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Unternehmer - Interviews
Dienen ist großartig
Mario Molteni

Im Rahmen der Berichte über die Welt der Unternehmer geht es diesmal um Tivigest, eine Unternehmergruppe, die vor 30 Jahren in der Tourismusbranche ins Leben gerufen wurde. Heute beschäftigt sie 2 500 Menschen und zählt auch den Wohnungsbau sowie Dienstleistungen etwa in der Bildung zu ihren Aufgaben.

Die Abenteuer der Tivigestgruppe, auch bekannt unter dem Namen Sacchetti, begannen in Padua mit einer Gruppe von Freunden, die gerade ihr Studium abgeschlossen hatten. Heute ist Tivigest in ganz Italien präsent. Spuren sprach mit dem Leiter der Gruppe, Graziano Debellini.

Wie hat alles angefangen?
Wenn ich an den Anfang zurückdenke, fallen mir drei Dinge ein. Erstens, dass niemand von uns damals Kapital hatte oder ein eigenes Unternehmen besaß. Die Armut kennzeichnet klar den Anfang unserer Geschichte. Zweitens, dass wir alle Politikwissenschaft oder etwas Ähnliches studiert und damit eine recht unspezifische Berufsausbildung erworben hatten. Und drittens, dass alles, was in diesen Jahren geschehen ist, ganz und gar der Vorsehung zu verdanken ist und ungeplant war. Wir waren arm, aber reich durch eine Begegnung, die wir gemacht hatten: Es ging uns nicht darum, ein Unternehmen aufzubauen, sondern allein darum, für unsere Familien «die nötigen Brötchen zu verdienen». Doch Don Giussani sagte uns einmal, dass die Freundschaft unter unseren Familien das seltene Merkmal aufweise, Werke um sich herum entstehen zu lassen.
Als die Studienzeit vorüber war, fürchtete ich, dass die Freundschaft, die mir in der Bewegung zu teil wurde, ein Ende finden könnte. Doch Don Gius sagte zu mir: «Nein, nein, lass uns darüber reden und du wirst sehen, dass etwas daraus entstehen wird». So bahnte sich seine faszinierende Persönlichkeit mit Macht einen Weg hinein in unseren Freundeskreis. Das war der Ursprung von allem. Als er uns dann auf einer Versammlung - der Équipe von 1976 - sagte, dass es nicht auf unsere Projekte ankomme, sondern dass man die Gegenwart in den Blick nehmen müsse, war uns allen klar, dass ein Anderer uns zusammengeführt hatte. 1979 folgte der nächste entscheidende Schritt: Don Giussani besuchte uns im Hotel Palatini in Pieve di Cadore, das wir gerade übernommen hatten. Es waren unsere ersten Gehversuche. Gegen Mitternacht sagte er zu mir: «Ich bleibe heute über Nacht». Und als wir ins Zimmer gingen, ergänzte er: «Wenn du die Ferien der Bewegung mit einem Werk unterstützen könntest - so etwas wäre genau jetzt wichtig, es wäre wichtig, dass wir anders aufgenommen und untergebracht würden - dann garantiere ich dir die volle Unterstützung durch die Bewegung». Aus vollem Herzen sagte ich ihm diese Unterstützung zu. Und seither begleitete er uns treu. Fast 25 Jahre lang verbrachte er jeden Sommer viel Zeit mit uns auf den Ferien und diversen anderen Versammlungen der Bewegung. Auch bei unserer Arbeit hat er uns begleitet. Ich habe entdeckt, wie er die Personen bei ihrer Arbeit beobachtete und immer auf Details achtete. Einmal sagte er mir, wie ich unsere Mitarbeiter anweisen sollte: «Denk an die Aufmerksamkeit, die ihr den einzelnen Personen entgegenbringt, wenn ihr sie bedient: Ihr dürft nie eine Gruppe bedienen, bedient jede Person einzeln. Ein andermal sagte er: «Sollten wir heute zehn Minuten länger brauchen, dann sprich bitte mit dem Personal, denn es täte mir wirklich sehr Leid, sie warten zu lassen.» Die Arbeit, die wir tun, erfordert oft viel Demut: waschen, Dinge vorbereiten und wieder vorbereiten, Tische abräumen, Zimmer reinigen. In all dem hat uns Don Giussani immer begleitet und gezeigt, dass es etwas Großartiges ist zu dienen. Mir fallen dazu Gesichter ein, große und kleine Entdeckungen, Weingläser oder die Freude über ein geglücktes Gericht. Einmal hatte ich Giussani bei den Internationalen Ferien einen außergewöhnlichen Barolowein kredenzt, es war ein einzigartiger Jahrgang! Er aber war an diesem Tag von ganz anderen Dingen in Beschlag genommen. Doch drei Tage später kam er zu mir und sagte: «Aber den Barolo, den du mir neulich eingeschenkt hast (dass es ein Barolo war, hatte ich ihm gar nicht gesagt), so einen Wein hast du mir in all den Jahren noch nicht geboten. Wo hast du den her, woher kommt der?» Ich könnte viele solcher Geschichten erzählen.

Was ist der Grund für die steile Entwicklung der letzten Jahre?
Wir haben gelernt, Begegnungen und Personen in den Mittelpunkt zu stellen. Zum Beispiel: Ein junger Freund kam vom Studium aus Frankreich mit der Idee zurück, etwas im Energiesektor zu unternehmen. Daran hätte ich nie und nimmer gedacht. Wir haben ihn aber trotzdem unterstützt und mit der Zeit wurde das Unternehmen, das heute mehr als 40 Ingenieure beschäftigt, zu einem bedeutsamen Akteur in der Branche. Ein Schlüsselwort bei uns lautet: Mitverantwortung. Es ist uns völlig fremd, jemanden mit etwas zu beauftragen und ihm zu sagen: «Mach das und das und am Ende diskutieren wir das Ergebnis.» Nein, denn die Art und Weise, wie du deine Verantwortung wahrnimmst, prägt zutiefst auch deine eigene Beziehung zu dir selbst. Ich lege keinen Haushalt fest und sage: «Bring mir das und das nach Hause und dann mach', was du willst.» Denn das «Wie» ist entscheidend! Diese Arbeitseinstellung trägt sicher mit zu unserem Erfolg bei. Auch aus diesem Grund haben viele, die bei uns arbeiten, eine berufliche Heimat und Erfüllung gefunden. Im Laufe der Zeit haben wir unserer Genossenschaft die klassische Form einer Holding gegeben. Im Bereich Tourismus trage ich zusammen mit zwei anderen die unmittelbare Verant-wortung. In den anderen Bereichen führen wir unser Unternehmen anders: Wir schaffen Raum für unternehmerische Initiativen. Meine Rolle entspricht der eines Mittelfeldspielers, der dadurch ins Spiel kommt, dass er sich anbietet. Was uns dazu bringt, ist die Geschichte unserer Zugehörigkeit. Anders könnten wir uns nicht anbieten, wir wären nur Nummern, die kein Spiel bestimmen.

Wie geht ihr mit den Gütern um?
Wir haben unsere Güter immer beisammen gehalten und konnten so aus dem Nichts und unserer Arbeitskraft heraus Kapital schaffen, ein Firmensitz kam dazu ... Und wenn wir jenen Mann, der zu uns zu Besuch kam im Laufe der Zeit auch tausend Mal betrogen oder enttäuscht haben, den Anfang unserer Beziehung zu ihm haben wir nie vergessen. Deswegen haben wir uns auch gefragt, was wir mit unserem Wohlstand anfangen wollen. Wir sind zu der Auffassung gelangt, dass es ein Ziel unseres Profits sein muss, zum einen die Stabilität des Unternehmens zu sichern und seine Wettbewerbsfähigkeit, um das Einkommen unserer Familien zu sichern. Zum anderen sind wir aber auch auf der Suche nach einer Struktur, die der ursprünglichen Zielsetzung unseres Unternehmens Bestand verleiht. Deshalb erwägen wir, alles in eine Stiftung oder Ähnliches zu stecken, die zweckgebunden arbeitet und auf Vererbung des Unternehmens an die Familie zu verzichten. Dabei ist natürlich immer unsere Freiheit herausgefordert. Angesichts des unternehmerischen Erfolgs fragte ich Don Gius einmal, ob er uns nicht jemanden zur Seite stellen würde, der uns an den eigentlichen Zweck unserer Arbeit erinnern könne. Denn der Verrat ist nun mal Teil unserer Schwäche. Er antwortete mir, dass nichts und niemand unsere Freiheit und Freundschaft ersetzen könne, und seien beide auch noch so zerbrechlich. Von ihnen hinge Gedeih und Verderben ab. Unternehmertum, wie wir es leben, fördert auch erzieherische Initiativen und Bildungsangebote an Universitäten und Schulen. Außerdem unterstützen wir Initiativen, die von einer Liebe zur Kirche gekennzeich-net sind und dazu beitragen, eine menschlichere Welt aufzubauen. So unterstützen wir etwa die Hilfsorganisation AVSI mit dem Santa Lucia-Abendessen, einem Ereignis, an dem mittlerweile die ganze Stadt teilnimmt, die Zeitschrift 30Tage oder auch diverse Initiativen zur Förderung der Subsidiarität.

Was hat euch dabei geholfen, diesen Zielen treu zu bleiben?
Der Herr hat an einem ganz bestimmten Punkt klar auf einer gewissen «Klärung» bestanden. Es war 1998. Bei dem traditionellen Befana-Fest am Dreikönigstag gab es eine große Explosion, bei der 50 Menschen verletzt wurden, sieben davon schwer, zwei tödlich. Natürlich fühlten wir uns von dem Schlag überwältigt. Das Übel stand im Vordergrund. Und doch war darin in geheimnisvoller Weise schon etwas Positives verborgen, was unserer Zugehörigkeit neues Leben gegeben hat. Als ich am Morgen nach dem Unglück gerade alle Verletzten im Krankenhaus besucht hatte, rief mich der schwerverletzte Gino an und wollte sich den Hergang des Unglück erklären lassen. Auf meine Beschreibung hin meinten wir beide: «Also ist alles aus, was wir aufgebaut haben, alles ist vorbei». Ich habe diesen Augenblick nie mehr vergessen, aber noch weniger wie mich derjenige, mit dem alles anfing, bei der Hand nahm und mich begleitete - hin zur Entdeckung, dass das Geheimnis ein gutes Antlitz hat, auch in einer Tragödie. Als man uns mitteilte, das Gino im Sterben lag (damals war auch unser Freund, der Arzt Enzo Piccinini zugegen), da war es wiederum Don Giussani, der mir sagte: «Mach dir keine Sorgen: der Grund, warum der Herr das alles von euch abverlangt ist die Veränderung eures Herzens. Mach dir also wegen Gino keine Sorgen, der kommt wieder nach Hause».

Was ist das Größte für dich?
Das «Erkennen»: das ist das größte Geschenk! Mir wurde klar, dass es eine Gegenwart gibt, die schafft, die hervorbringt und die mit allem zu tun hat, was du gerade tust, mit allen Menschen, denen du begegnest. Und je mehr ich das wahrnehme, desto mehr gewinnt das Leben an Einfachheit und auch die Arbeit wird zu einer Art Gespräch mit der Gegenwart, die du vor dir hast.

Was heißt «Mitverantwortung» und «Aufwertung der Personen» konkret?
Ich mache ein paar Beispiele. In den Hotels treffen sich jede Woche die Teamchefs mit den Führungskräften und besprechen die aktuelle Lage. Man spricht über die Kunden, Probleme, die aufgetreten sind, Schwierigkeiten bei der Ausübung der eigenen Rolle. Die Mitarbeiter in der Küche, das Zimmerpersonal, die Tellerwäscher, sie alle lässt das atmen, es erleichtert ihnen den Alltag. Sobald es um den Herrgott geht und klar wird, dass es darum geht, die eigene Erfahrung gemeinsam besser zu verstehen, wird das Leben einfacher. Ich denke nur an unsere jüngsten Mitarbeiter. Sie kommen für drei Monate zu uns ans Meer, dann für drei Monate in die Berge, in der Übergangszeit besorgen wir ihnen Arbeit. Wir sorgen für Weiterbildungsange-bote, für Fremdsprachenerwerb im Ausland. Die jungen Leute merken, dass du dich dafür einsetzt, dass sie Arbeit haben, weil sie so allein in Verbindung mit der Wirklichkeit bleiben und auf beiden Füßen zu stehen kommen. Wie könnte ein junger Mann von 22 Jahren ohne Arbeit sonst jemals das Gleichgewicht erlernen?

Wie hast du deinen Kindern die Idee nahegebracht, eine Stiftung zu gründen?
Es war interessant, ihnen diese Entscheidung mitzuteilen, weil die Welt ganz anders denkt. Ich habe ihnen gesagt: «Das Unternehmen gehört uns in gewisser Hinsicht gar nicht; es gibt ein höheres Ziel, das es zu bewahren gilt, und daher richtet man sich für die Zukunft auch anders ein. Ausgangspunkt dafür ist, dass uns alles gegeben ist. Ich kann dem Herrn dafür nur danken, dass man in 35 Jahren Bewegung keinen Beitrag von mir abverlangt hat, obwohl ich der Bewegung doch alles zu verdanken habe. Meiner Freiheit wurde immer ein größerer Horizont gezeigt, in dem sie sich entfalten konnte. Daher war in mir auch immer die Frage lebendig, was mit den Talenten und dem Geld, das der Herr gibt, zu tun sei. Eine brandaktuelle Frage, bis auf den heutigen Tag.