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Thema - das Herz
Die Antwort auf ein menschliches Bedürfnis
Giancarlo Cesana

Wie der Hunger, der Durst und die Liebe

Um das Thema der Schönheit zu erläutern, gehe ich von einem Aspekt aus, der unsere Bewegung in ihren Anfängen charakterisiert. Vor allem spielt die erzieherische Art und Weise eine Rolle, durch die man Christus kennen lernt, nämlich indem man auf die Schönheit trifft. Die «Studentische Jugend» um Don Giussani entstand in der Oberschule. Es war damals die einzige gemischte Gruppe in der Jugendarbeit, in der Jungen und Mädchen zusammen waren. Es herrschte eine gewisse Unsicherheit gegenüber dem anderen Geschlecht vor und man neigte zur Geschlechtertrennung. Zugleich wurden Einwände und Bedenken gegenüber Don Giussanis erzieherischen Methode laut. Er antwortete darauf etwa folgendermaßen: «Wenn ihr in der Kirche Männer und Frauen trennt, wie man es früher zu tun pflegte, das heißt Frauen links, Männer rechts, werdet ihr nach kurzer Zeit Folgendes beobachten: Vor allem die jungen Leute werden leicht auf die gegenüberliegende Seite schauen. Es sei denn, von der Kanzel kommt ein faszinierenderer, überzeugenderer Vorschlag. Denn dann werden alle nach vorne schauen.» Wie lässt sich diese Beschreibung Giussanis nun auf das Problem des Christentums übertragen? Christ sein heißt demnach nicht, so zu sein wie alle und es genauso zu machen wie die anderen, sondern, einen Schritt zurückzutreten. Zugleich bedeutet Christsein ein Mehr: Ein Zuwachs an Leben und Sein. Don Giussani hat alles auf die Schönheit Christi, auf die Schönheit als Offenbarung der Wahrheit und des Guten gesetzt. Und so auch uns gleichsam gezwungen, nach vorne zu schauen und nicht zur Seite. Das genau ist die Herausfor-derung des christlichen Vorschlags. Die Bedeutung der Schönheit hervorheben, heißt zu akzeptieren, sich mit dem eigenen Verlangen auseinander zu setzen. Denn die Schönheit ruft ein Verlangen hervor, das der «bedrohlichste» Aspekt der menschlichen Erfahrung ist, da er weniger kontrollierbar ist.

Wie groß ist Gott
In jedem Verlangen des Menschen gibt es eine letzte Spannung zum Unendlichen, zu Gott. Man schaut auf Christus, weil man dieser letzten Spannung auf Gott hin folgt. Don Giussani hat immer unterstrichen, dass das Problem Gottes nicht ein moralisches Problem ist, sondern die Antwort auf ein starkes menschliches Bedürfnis wie Hunger, Durst und die Liebe zwischen Mann und Frau. Es handelt sich also um ein fundamentales Bedürfnis. Er wollte damit vor allem eine gewisse geistige Haltung kritisieren, die sich zu sehr um bestimmte Verhaltensweisen sorgt. Denn der Mensch kann eben nicht ohne die Schönheit leben. Ich kann dies besser an einem Beispiel erklären, das Giussani immer erzählte: Als er ein Kind war, ging er frühmorgens mit seiner Mutter zur Messe. Eines Morgens betrachteten sie den einzigen Stern am klaren Himmel und seine Mutter sagte: «Wie schön ist die Welt und wie groß ist Gott.» Wie schön ist die Welt: Die Schönheit als das ästhetische Prinzip. Wie groß ist Gott: Die Welt ist mir gegeben. Das bedeutet, dass man die Verwirklichung des Wunsches nicht leben kann ohne das Opfer. Das Opfer besteht aber nicht darin, dass der Wunsch sich nicht verwirklicht, denn dies wäre ein Unglück. Im Gegenteil, das Problem beginnt, wenn der Wunsch sich verwirklicht: Wenn die Frau, die du liebst, dich liebt, dann muss dort das Opfer beginnen, nämlich die Jungfräulichkeit: Das heißt, die Anerkennung der Gegenwart eines Anderen, der dir gegeben ist und der nicht dein ist, mit dem du nicht machen kannst, was du willst. Don Giussani hat unsere Wünsche auf die Probe gestellt, indem er es akzeptierte, sich mit einer zutiefst menschlichen und modernen Problematik auseinander zu setzen. Denn normalerweise wird man sich der Beziehung zwischen Schönheit und Verlangen nicht bewusst, indem man die Ästhetik betont. Die Schönheit erlaubt es der Erkenntnis, Zuneigung zu werden und einer Sache anzuhängen. Um diese erzieherische Aufgabe zu lösen, hat Don Giussani eine sehr starke Einbeziehung der Gefühle akzeptieren müssen. Das heißt er hat die Erfahrung der Freundschaft auf- und wiederaufbauen müssen. Der Mensch begegnet Gott, wenn er versteht, dass Gott ihn liebt.

Die Heiligen als wahre Theologen
Die Enzyklika des Papstes heißt: Gott liebt den Menschen und er liebt ihn, weil er ihn erwählt, und zwar nicht allgemein. Gott liebt den Menschen nicht im Allgemeinen, er liebt mich, und die Art und Weise, in der ich mir dessen bewusst werden kann, ist eine Freundschaft, die mir dies bezeugt. Der Papst sagt dazu: «Es braucht Menschen, die Gott glaubhaft machen, aber nicht den anderen, sondern mir selbst.» Ich war von einem Zitat des bekannten Theologen, Hans Urs von Balthasar, das Kardinal Christoph Schönborn zitierte, tief beeindruckt. Er sagte: «Die einzigen Theologen, die mich interessieren, sind die Heiligen.» Die Heiligen sind die wahren Menschen, verwirklichte Menschen, die diese Übereinstimmung und diese Freundschaft mit Gott und mir bezeugen. Dies ist vom erzieherischen Standpunkt her gesehen wirklich ein Charakteristikum unserer Bewegung. Ich beschreibe sie mit den Worten, die Professor Nikolaus Lobkowicz , Direktor des Instituts für Mittel- und Osteuropa Studien der katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, im Vorwort zum Buch Das Wagnis der Erziehung gewählt hat: «Es ist wohl kein Zufall, dass Freundschaft eine der Tugenden ist, die die von Don Giussani gegründete Bewegung am freudigsten übt; eine Freund-schaft, die jedem gilt, der einem über den Weg kommt und die selbst und gerade dann nicht nachlässt, wenn der Freund Wege geht, die man nicht zu billigen vermag.» Oder wenn der Freund nicht mehr ist, wie wir ihn gerne hätten, die Ehefrau nicht mehr unseren Vorstellungen entspricht, denn auch wenn man heiratet, ist die erste Sorge, Freunde untereinander zu sein und das heißt, die Bestimmung zu teilen; nicht nur die Umstände, die Sympathie und die Anziehung, sondern die Bestimmung, das Ziel des Lebens. In einer solchen Beziehung interessiert man sich für alles und beginnt zu verstehen, was der heilige Paulus sagt: «Prüfet alles und behaltet das Gute!» (1 Thess 5, 21) Don Giussani betonte stets, dass dies die schönste Definition von Kultur sei, die er gehört habe.

Das Gold im Schmutz
Wenn man das Museum für Moderne Kunst in New York besucht und langsam die Treppen herauf-steigt, ist das, was einen bewegt, nicht, dass es dort Gott nicht mehr gibt, denn das kann man für die moderne Kunst voraussetzen, sondern dass der Mensch nicht mehr vorkommt. Wozu lädt uns also der heilige Paulus ein? Konstruktiv zu sein, die Schönheit zu schätzen, die der wahre Wert jeder Kritik ist und die genau das Gold im Schmutz aufscheinen lässt. Wenn man die Freundschaft so lebt, interessiert man sich für alles. Ich mache oft folgendes Beispiel: Ein Junge ist in ein Mädchen verliebt und sie sagt «Ja» zu ihm. Nachdem das Mädchen ihm gesagt hat «Ich liebe dich», sieht die Welt für ihn danach anders aus, selbst wenn der Junge eine schwierige Arbeit hat, wie etwa am Fließband zu stehen: Sogar seine Arbeit wird neu. Und das ist kein subjektives Erleben, sondern ein objektives, weil er gewollt und es keine Einbildung ist. Wenn dies passiert, ist man auch an allem interessiert. Ich möchte dies mit den Worten von Divo Barsotti sagen, der kürzlich gestorben ist: «Ich brauche die ganze Welt. Die ganze Welt muss in mich integriert sein; ich muss mich allem annähern, mich von allem ernähren, damit alles in mir christlich werde.»
Mann versteht, dass man alles braucht, dass die Dimension des Menschen dieses Bedürfnis nach dem Ganzen ist und genau dies ist das Unendliche. Nicht viele Dinge zusammen, sondern alles. Das ist das Gegenteil einer intellektuellen Ästhetik, in der das, was gefällt, nur dem entspricht, was man denkt.