24, 39). Das gilt für den auferstandenen Christus in jeder Epoche der Geschichte. Er ist kein Gespenst. Er ist nicht einfach nur ein Geist, ein Gedanke, eine bloße Idee. Er ist der Fleischgewordene geblieben - der, der unser Fleisch angenommen hat -, und er fährt immer fort, seinen Leib zu errichten, er macht aus uns seinen Leib. Der Geist weht, wo er will, und sein Wille ist die Leib gewordene Einheit - die Einheit, die der Welt begegnet und sie umformt.» Wer glaubt, ist nicht allein, weil er erstaunt entdeckt, von Ihm angezogen worden zu sein und durch diese Anziehungskraft mit denen zusammen einen Leib zu bilden, die ebenfalls dieser Anziehungskraft begegnet sind. Kein moralischer Appell, kein noch so gut gemeinter Aufruf zur Einheit kann das erreichen, denn ich entdecke, dass ich selbst auf dem Spiel stehe; wenn diese Einheit verletzt ist, merkt man es an dem tiefen Schmerz, den diese Verletzung im eigenen Herzen hervorruft und einen drängt, diese Einheit wieder zu erlangen, von Ihm zu erflehen. Um der eigenen Person willen. Denn wer diese Einheit verliert, verliert sich selbst, wer ihr gehorcht, gewinnt das Leben.
Der Papst ist nicht nur eine der größten moralischen und intellektuellen Autoritäten der Gegenwart, er ist als Nachfolger Petri Garant dieser Einheit, nach der wir alle uns sehnen. Daher ist es für jeden von Interesse, an seinem Besuch im September teilzuhaben.