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Briefe
Briefe März 2006
Zusammengestellt von Paola Bergamini

Hinter Gittern
Lieber Don Carrón, wir schreiben Dir immer noch aus dem Gefängnis von Brucoli, wir sind Deine «engsten» Freunde, die Dir für den schönen und ermutigenden Brief danken wollen, den Du uns zu Weihnachten geschrieben hast. Die Zuneigung und die brüderliche Liebe, die Du uns noch immer zeigst, ist ein Grund mehr, um gegen dieses Gefängnisleben anzukämpfen und es mit Mühe zu schleppen, das uns jeden Tag versucht, zu ersticken. Auf diesem schwierigen Weg hat uns unser Bruder Prof. Giovanni geistig aufgenommen, er hat uns im Namen des Herrn umarmt und er hat uns die Liebe und die Barmherzigkeit Gottes, den Frieden, die Gelassenheit, die reine und ehrliche Freundschaft mitgeteilt, diese wahre Freundschaft, die uns in unserem Leben so sehr gefehlt hat. Jetzt würden wir in die ganze Welt hinausschreien wollen, dass es keine größere Freude gibt als eine gelebte und geschenkte Liebe Dem gegenüber, der uns geschaffen hat. Jetzt haben wir vor nichts mehr Angst, wir haben den Mut zu kämpfen, weil Gott mit uns ist und gewiss keine Versuchungen zulässt, die unsere Kräfte übersteigen. Wir fühlen uns wie Kinder, die ihre ersten Schritte tun und froh darüber sind, wenn sie noch hinfallen, weil wir durch die Begleitung und Unterstützung durch den einzigen Vater, der im Himmel ist, die Kraft haben, wiederaufzustehen. Jetzt können wir jederzeit wiederanfangen und alles Christus geben. Und er ist immer bereit, uns aufzunehmen und auf unsere Liebe bis ins Letzte zu antworten, indem er uns alles schenkt. Wir werden es nie schaffen, alle Geschenke Gottes in unserem Leben aufzulisten. Vergeben worden zu sein und zu vergeben ist stets ein Weg voller Freude, weil in jeder Prüfung es jemanden zu trösten und zu bestärken gibt; es gibt keine größere Freude, als die eigenen Leiden zu vergessen, um die der anderen zu lindern, weil das Leben stets Erinnerungen bereithält, die unsere Freude wieder wachsen lassen. Diese Gedanken kommen uns spontan aus unserem Herzen, das nicht mehr ein verhärtetes und durch die Sünde verwelktes Herz ist. Was will Gott mehr von uns? Was sollte er uns anderes schenken? Er hat uns alles gegeben und wir versprechen, seine Gnade mit dem Glauben vollständig zu erwidern, der über Jahre eingeschläfert war. Bruder Giovanni hat uns beigebracht, dass nur der Glaube helfen kann, die Unermesslichkeit und das Geheimnis des Kreuzes zu verstehen, das wir in diesem Abschnitt des Lebens, der so fürchterlich unwegsam ist, leben. Lieber Don Carrón, jetzt wollen wir Dich um einen großen Gefallen bitten. Bete stets besonders für uns, die wir gerade eine sehr kritische Zeit unseres Lebens durchmachen. Indem wir unserem Vater im Himmel danken, senden wir Dir eine brüderliche Umarmung.
Antonio, Massimo, Licciardello Salvatore, Giuseppe, Augusta

Das gemeinsame Rosenkranzgebet
Lieber Don Carrón, wir sind eine Gruppe von Müttern. Am 15. Oktober 2003 haben wir auf den Vorschlag von Cristina hin begonnen, uns zu treffen, um den Rosenkranz zu beten, und zwar um 17.00 Uhr. Dieser Zeitpunkt ist für uns wichtig: er bedeutet nämlich, dass wir unsere Kinder schon vom Kindergarten und der Schule abgeholt haben und dass sie auch am Rosenkranz teilnehmen. Etwa drei Kinder pro Kopf und fünf Mütter im Durchschnitt, so haben wir folglich um die 15 Kinder zusammen. Seit diesem 15. Oktober wurde das Rosenkranzgebet nie unterbrochen, außer am Donnerstag des Begräbnisses von Don Giussani. Die größeren Kinder beten ein Gesetz mit uns, die kleineren lernen langsam den Respekt vor unserem Gestus. Wir treffen uns im Haus mit dem größten Wohnzimmer, um die neuen Personen aufnehmen und beherbergen zu können, die wir nach und nach einladen. Letzten Sommer sind wir in den Stadtpark von Meda umgezogen. Unser Gestus hat befreundete Mütter aus Carate und Seregno «angesteckt»; die Letzteren von diesen haben mit dem Rosenkrangebet am Freitag angefangen. In unseren einfachen Gebetsgestus wurden besondere Anliegen miteinbezogen: die Krankheit des Papstes und die Don Giussanis, die Wahl des neuen Pontifex, deine Teilnahme an der Synode. Neben diesen gibt es die «alltäglichen» Anliegen: unsere Fraternitätsgruppen, unsere Kinder und unsere Familien, die Krankheit nahestehender Personen, die Priester und Seminaristen von San Carlo. Es gab auch einige wichtige «Begegnungen»: Maria, eine Freundin von uns aus Seveso, die beschlossen hat, ins Kloster zu gehen; Don Pepe von der Bruderschaft San Carlo, der Missionar in Wien ist und uns die kleinen Gemeinschaften der Bewegung in Wien und Budapest anempfohlen hat. Und schließlich einige Bücher, die uns berührt und die unseren Rosenkranz mit Bildern und Gesichtern bereichert haben: das Buch von Socci über Medjugorje und Die Heiligen Eltern Padre Gheddos. In diesen zwei Jahren haben einige von uns, Betti, Monica und Roberta ihre Mütter auf dem Weg ins Paradies begleitet; andere haben das Geschenk einer neuen Schwangerschaft erhalten. Für uns alle ist der Rosenkranz in erster Linie die Art und Weise, mit der sich das Geheimnis im Alltag vertraut macht. Und es ist auch ein Ort der Begegnung und der Freundschaft. Wir sind uns der Begleitung Giussanis, Johannes Pauls II. und aller Heiligen gewiss, sowie wir uns Deinem Gebet anvertrauen.
Seveso

Eine neue Existenzo
Durch die zufällige Begegnung mit dem ehemaligen CL-Freund Giulio hat mein Leben neu begonnen. Ich war früher ein «Ciellino». Dann aber habe ich mich anderem zugewendet. Freundin, Hochzeit, Kinder, Arbeit. Ich lebte gut. Christus bedeutete in meinem Leben nichts. Ich war ein «Sonntagschrist» geworden. Ich tat nichts Böses; wenn ich konnte, half ich anderen; und sonntags tat ich meiner Frau den Gefallen, zur Messe zu gehen, falls ich nichts Besseres vorhatte. Allmählich begann dieses Leben mich zu erdrücken; ich lebte nicht mehr gut. Also band ich mich an Materielles. Meine Familiezerbröckelte und ich konnte nichts tun. Die Beziehung mit meiner Frau wurde zunehmend zur Last. Ich fühlte mich gejagt, alles war schwer: nach der Arbeit nach Hause zu gehen ? Nunmehr war mein Leben wie ein Brocken, der mich von Tag zu Tag mehr erdrückte. Die Streitigkeiten mit meiner Frau und die familiären Auseinandersetzungen dauerten an und übertrugen sich auch auf unsere Kinder. Ich schweifte umher auf der Suche nach etwas, das meinem Leben einen Sinn geben könnte. Aber ich suchte an den falschen Orten. Bis zu dieser Einladung zum Seminar der Gemeinschaft. «Mal sehen, ob ich es nach der Arbeit schaffe», antwortete ich. Dann bin ich an einem Donnerstagabend hingegangen. Als ich nach Hause kam, fragte mich meine Frau, wie es war. Ich sagte, dass ich es nicht wüsste. Dann kamen die Einladungen zum Rosenkranz, und da wollte ich weg, ich fühlte mich bedrängt. Ich merkte, dass etwas passierte, wollte mich aber nicht in Frage stellen. Also floh ich. In dieser Situation begriff ich die Größe Gottes. Christus gibt uns nie auf. Seine Gnade ist immer da, wenn ein Sohn um Hilfe ruft. Jetzt werde ich mir bewusst, dass die Begegnung vor vielen Jahren noch aktueller und konkreter ist. Christus in die Mitte des Lebens zu stellen ist wie ein Leuchtturm in der Dunkelheit des Lebens: Er öffnet die Augen für den Weg, den wir laufen sollen. Jetzt gehört auch meine Frau zur Bewegung. Sie ist begeistert von dieser Gnade unter uns. Unsere Beziehung hat sich zum Guten gewendet. Als Familie zu leben ist nun schön, gibt mir Freude. Wir reden miteinander. Statt wie früher zu streiten, reden wir über das Seminar. Meine Frau ist fröhlicher, und jeden Abend freue ich mich, nach Hause zu kommen und sie zu umarmen. Christus ist unser Begleiter. Er ist der Sinn unseres Lebens. Und die Bewegung ist der Ort, wo wir uns helfen, gut zu leben und wo wir so vielen Geschwistern begegnen. In Begleitung von Christus zu leben verändert unsere ganze Existenz, es macht sie schöner und konkreter. Auch die Beziehung zu meinen Kollegen hat sich geändert. Sie sagten, ich sei anders als sonst; was passiert sei. Einer war besonders unnachgiebig im Fragen. Ich habe ihn dann zum Seminar eingeladen, weil Freude sich nicht in Worten erklären lässt. Er ist gekommen und nimmt jetzt auch daran teil. Zusammen haben wir die «Lebensmittel-Sammlung» mitgemacht. Es war ein wunderschöner Tag. Eine weitere Möglichkeit, die Gnade Gottes am Werk zu sehen, die Großartiges vermag.
Concetto, Latina

Caritativa
Die Erfahrung im Haus der Barmherzigkeit ist eine der erzieherischsten in meinem Leben. Ich gehe dorthin immer mit der Gruppe derjenigen, die auf der Station der Schwerkranken Lieder vorsingen. Es sind Menschen, die scheinbar keinen Kontakt zur Welt mehr haben. Das, was wir für sie tun, ist wirklich wenig: Wir besuchen alle zwei Wochen für eine Stunde Menschen, die uns möglicherweise kaum wahrnehmen, und singen für sie auf eine nicht gerade umwerfende Weise, da wir keine Profi-Sänger sind. Aber dieser einfache Gestus hilft mir, reifer zu werden und die Wirklichkeit besser zu beurteilen, vor allem weil es dabei offensichtlich wird, dass es nicht um meine Fähigkeit oder Begabung geht. Es gilt nur, da zu sein und mit dem ganzen Herzen diese Erfahrung zu bejahen. Dies trägt zu meiner Reife bei und ist zugleich eine Gnade für mich, so wie ich geschaffen bin. Ich merke dabei wirklich, wie meine Fehler bzw. meine Gaben unbedeutend sind: Ich kann für diese Leuten nichts tun, nur da sein und mich ganz ins Spiel bringen. Das kann einen entmutigen: Es ist offensichtlich, dass ich ihre Schmerzen nicht lindern und ihre Probleme nicht lösen kann. Ich frage mich auch: Was für einen Sinn hat dieses Leiden für sie? Was hat der Herr mit ihnen vor? Und mit ihren Familien? Diese Wirklichkeit ist sehr hart und zwingt mich und meine Freunde oft mit einem tiefen Mitleid im Herzen zu singen. Manchmal aber dreht ein Patient den Kopf zu uns oder fängt an, im Takt des Liedes mit den Fingern zu klopfen. Dann merkt man deutlicher, dass es doch einen Grund gibt, weswegen wir dorthin gehen, auch wenn wir nur so kurz bleiben und keine hervorragenden Sänger sind. Manchmal sind wir uns auch nicht ganz dessen bewusst, warum wir dort sind: Es ist wirklich deutlich, dass etwas Positives im Tagesablauf jener Menschen nicht durch unsere Leistung geschieht, im Gegenteil: Es geschieht trotz unserer Grenzen, nur weil wir «Ja» gesagt haben. Dies bewirkt eine Änderung der Perspektive meines Lebens und ist für mich eine Erziehung für den Umgang mit meinen Freunden.
Deborah, Wien

In die Höhe aufsteigen
Teresa Alyote asu Hoima, Uganda, ist am 4. Februar gestorben. Sie war verwitwet und gehörte zur Fraternität San Giuseppe. Sie war die Verantwortliche der Bewegung in Hoima. Patricia, ihre Tochter, studiert Medizin und leitet den CLU in Kampala. Pater Edo Mörlin hat in der letzten Zeit Teresa bei ihrem Hinscheiden täglich begleitet und ihr die Sakramente gespendet. Hier seine Predigt bei der Trauerfeier.
Im Drama von Paul Claudel Mariä Verkündigung, das Teresa sehr gerne hatte, lässt der Autor eine der Protagonisten, Violaine, folgende Worte aussprechen: «Die Heiligkeit besteht nicht darin, im Kampf gegen die Türken zu sterben oder einen Lepra-Kranken zu küssen, sondern den heiligen Willen Gottes immer und überall zu tun, sei es, dass er dich will, wo du bist, sei es, dass er von dir will, dass du in die Höhe aufsteigst.» Dieser Satz beschreibt das Leben von Teresa (ich meine den Abschnitt ihres Lebens, seit ich sie in den 80er Jahren kennen lernte und sie der Bewegung in Gulu begegnete). Indem sie Gott gehorchte und so in der Liebe zum Lebensalltag heranreifte, bereitete sie sich auf die Mission vor, zusammen mit Freunden der Bewegung und später der Fraternität das weiterzugeben, dem sie begegnet war. Und während der langen Jahre der mühsamen Mission in Hoima bereitete sie der Herr auf einen neuen Schritt vor, auf einen Aufstieg nach oben: Das war die Entdeckung der Schönheit der totalen Hingabe der Jungfräulichkeit in der Fraternität San Giuseppe, und zwar nach der tieferen Bedeutung dieses Wortes, so wie Don Giussani es erklärte: Jungfräulichkeit ist selber ganz vor Gott alleine zu stehen. Während sie im Alltag diese absolute Hingabe lebte, bereitete Gott für sie einen «höheren Aufstieg»: die Entdeckung, dass sie krebskrank war, als sie aus der Internationalen Versammlung der Verantwortlichen von Comunione e Liberazione in Italien zurückkehrte. Alle, denen die Gnade zuteil wurde, mit ihr diesen ganzen Weg bis zum heutigen Tag in der Umarmung Don Giussanis zu gehen, haben ein bisschen besser verstanden, welchen Form die Worte von Claudel für das eigene Leben annehmen können.
Pater Edo Mörlin, Hoima