Logo Tracce


Kino - Die große Stille
Sein und Zeit für das Glück
Tommaso Ricci

Ein Film über das Leben der Mönche in der Kartause von Grenoble, ohne Kommentar, ohne Hintergrundmusik. Für den aufmerksamen Beobachter ist dieser Film fast eine Art Geistlicher Exerzitien

Man stelle sich eine kleine Gruppe von Menschen in einem schweigsamen Nachtlager an der Schwelle zum Absoluten vor. Sie befindet sich weit weg von einer Menge, die sich in Geschwätzigkeit über Banales und Flüchtiges verliert und fieberhaft mit dem Nichts beschäftigt ist. Man bedenke die ideelle Distanz, die zwischen einer Gemeinschaft und einer bloßen Ansammlung von Leuten besteht. Der Film Die große Stille lädt dazu ein, diese Distanz zu ermessen, indem er uns einen Blick in das karge Leben der Mönche der großen Kartause von Grenoble werfen lässt, die der heilige Bruno vor tausend Jahren gründete. In Europa besteht also seit tausend Jahren ein ununterbrochenes hartnäckiges Schweigen, ein Staffellauf von Männern, die ihre Sehnsucht nach Glück dem Hören, dem Gebet und der Armut anvertrauen. «Mit diesem Film möchte ich zeigen, dass die Betrachtung und die Suche nach dem Absoluten ein grundlegendes geistiges Erbe unserer europäischen Kultur sind. Es besteht nicht die geringste Notwendigkeit, in den Osten zu gehen, um sie zu finden», erzählt mir der 46-jährige deutsche Regisseur Philip Gröning. Er ist eine offensichtlich bescheidene aber entschlossene Person. 15 Jahre lang hat er dieses Filmprojekt verfolgt, viele davon musste er warten, um seine Filmkamera in das Kloster bringen zu dürfen.

Eine unangenehme Erfahrung
164 Minuten Stille, ohne musikalische Untermalung, ohne Gespräche und ohne Erzähler. Lediglich unterbrochen von den seltenen Geräuschen des Alltagslebens und dem Psalmengesang der Mönche. Mit einem Male betäuben die Dolby-Sorround-Anlagen der Kinosäle das Gehör nicht mehr und dröhnen nicht mehr auf es ein. Mit einem Male bedrängt der Zuschauer die Bilder auf der Leinwand mit seinen Fragen und seinen Gedanken. Mit einem Male beherbergen jene weltlichen Tempel von heute namens Kino einen Kurs von Mini-Exerzitien, die gehalten werden von den Blitzlichtern eines Lebens aus der anderen Welt, die über den großen Bildschirm flimmern.
Eine unangenehme, unangepasste und unerhörte Erfahrung. An den alten und jungen Gesichtern, die von Grönings Objektiv beobachtet wurden und die ihrerseits dessen verwunderte Beobachter waren, lässt sich erkennen, dass es sich nicht um Helden des Verzichts oder um Weltmeister der Askese handelt. Es handelt sich vielmehr um Männer, die die Ansprüche ihres Herzens ungeheuer ernst genommen haben und die einen Ort gefunden haben, an dem sie sich mit vertrauensvoller Geduld um diese Ansprüche kümmern können. Diese Männer haben eine menschlich gesehen unmögliche Herausforderung angenommen: den Rest ihres Lebens in der Abgeschiedenheit der Zelle zu verbringen und sich auf ein Minimum an Kontakten mit dem Rest der Welt zu beschränken. Unter gewissen Gesichtspunkten handelt es sich also um einen sehr «individualistischen» Orden. Kann man so wirklich leben? Immer allein essen? Ein Leben ohne ein «Hallo» oder ein «Wie geht's?« (man rechne nur einmal nach, wie oft wir durchschnittlich am Tag Grüße erteilen oder entgegennehmen), ohne Komfort, ohne Zeitungen, ohne Radio und ohne Fernsehen?

Die Radikalität der Kartäuser
«Was mir in der Grande Chartreuse (Großen Kartause) am meisten gefehlt hat, war das Fleisch, das nicht zur Ernährung der Kartäuser gehört», erzählt der Regisseur, der dort sechs Monate wie ein Mönch lebte, mit einem Lächeln. «Am Nachtgebet in der Kirche habe ich fast immer teilgenommen. Ich habe nur zweimal gefehlt.» Die Radikalität der Kartäuser ruft Neugier hervor und ist anregend. Sie hat Gröning die so radikale Machart seines Films auferlegt, die ihrerseits wiederum viele zur ebenso radikalen Entscheidung gebracht hat, sich im Kino einen Film anzuschauen, der dem Papier nach unzugänglich für die gängigen Vorlieben und Gewohnheiten erscheint. Aber die Radikalität ist, wie wir wissen, anziehend: Das haben uns zu ihrer Zeit Benedikt und Franziskus gezeigt, ebenso wie Ignatius und Bruno. Im Kloster fließen Sein und Zeit ruhig und in gegenseitiger Harmonie dahin. Das gilt auch für das provisorische Kloster, in das der Kinosaal sich während des Films verwandelt. Der alte und blinde Mönch, der einzige, der gegen Ende des Films spricht, fragt: «Warum Angst haben vor dem Tod? Er ist das Schicksal jedes Menschen. Je näher man an Gott ist, desto glücklicher ist man. Und desto schneller gelangt man zu Ihm.» In diesem befreienden Bewusstsein zu leben, ist jede Abgeschiedenheit wert.
Grönings Film gleicht einer Rhapsodie, er ist eine neugierige und zugleich einfühlsame Mischung aus unverhohlenem Staunen und Wiederentdeckung des Mystischen durch den Menschen. Es ist ein bisschen der Blick des Kindes, das überall nach dem Geheimnis der Geheimnisse sucht. Dieses Geheimnis treibt das Leben an, hält es in Schwung und macht es schön. Wie kindlich klingt das Gelächter der Mönche während des Sonntagsspaziergangs (einer der wenigen von der Regel erlaubten gemeinschaftlichen Momente), während sie auf dem Schnee gleiten. Und wie zärtlich klingen der Zuruf an die Katzen und die wenigen Worte, die einer der Brüder an sie richtet, während er den Tieren zu fressen gibt. Unerhört, ein «Bruch» der Regel! Mit deinesgleichen sprichst Du nicht und lässt es dann an den Katzen aus? Gröning erzählt: «Als ich den Film in der Kartause vorführte, hat sich nur ein Teil der Mönche entschieden, ihn anzuschauen. Und sie haben sich sehr dabei amüsiert, ihren Mitbruder bei dem "heimlichen" Dialog mit den Katzen zu entdecken. Daran habe ich gesehen, dass die Regel kein Käfig für sie ist, sondern eher ein Handbuch, das sicherlich streng, aber keineswegs mechanisch ist. Es soll dazu dienen, mit einer größeren Freiheit vertraut zu werden.»