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Briefe
Briefe Mai 2006
Zusammengestellt von Paola Bergamini

Der Sieg über das Nichts
«Der Blick Gottes auf seine Kreaturen ist nicht nur der richtende Blick der Gerechtigkeit sondern auch der liebende Blick der Barmherzigkeit», sagt von Balthasar. Sie ist immer unerwartet, diese Gnade der Begegnung mit dem Fleisch gewordenen Christus: unverdient und unvorhergesehen. Durch eine Reihe von Ereignissen - zu viel und zu komplex, um hier alles wiederzugeben - fand ich mich 2002 auf einer Pritsche im Gefängnis wieder, in der Hand ein Zettelchen mit der E-Mail-Adresse eines Mannes mit Namen Rick Kushner von der Bewegung aus Washington. Im darauf folgenden Jahr lernte ich Rick, seine Frau Chiara, die gerade ein Kind erwartete, und ihre beiden anderen kleinen Kinder, Teresa und Francesco, kennen. Diese Familie - ein jeder von ihnen war wie das Echo des Ereignisses Christi - fuhr den Weg von sieben Stunden - sei es auf dem Hin- oder Rückweg - um mit mir anderthalb Stunden im Besucherbereich zu verbringen. Als der Geburtstermin sich näherte, fragten mich Chiara und Rick, ob ich Patenonkel ihres Mädchens werden wolle; eine Frage, bei der mir immer noch schwindelig wird, wenn ich zu lang darüber nachdenke. Gabriella wurde einige Wochen danach geboren und kam mich einige Monate später mit ihrer Familie im Gefängnis besuchen. Während ich sie im Arm hielt, dachte ich, dass dies so schön ist und dass ich dessen nicht würdig bin, und diese Idee selbst verblüffend ist. Auch heute, zwei Jahre später, bin ich nicht weniger überrascht. Denn die Gnade überwältigt tendenziell das, was ich zu verstehen vermag. Aber ich kann nicht leugnen, dass Christus mich durch diese Leute erreicht hat, Sein Volk, das Sein Sieg über das Nichts ist.
Joshua, North Carolina

Neuer Weg
Lieber Don Julián. Ich bin 47 und habe 3 Kinder im Alter von 22, 21 und 15 Jahren. Seit drei Jahren lebe ich getrennt von meinem Mann und nun stehen wir leider vor der Scheidung, da mein Mann sich entschieden hat, in einer anderen Familie zu leben. Dieser Schmerz ließ mich 1998 nach Fatima fahren; ich wollte die Muttergottes um die Gnade der Rückkehr meines Mannes bitten und um unsere Bekehrung. Es war der zweite Sonntag der Osterzeit und in der Kommunität, wo ich zu Gast war, wurde das Fest der göttlichen Barmherzigkeit gefeiert. Vor dem Bild des barmherzigen Jesus geschah meine Bekehrung. Ich fand Verzeihung, die Umarmung und den Trost des Vaters; mein Herz war erfüllt von Dankbarkeit, und nur schwer hielt ich die Tränen zurück. Und so begann mein Weg: Das «Jesus, ich vertraue Dir» gab mir Kraft in müden, entmutigenden und trostlosen Momenten. Ich wiederholte es jedes Mal, wenn ich nicht sah und nicht verstand, wo es lang gehen sollte. Durch einige Freunde, die mir halfen, begegnete ich 2000 der Bewegung. Und ganz langsam fand ich etwas, das meinem Herzen entsprach. Nicht zu glauben! Ich fand die Stärke meiner Berufung wieder, die Treue zu meiner Ehe und die vertrauensvolle Hingabe an die Muttergottes. Auch für meine Kinder hat sich ein neuer Weg aufgetan: zwei von ihnen folgen der Erfahrung, die mich so tief ergriffen hat. Einer gehört zum CLU, der andere zu GS. Ich habe Ihnen in Kürze meine Geschichte erzählt. Die Begegnung mit der Hingabe an den barmherzigen Jesus und das Beten des Rosenkranzes zur göttlichen Barmherzigkeit waren bestimmend für meine Bekehrung.
Unterschriebener Brief

Verletztes Herz
Lieber Don Julián. In dieser Zeit ist uns eine dramatische Erfahrung widerfahren: Der Tod unseres Sohnes Pietro. Es ist unvorhergesehen passiert und hat alles von uns gefordert: unser Fleisch und unser Blut. Wenn wir an die Zeit im Krankenhaus zurückdenken, so können wir feststellen, dass uns Folgendes bewusst war: Unsere Art «Ja» zu Christus zu sagen, war der Gehorsam gegenüber dem, was Schritt für Schritt die Situation und die Ärzte von uns forderten. Die Tatsache, dass Christus sich selbst für uns hingegeben hat - mit seinem Leiden, dem unschuldigen Sterben am Kreuz und dann seiner Auferstehung - gab uns plötzlich die Gewissheit, dass unser Pietro in Frieden in Seinen Armen ruht, und dass sein Tod und unser Schmerz schon mit ihm geteilt und gerettet sind. Jetzt sehen wir ihn auf verschiedene Weise am Werk: Zum Beispiel in der Einheit und Liebe zwischen uns beiden, die wir vorher nie so wahrgenommen haben; im Bewusstsein, dass das, was wir an Schönem haben und wünschen, Geschenk ist, nicht verdient. In dieser Zeit, in der großen Erschöpfung durch die Trennung von Pietro hält uns dies aufrecht: das Gedächtnis und die Augen der Menschen, die auf dem Weg sind und von denen wir Namen und Vornamen kennen. Und wenn die Versuchung kommt, dass wir uns der Verzweiflung hingeben, dann bitten wir die Gottesmutter, dass wir dem zustimmen können, was passiert und offensichtlich ist; dass wir fröhlich unser «Ja» sagen zu dem, was uns in der Wirklichkeit des Alltags entgegenkommen wird.
Paola und Fabio, Robecco sul Naviglio

Klares Schicksal
Ich weiß nicht, ob ich unter Depressionen leide, aber ich weiß, dass es mir oft scheint, hoffnungslos zu leben. Je mehr Jahre vergehen, desto farbloser wird meine Zukunft. Ich muss aber wirklich sagen, dass ich von der Liebe Gottes und Seiner Kirche fasziniert bin: Wenn ich dies in dem entdecke, was ich lese, höre, sehe, kenne, treffe, lebe ..., dann gewinnt alles in meinem Leben an Sinn, Klarheit und Entschlossenheit. Ich mag auch Stimmungsschwankungen unterliegen, aber ich bin nicht alleine und meine Bestimmung ist für mich klar. Danke, Gott, für die Gemeinschaft, der ich begegnet bin. Ich könnte ohne sie nicht auskommen.
Unterschriebener Brief

Die Gewissheit, dass alles positiv ist
An einem Sonntagnachmittag überbrachte ich einer von uns unterstützten Familie ein Päckchen vom Banco alimentare, der Lebensmittelsammlung für Bedürftige. Während der Unterhaltung erzählte mir die Frau von ihrem Drama: Am kommenden Freitag sollte sie abtreiben. Sie sei im dritten Monat schwanger, ihr Mann habe eine unsichere Stelle, ihr anderes Kind sei teilweise behindert und müsse sich einer logopädischen Behandlung 80 Kilometer vom Dorf entfernt unterziehen. Sie habe Diabetes und sich deswegen für die Abtreibung entschieden. Aber wir bemerkten, dass sie das Verlangen nach dem Leben für ihr Kind hatte. Wir setzten uns in Bewegung. Die Gemeinschaft aus Neapel empfahl uns einen fähigen Gynäkologen, der dieser Frau kostenlos half. Sie wusste sich von uns begleitet und war beruhigt. So trieb sie nicht ab. Nun stehen wir ihr in ihren Nöten bei. Ihr Mann arbeitet wieder, nachdem er monatelang arbeitslos war. All dies ist möglich durch den Einsatz der Banco di Solidarietà in Campobasso - die drei Familien unterstützt -, der Bewegung und persönlicher Beziehungen. Denn im Zusammensein wächst die Gewissheit, dass alles positiv ist.
Adolfo e Pina, Baselice

Neugieriger Blick
Liebe Freunde, zwei Erfahrungen in der Schule haben auf besondere Weise diese letzte Zeit gekennzeichnet. Die erste war der Austausch mit den Schülern vom Puetinger Gymnasium in Ellwangen, die zweite die Reise nach Prag mit den Schülern der dreizehnten Klasse, in der ich mit Mühe und Not unterrichte. Diese zwei Erfahrungen hatten einen roten Faden: den Blick «meiner» Schüler, einen neugierigen, auf die Wirklichkeit gerichteten Blick, der mit Entschiedenheit zum Grund der Wirklichkeit vordringen möchte. Aus diesem Blick lernte ich so viel, dass ich dabei meine Haltung ändern musste. Ich war dorthin gefahren, um ihnen die Richtlinien der Erfahrung zu vermitteln und entdeckte mich dabei, der Blickrichtung meiner Schüler zu folgen. Vielleicht darum und dank zweier Kolleginnen, waren diese Erfahrungen faszinierend sowohl wegen der Neuigkeit, die sie kennzeichnete, als auch wegen der Freundschaft, die daraus entstand. Ich habe deshalb wiederentdeckt, dass Unterrichten nicht bedeutet, die Erfahrungen anderer zu organisieren, sondern persönliche zu ermöglichen. Damit das geschieht, ist nur eins notwendig: Man muss von der Wirklichkeit lernen, von den Leuten, mit denen wir alltäglich zusammen sind und die wir treffen! Übrigens kann nur derjenige unterrichten, der fortwährend lernt, und nur derjenige kann etwas Neues erfahren, der sich von der Wirklichkeit berühren lässt.
Gianni, Abbiategrasso

Begegnungen in der Pfarrgemeinde
Lieber Don Julián, meine Frau und ich kommen gerade von einem Treffen mit Familien unserer Pfarrgemeinde. Die monatlichen Treffen finden seit mehr als 20 Jahren regelmäßig statt, und zwar, seit wir geheiratet haben. Wir sind die einzigen von CL und haben diese Freundschaft nie verlassen, obwohl wir Mühe dabei hatten und uns von den Vorurteilen gegenüber unserer Erfahrung «erdrückt» fühlten. Wie jedes Jahr trafen wir uns nach den Ferien mit den anderen und dem Priester, um den Schritt für das neue seelsorgerische Jahr zusammen zu besprechen. Jedesmal schlugen wir immer diskret aber klar die Texte der Bewegung vor. Es kamen viele «Ja - Aber» und «Jedoch», letztendlich entschied man sich dann immer für etwas anderes. Dieses Jahr «wagten» meine Frau und ich, eine Arbeit über das Thema der Erziehung anhand des Buches von Don Giussani, Das Wagnis der Erziehung, vorzuschlagen. Unerwartet kam von allen oder fast allen Seiten eine positive Reaktion. Wir erwarteten das übliche «Nein» und stattdessen kam eine begeisterte Zustimmung. So fingen wir an, den Text gemeinsam zu lesen. Als wir uns zusammen die DVD (s. Anlage Spuren 2/2006) anschauten, waren wir tief gerührt. Wir schenkten allen das Spuren-Heft. Rührung ist das beste Wort, das die Stille bei der Vorführung erklären kann. Während wir dem Vortrag von Don Giussani lauschten, wurde alles, was wir in den vergangenen Monaten zusammen gelesen hatten, klar verständlich. Mit diesen Personen ohne Anspruch auf Zustimmung oder ein bestimmtes Ergebnis zusammen zu sein, erzieht uns dazu, ihre Freiheit zu respektieren, und erweckt zugleich unsere Zuneigung zu ihnen, zu ihren Bedürfnissen und zu ihrem Leben. Wir danken jedem von ihnen, denn sie geben uns die Möglichkeit, uns zu erziehen und immer wieder zu bitten, erzogen zu werden. Wir sind uns sicher, dass jeder von ihnen die Möglichkeit erkannt hat, das Christentum als die den menschlichen Bedürfnissen angemessenste Art und Weise zu leben. Und darüber werden wir uns weiterhin unterhalten.
Giuseppe e Silvia, Busto Arsizio

Schmerz eines Volkes und Glaube einer Mutter
In den ersten Apriltagen haben die Freunde von der Bewegung in Venezuela nach der Entführung dreier Kinder und ihres Fahrers ein Flugblatt verteilt, mit einem Brief der Mutter an die Entführer. Am 8. April endete der Menschenraub auf tragische Weise: Die Entführer ermordeten die Geiseln.
Meine Herren Entführer, ihr habt keine Vorstellung von dem ernormen Schaden, den eine Entführung in einer Familie und damit in einer Gesellschaft anrichtet, die so schön ist wie diejenige Venezuelas. Im Namen Gottes und im Namen von Tausenden Müttern auf der ganzen Welt will ich euch sagen: Ich vergebe euch. Ich bin ein Niemand in dieser Welt. Wir alle sind Fremde auf Gottes Erde. Einzig Gott und seine Stellvertreter vergeben. Aber ich bin die ganze Welt für Bryan, Kevin und Jason, und ich habe die nötige Vollmacht, euch zu vergeben. Ich weiß nicht, wer ihr seid, wie ihr lebt, was eure Religion ist, aber ich weiß, dass ihr Eltern, Geschwister, eine Familie oder sogar Kinder habt. Im Namen dieser Beziehungen, die jeder von euch mit den je eigenen Lieben hat, flehe ich euch um Barmherzigkeit an. Jesus Christus vergab denen, die ihm schadeten, und wenn er es kann, können wir es auch. Ich flehe euch um Erbarmen für Bryan an, der ein außergewöhnlicher kleiner Junge und ein guter Schüler ist, ein hervorragender großer Bruder und ein braver Sohn. Erbarmen für Kevin, der mit einem Kreuz geboren ist, mit einer Lähmung, die wir mit allem Geld der Welt nicht haben entfernen können, die wir aber mit viel Liebe und Glaube an Gott mit ihm haben teilen und erleichtern können. Erbarmen für Jason, der uns von Gott gesandt worden ist, um uns in den Mühen für Kevin zu unterstützen. Erbarmen für Miguel, der ein feiner Freund und Vater außerordentlich schöner Geschöpfe ist. Ich bin nicht am Boden zerstört, wie viele meinen. Ich habe keinerlei Beruhigungsmittel genommen - nur das Beruhigungsmittel des Gebetes und des Glaubens. Wir suchen keine Schuldigen, wir wollen keine Verkettung des Hasses beginnen, wir wollen nicht einmal wissen, wer ihr seid, Gott will, dass die Menschheit für dies eine Anliegen bete: um Erbarmen für euch, für diese Jungen, für uns Eltern und für die Welt. Meine Herren Entführer! Ihr habt meine Kinder bereits kennen gelernt, ihr wisst also schon, dass sie so «schlecht» nicht sind ... Ihr wisst, dass sie nicht geboren wurden, um «Verhandlungsgegenstand» zu werden, sondern, um einen Auftrag zu erfüllen: Uns erkennen zu lassen, wie schön Gottes Vergebung und Barmherzigkeit sind.
Meine Herren Entführer! Ich danke euch dafür, dass ihr mir erlaubt, die Güte meiner Verwandten und Freunde zu erkennen und mir bewusst macht, dass «das Leben gar nicht so schlecht ist, trotz unserer Ängste», die wahre Erkenntnis meiner Religion. Der Dolch der Entführung steckt in meiner Brust, und doch kann ich noch beten! Ich bin ein Niemand vor euch und vor Gott. Aber wenn der Mantel der Barmherzigkeit bis zu euren Herzen reicht, dann kann ich doch viel vollbringen. Gebt diese Geschöpfe zurück an ihr Elternhaus, so dass ich den Auftrag erfüllen kann, den Gott mir gegeben hat von dem Tag an, an dem sie aus meinem Schoß geboren wurden, den Auftrag, der Lähmung und der seelischen Verletzungen zum Trotz zu zeigen, dass es sich lohnt zu leben und zu glauben!
Brief von Gladys an die Entführer ihrer Kinder

Angesichts des Zeugnisses dieser Mutter muss man unvermeidlich die angemessenste Haltung dem Leben gegenüber anerkennen. Auch in den leidvollsten Augenblicken ist das die Haltung des religiösen Menschen, des gläubigen Menschen, der den gegenwärtigen Gott als Ursprung und Bestimmung des Daseins anerkennt. Der Schmerz, den unser Volk in diesen Tagen durchlebt, drückt unsere Sehnsucht nach Glück, Gerechtigkeit und Unendlichkeit aus, das gleichwohl im Herzen eines jeden Menschen wohnt.
Dies ist der Ausgangspunkt für die große erzieherische Aufgabe, die vor uns liegt, und dies ist die einzige Hoffnung für den Wiederaufbau unserer Gesellschaft
Gemeinschaft und Befreiung Venezuela