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CL - Todestag Enzo Piccinini
Wirklich ist nur das, was Gott möchte und wirkt
Enzo Piccinini

Sieben Jahre nach dem plötzlichen Unfalltod von Enzo Piccinini möchten wir mit folgendem Text an ihn erinnern. Es sind Auszüge aus einem Vortrag, den er 1978 in Modena über die Gestalt Jesu Christi hielt. Thema war das Geheimnis, die Freiheit und der Glaube

Wenn Jesus sich und Gott in der Welt hätte durchsetzen wollen, hätte er lärmend auferstehen können, Pilatus und Kajaphas besuchen, im Tempel auftreten und sich jenen zeigen können, die ihn am Kreuz verspottet hatten. Aber Gott möchte ernst genommen werden, er setzt auf unsere Freiheit, denn sie ist der höchste Wert überhaupt, der Wert, für den wir sein Ebenbild sind. (...)
Die unmittelbare existenzielle Hinterlassenschaft des Glaubens nach Jesus ist das Gebet als Bitte. «Bittet, dann wird euch gegeben; sucht, dann werdet ihr finden; klopft an, dann wird euch geöffnet.» (Mt 7, 7). «Wenn nun schon ihr, die ihr böse seid, euren Kindern gebt, was gut ist, wie viel mehr wird euer Vater im Himmel denen Gutes geben, die ihn bitten.» (Mt 7, 11). Jesus möchte jede Unsicherheit im Gebet ausschließen: Der ungerechte Richter wollte der Witwe keine Gerechtigkeit widerfahren lassen, sondern der flehenden Bitte nachgeben: «Sollte Gott seinen Auserwählten, die Tag und Nacht zu ihm schreien, nicht zu ihrem Recht verhelfen, sondern zögern? Ich sage euch: Er wird ihnen unverzüglich ihr Recht verschaffen. Wird jedoch der Menschensohn, wenn er kommt, auf der Erde Glauben vorfinden?» (Lk 18, 7-9). Die Wurzel des nicht Betens ist der Unglaube. Wenn wir glauben würden, wäre das Leben von einer Bitte durchdrungen, einer fortwährenden Bitte um das Himmelreich.

Sich dem Geheimnis hingeben
Ist Gott vielleicht schlecht, engherzig und säumig wie der ungerechte Richter und wir alle? Wenn er jedoch unendlich gut und voll Erbarmen ist, warum ereignet sich das Himmelreich nicht schon unter uns? Weil wir ihn nicht darum bitten, weil wir es nicht Tag und Nacht erflehen. Warum bitten wir nicht? Weil wir keinen Glauben haben, ihn nicht leben und es deshalb keine Gewissheit in uns gibt, die unsere Bitte nährt. «Jesus sagte zu ihnen: Ihr müsst Glauben an Gott haben. Amen, das sage ich euch: Wenn jemand zu diesem Berg sagt: Heb' dich empor und stürz dich ins Meer!, und wenn er in seinem Herz nicht zweifelt, sondern glaubt, dass das geschieht, was er sagt, dann wird es geschehen. Darum sage ich euch: Alles, worum ihr betet und bittet - glaubt nur, dass ihr es schon erhalten habt, dann wird es euch zuteil.» (Mk 11, 22-24).
Die Bitte erfordert ein Urteil der Gewissheit über Gott, das im Herzen fest verankert ist. Denn nur so vertraut jemand wirklich und verlässt sich vollkommen auf das Geheimnis, in dessen Hände er alles legt. Nur indem man wirklich total vertraut, kann man etwas erhalten, nur im sich Überlassen wird man eins mit Gott und beginnt, ihm anzugehören. Die ungeheure Macht Gottes beginnt nur in dem zu wirken, der ihn wirklich schätzt und ihm vertraut. Unser Problem und unsere Schwierigkeit besteht darin, dass wir uns von unseren Fähigkeiten lösen, die, wie wir wissen, zerbrechlich und unsicher sind. Trotzdem haben wir eine ungeheure Angst, davon abzulassen. Die Schwierigkeit ist, auf die falsche Sicherheit und die Illusion zu verzichten, die von unseren Vorstellungen ausgeht: Wir sind so absurd, dass uns schon die schlichte Formulierung unseres Planes reicht, auch wenn er nicht verwirklicht wurde. Denn sobald es verwirklicht wird, verstehen wir sofort, dass er keinen Bestand hat. Nur wenn wir auf die Illusion der Macht verzichten, die sich im Hoffen auf unsere Vorstellungen manifestiert, können wir die unbezwingbare und absolute Macht des Geheimnisses erfahren. Als solche ist sie unwiderstehlich und wir alle haben dies in irgendeiner Art und Weise schon erfahren. Allerdings hat sie ihre Zeiten und zwingt uns deshalb, geduldig zu sein, was wiederum eine besondere Art und Weise der Abhängigkeit und des Vertrauens darstellt. Zu glauben bedeutet, in Geduld auf das Geheimnis hin zu leben.

Die Freude der Reue
Zu den Dingen, die wir kaum oder ohne Glaube erbitten, gehört die Vergebung. «Sohn, deine Sünden sind dir vergeben», sind die ersten Worte Jesu an den Gelähmten. Diese Worte empörten die zeitgenössischen Autoren, denn als Experten der Theologie wussten sie, dass nur Gott die Sünden vergeben kann. Der Herr schenkt diese Vergebung, aber der Mensch hat Probleme, sie wirklich anzunehmen. Die unbekannte Sünderin, von der Lukas berichtet (Lk 7, 36-51), besaß einen solchen Glauben und war sich der Vergebung so sicher, dass sie sich vor Jesu Füße warf, um ihm mit Salbe und ihren Tränen zu danken. Wir müssen uns mit dieser Sicherheit vergleichen, wir, die wir zum Beichten gehen, aber nicht an die Absolution glauben. Sicher ist wahr, dass wir den Beichtstuhl noch mit der psychologischen Last unserer Sünde verlassen, nicht entledigt der Dinge, die wir getan oder nicht getan haben. «Ebenso wird auch im Himmel mehr Freude herrschen über einen einzigen Sünder, der umkehrt, als über neunundneunzig Gerechte, die es nicht nötig haben, umzukehren.» (Lk 15, 7): Wir aber glauben an diese Freude und kehren trotzdem nicht froh von der Beichte zurück. Wir erfüllen einen gut gemeinten aber formalen Gestus und so dringt die Gewissheit der Vergebung nicht in uns ein. Wir bemerken auch, dass die Tränen der Freude weiterhin Tränen der Vergebung und der Bitte um diese Vergebung sind. Die Gewissheit löscht die Bitte nicht aus, vielmehr ist die Art und Weise, in der sie sich des Herzens bemächtigt, die unerschöpfliche Bitte, dass sich das erfülle, was Gott möchte.
Es gibt ein anderes Symptom dessen, dass wir nämlich den anderen nicht vergeben. Wir sind wie der Schuldner, dem eine Million erlassen ist und der seinen Gefährten schlägt, weil er ihm hundert Lire schuldet (Mt 18, 21-35). «Denn wie ihr richtet, so werdet ihr gerichtet werden, und nach dem Maß, mit dem ihr messt und zuteilt, wird euch zugeteilt werden.» (Mt 7, 2; Lk 6, 38) Sich nicht als Sünder zu verstehen und nicht an die Vergebung zu glauben, macht den Umgang mit den anderen unvermeidlich gewalttätig. Mehr jedoch als das mangelnde Mitleid gegenüber dem Nächsten werden wir gerichtet werden für den Grund dieses mangelnden Mitleids, nämlich nicht an die Barmherzigkeit geglaubt zu haben. Die Sünde gegenüber Gott ist größer als die gegenüber dem Nächsten, und die eine ist Ursache der anderen. Die radikale Beleidigung Gottes ist es, ihm nicht zu glauben. Und es gibt noch einen weiteren Schritt. Die im Glauben gelebte Bitte befähigt den Menschen, die Werke Gottes zu tun. «Doch wenn du kannst, hilf uns; hab Mitleid mit uns. Jesus antwortete ihm: Wenn du kannst? Alles kann, wer glaubt.» (Mk 9, 22-23). Schon vorher war er zornig geworden, als er gehört hatte, dass die Jünger den Jungen aufgrund ihres geringen Glaubens nicht hatten heilen können.(Mk 9, 18-19). Und als die Jünger ihn fragen, warum sie den bösen Geist nicht hatten austreiben können, antwortete er, dass es dazu des Gebetes (Mk 9, 28-29) als Ausdruck des Glaubens bedürfe.

Christus bitten
Wenn Gott alles möglich ist, so ist auch dem Glaubenden alles möglich. Wenn jemand im Glauben sich selbst ganz hingibt und nicht mehr in sich, sondern in Gott seinen Bestand hat, dann wirkt der Herr in ihm. Die Jünger kehrten glücklich zurück, da sie die Dämonen bezwungen hatten. (Lk 10, 17). Wenn jemand wirklich an den Herrn glaubt, ist ihm alles möglich: das ist die wesentliche Beschaffenheit des Gebetes.
Das Evangelium nach Johannes benutzt folgenden Ausdruck: «Im Namen Christi bitten.» (Joh 14, 13-14;15,16;16,24.26) Name bedeutet Macht, und den Namen Gottes bekannt zu machen, heißt, seine Allmacht hervorzuheben (Joh 17, 6.26; zu sehen, wie Jesus die Bitte erfüllt, den Namen Gottes im Alten Testament kennen zu lernen: Gen 32, 30.) Im Namen Christi zu bitten bedeutet, sich seiner Macht zu bedienen, sich Seiner zu vergegenwärtigen und die Beziehung mit dem Vater zu leben wie er. Die Identität Christi ist in der Tat der Vater (Joh 10, 30; 14, 9-11), sich in Christus hineinzuversetzen und sich wie er vor den Vater zu stellen und damit vor ihn. Im Namen Christi zu bitten, bedeutet deshalb, ihn nachzuahmen, oder besser noch, an seinem Gebet teilzuhaben und zuzulassen, dass seine Bitte an Gott in uns eindringe und unsere Bitte bestimme.
Gethsemane ist der eindrucksvollste Beweis der Bitte Christi: «Jetzt ist meine Seele erschüttert. Was soll ich sagen: Vater, rette mich aus dieser Stunde? Aber deshalb bin ich in diese Stunde gekommen. Vater, verherrliche deinen Namen.» (Joh 12, 27-28; vgl. Mt 26, 28-39; Mk 14, 34-36; Lk 22, 42). Die ganze Logik des Gebets ist hierin enthalten: Christus weiß, dass dem Vater alles möglich ist; eine Bitte genügte, um eine Legion von Engeln an seiner Seite zu haben. Das Bewusstsein seiner Sohnschaft jedoch lässt ihn das wollen, was auch der Vater will. «Verherrliche deinen Namen», bedeutet «erweise deine Macht.» Wenn wir das Zeichen des Kreuzes machen und sagen «Im Namen des ...», berufen wir uns auf das Bewusstsein, dass die Macht des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes das Kreuz ist. Indem wir zu Christus beten, richten wir den Appell also an jene Macht. Der fromme Muslim spricht vor jeder wichtigen Aktion innerhalb seines Tages die basala: «Im Namen Gottes, des gnädigen und barmherzigen.» Auch er hat das Bewusstsein, dass der Mensch aus sich heraus nichts kann, dass er die Macht des Barmherzigen anrufen muss. Wir aber kennen das Gesicht dieser Macht, die zum Kreuz gewordene Liebe. Hier berühren wir die Tiefe oder Verantwortung unseres Glaubens.
«Wenn ihr in mir bleibt und wenn meine Worte in euch bleiben, dann bittet um alles, was ihr wollt: ihr werdet es erhalten. (Joh 15, 7). Aber das Modell dessen, was wir wollen, ist Gethsemane: Es ist das Bitten im Namen Christi. Der Glaube lässt uns nach dem Willen Gottes bitten (I Joh 3, 22; 5, 14-15), denn dieser und nicht unser Wille erfüllt und verwirklicht unsere Bestimmung, die unser wirkliches Bedürfnis ist (Mt 6, 8). Das Beispiel für das sichere und erhörte Gebet, das im Licht Gethsemanes und Johannes 17 interpretiert werden kann, ist das Gebet des Vater unser, das Jesus uns gelehrt hat (Mt 6, 9-13; Lk 22, 2-4), das Abba, das der Geist uns rufen lässt (Rm 8, 15; Joh 4, 6). Das Werk des Glaubens besteht darin, dass der Wille Gottes den unseren durchdringt: So wird das Gebet durchdringend («im Namen von ...») und der Anfang von Macht und von Werken. «Glaubst du nicht, dass ich im Vater bin und dass der Vater in mir ist. Wer an mich glaubt, wird die Werke, die ich vollbringe, auch vollbringen, und er wird noch größere vollbringen, denn ich gehe zum Vater.» (Joh14, 10;12). Das ist die Umwandlung der Welt, das Aufbauen des Reiches Gottes. «Wer mein Wort hört und dem glaubt, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben.» Das Leben ist Christus. Der Glaube führt den Menschen in eine völlig andere Dimension ein, verglichen mit den normalen Umständen, in denen alle leben - leider auch wir. Wir sagen, dass der Glaube in die einzig wirkliche Dimension einführt, denn wirklich ist nur das, was Gott möchte und bewirkt. Der Rest ist Schein, eine Abfolge von Ereignissen und Dingen, in denen nichts wirklich neu ist, nichts passiert und sich ändert. Das Leben ohne Glauben ist eine falsche Geschichte, denn nichts passiert, kein Wunsch findet seine Erfüllung, die Bestimmung erfüllt sich nicht, sie bleibt wie stumm. Das wirkliche Wort ist nur das Wort Gottes, das Faktum und Ereignis wird. Die naturalistische Dimension des Menschen ist sich des Menschen und der Welt nicht bewusst. Der Glaube ist die einzige Hoffnung und Möglichkeit für den, der die Erfüllung seiner Bestimmung und der aller anderen wünscht. Denn er entreißt uns dem Schein (Tod) und führt uns zur Wirklichkeit (Leben), die die Ebene Gottes ist und Christus heißt.

Glaube: theologische Tugend
Christus ist «der Anführer und Vollender unseres Glaubens.» (Hebr 12, 2). Die griechischen Begriffe sind schwer wiederzugeben und so würde ich folgendermaßen übersetzen: «Derjenige, der Ursprung und Erfüllung des Glaubens gibt», aber auch das sagt wenig aus. Es bedeutet, dass Christus der Ursprung des Glaubens ist, er hat das verkörpert und gebildet, was Glaube ist und hat ihm eine Heimstätte, eine Dimension und Wirklichkeit geschaffen. Dies bedeutet Erfüllung in dem Sinne, dass er existenziell alle Verwicklungen des Glaubens gelebt hat. Er ist den Weg des Glaubens bis zuletzt gegangen und hat in seinem Leben die Dynamik des Glaubens gleichsam ausgeschöpft.
Hebr 12 ist der einzige Abschnitt des Neuen Testamentes, der von einem Glauben Christi spricht. Die Theologen zögern, von einem Glauben Christi zu sprechen, denn der Glaube beinhaltet etwas Unbekanntes und wird den Platz bald der völligen Vision überlassen ( von Balthasar spricht jedoch vom Glauben Jesu). Wenn es aber wirklich wahr ist, dass Christus auch auf der Erde das Geheimnis Gottes innerhalb der Geschichte sah, war seine Annahme des Menschlichen so vollständig, dass sie alles erlitt, was es auch den Menschen an Mühe kostet, sich total auf einen Willen und einen Plan zu verlassen, der nicht der Seinige ist. Sein Bewusstsein von Gott blieb klar und vollständig und ebenso vollständig war sein Teilen des Menschlichen. Unser Glaube ist deswegen ein Ausstrahlen des seinigen. Zu glauben, bedeutet, aus Gnade und Geschenk an der totalen Hingabe des Sohnes an den Vater teilzuhaben, die sich innerhalb der Geschichte von ihrem Ursprung an bis in Ewigkeit vollzieht. Der Glauben ist deswegen ein Gestus Christi, etwas, das innerhalb der Dreifaltigkeit entstand und sich mit der Substanz Gottes verbindet. Er ist ein Gestus, den eine unerklärliche und unendliche Barmherzigkeit, die niemals ausreichend anerkannt wurde, uns hat mitteilen wollen, damit sich unsere Bestimmung als Kinder Gottes und als sein Ebenbild erfülle. Der Glaube ist in der Tat theologische Tugend, das heißt ein Bruchstück Gottes, das uns zu eigen wurde und uns eines Tages völlig zu eigen werden wird.