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Islam - Interview mit Magdi Allam
Religionsfreiheit - der Ausgangspunkt
Alessandro Banfi

Wie steht es um die Beziehung zur islamischen Welt nach den Mohammed-Karikaturen, dem Mord am italienischen Priester Don Andrea in der Türkei und den Reaktionen des Westens? Hierüber sprachen wir mit dem stellvertretenden Direktor des Corriere della Sera, Magdi Allam.

Magdi Allam bezeichnet sich als weltlichen Moslem und italienischen Staatsbürger. Er ist stellvertretender Direktor des Corriere della Sera und gehört in Europa sicher zu den Experten in der Frage nach den Beziehungen zwischen dem Westen und der arabischen und islamischen Welt.

Magdi, beginnen wir mit der Krise, die die Karikaturen auslösten.
Zunächst muss man klar stellen, dass die Karikaturen von dänischen Zeichnern für eine dänische Zeitschrift gemacht wurden, die sie am 30. September des vergangenen Jahres veröffentlichte. Die Zeichner und die Zeitschrift haben ein legitimes Recht in Anspruch genommen, nämlich das der freien Meinungsäußerung, ein Angelpunkt westlicher Zivilisation. Für mich ist es ein unantastbares Recht, das nicht eingeschränkt werden darf, auch wenn ich die geäußerte Meinung absolut nicht teile. Was die Karikaturen angeht, so finde ich besonders die Darstellung Mohammeds mit einem Turban in Form einer explosionsbereiten Bombe äußerst fragwürdig. Sie gefällt mir nicht, weil sie die islamische Religion mit Terrorismus gleichsetzt. Zugleich finde ich andere geradezu erzieherisch, wie etwa jene, die Mohammed im Paradies darstellt, wie er den eintreffenden Selbstmord-Attentätern sagt: «Schluss jetzt, Schluss, es gibt keine Jungfrauen mehr.»

Ist das politische Satire?
Satire, die das absurde Versprechen an die Terroristen lächerlich macht, gewiss nicht die Religion. Ich will damit sagen, dass es in Europa normal ist, diese oder jene Meinung nicht zu teilen, aber es scheint absurd zu verlangen, anderen die eigene Meinung aufzwingen zu dürfen. Als Theo Van Gogh die Juden in übler Weise auf den Arm nahm, wurde er verklagt und verlor den Prozess. Als er die Moslems beleidigte, wurde er erst zum Tode verurteilt und dann umgebracht.

Aber warum jemanden beleidigen? Kann das Recht auf freie Meinungsäußerung nicht auch eine grundsätzliche Grenze haben?
Man muss die Umstände in Betracht ziehen, in denen die Angelegenheit gereift ist. Die Karikaturen werden zu einer Zeit veröffentlicht, in der Europa und der Westen vom islamischen Extremismus angegriffen werden und sind ein Zeichen des legitimen Willens, darauf zu reagieren. Zweitens habe ich schon mehrmals darauf hingewiesen, dass Mohammed in der Tat keine Heiligenfigur ist. Er ist ein Mensch wie andere, der die göttliche Offenbarung empfangen hat. Es ist nicht gotteslästerlich ihn zu zeichnen, es gibt Hunderte von Abbildungen Mohammeds durch Moslems.

Und doch behaupten Kritiker der Karikaturen, sie hätten den Zorn einer ganzen Glaubengemeinschaft ausgelöst.
Vorsicht, denken wir daran, dass zwischen der Veröffentlichung und der gewaltsamen Reaktion in den arabischen und islamischen Ländern viele Monate vergangen sind. Warum? Man hat sogar entdeckt, dass eine ägyptische Zeitung bereits im Oktober einen Teil der Karikaturen wiedergegeben hatte und niemand daran Anstoß nahm. Die Wahrheit ist, dass zwischen September und Februar einige Drahtzieher des Terrorismus eine Kampagne organisierten, für die sie extremistische Gruppen mobilisierten und Regierungen unter Druck setzten. Diese Propaganda- und Hasskampagne führte schließlich zur Brandschatzung europäischer Botschaften. Es ist eine Gewalttätigkeit nach terroristischem Muster und ich würde auch sagen eine «professionelle» Gewalt. Diese «Massenproteste» hatten nichts Spontanes.

Hat der Mord an Don Andrea Santoro in der Türkei mit diesem Klima der Konfrontation zu tun?
Sehr viel. Es ist irreführend und auch etwas heuchlerisch zu glauben, ein exaltierter und psychisch labiler Junge sei daran schuld. In der Türkei breitet sich eine antiwestliche, antijüdische und antichristliche Kultur aus, und in diesem Umfeld ist die Mordtat an dem italienischen Priester gereift. Das sind Länder, in denen es keine Religionsfreiheit gibt und die christlichen Kirchen im Untergrund leben. In einigen Fällen ist Bekehrung eine Straftat, nämlich Abfall vom Glauben, deretwegen man, je nach Gesetzgebung, in einigen Staaten auch die Todesstrafe riskieren kann.

Wäre es nicht besser, statt ätzender Kritik den Weg des Dialogs zu versuchen, zum Beispiel mit dem sogenannten moderaten Islam?
Papst Benedikt XVI. ist immer einer der Hellsichtigsten gewesen, die darauf hinweisen, dass der Westen sich selbst hasst, und es nicht versteht, seine eigene Identität und die eigenen geistigen Wurzeln zu verteidigen. Der Westen büßt für diese Schwäche, die sich oft hinter den schönen Worten «Wille zum Dialog» versteckt, während sie eigentlich nur der Verzicht auf die eigene Rolle ist. Wem zum Beispiel das Recht aller auf Leben nichts gilt, dem darf man nicht die Hand drücken. Zweitens fehlt besonders Italien eine Strategie für eine wirkliche Integration von Einwanderern. 95 Prozent der bei uns lebenden Muslime kennen kaum die italienische Sprache und respektieren kaum unsere Kultur und die katholische Religion. Sie fühlen sich nicht als Teil der italienischen Gesellschaft. Bevor wir von Dialog reden, sollten unsere politisch Verantwortlichen eine ernsthafte Strategie zur Integration vorlegen. Es gibt nichts außer der Schule für schulpflichtige Kinder. Zur italienischen Staatsangehörigkeit kommt man eher zufällig, auf bürokratischem Weg. Stattdessen sollten sich die Einwanderer, nicht nur die Muslime, als integrierender Bestandteil eines italienischen Wesens fühlen, das sich auf vielerlei Weisen zeigen kann.

Ist auch das vom Minister Giuseppe Pisanu beim Innenministerium eingerichtete Beratergremium für den italienischen Islam eine falsche Idee?
Nein, sie ist an sich gut. Das Innenministerium mit einem Organ auszustatten, das der Regierung hilft, die Probleme zu erkennen, kann als Hilfsmittel für eine größere Integration sehr nützlich sein. Schade, dass diese Initiative erst am Ende der Legislaturperiode gestartet wurde, die zweite Sitzung bereits mitten im Wahlkampf stattfand, und dass alles nach einem gewissen Opportunismus riecht. Im Corriere della Sera habe ich eine Auseinandersetzung mit Pisanu geführt wegen der Öffnung des Gremiums für den Vertreter der Moslembruderschaft in Italien, Nour Dachan. Meines Erachtens muss der Dialog auch innerhalb des Beratergremiums weitergeführt werden, allerdings unter Beachtung einiger Grundsätze.

Welcher?
Dachan leugnet das Existenzrecht Israels, möchte die Sharia durchsetzen, rechtfertigt die Attentate auf unsere Soldaten. Man kann keinen Dialog führen mit jemandem, der denkt, Israel müsse zerstört werden und der Holocaust habe nie stattgefunden. Ich wiederhole: Der Dialog kann keine so irrigen Ideen rechtfertigen. Erkennt den Grundsatz der Religionsfreiheit, der Heiligkeit des Lebens, das Existenzrecht Israels an, dann werden wir miteinander sprechen.

Benedikt XVI. ist in die Türkei eingeladen worden.
Ich habe nichts gegen einen Besuch des Papstes in der Türkei, solange er mehr als einen medienwirksamen Händedruck erreicht, der keine Klarheiten schafft. Wir stehen hier vor einer Kultur, die einen Abgrund an religiöser Perversion darstellt: Man tötet im Namen Gottes und sehr oft tötet man Menschen, die sich an heilige Stätten begeben. Wichtig ist vielmehr, dass man in der Türkei, vor allem in der Türkei, in deren Geschichte eine anfängliche Laisierung des Islam stattgefunden hat, das Prinzip der Religionsfreiheit bejaht. Ein Prinzip, das heute praktisch verneint wird, aber wesentlich ist für die Entwicklung der Freiheit ganz allgemein. So kann ein Prozess wirklicher Liberalisierung in Gang kommen, ein positiver Prozess. Es ist auch ein Recht der gläubigen Moslems selbst, sich von der Gewalttätigkeit des Extremismus zu befreien.

Im Corriere della Sera hast du dich auch kritisch mit Minister Calderoli auseinandergesetzt, der die aus Palästina stammende Journalistin Rula Jebreal als «gebräunt» apostrophiert hatte.
Ja, ich schrieb: «Ich bin gebräunt», um meine Verstimmung und meine Missbilligung zu unterstreichen. Jede pauschale Verdammung des Islam ist zutiefst falsch und macht mir Angst. Wenn man je aus dieser Krise herauskommt, dann vor allem dank der Muslime, die die Ideologie des Todes ablehnen. Aber vergessen wir nicht, dass es der Westen ist, der angegriffen wird. Man kann keine Parallelen zwischen Calderoli und Bin Laden ziehen. Das wäre auch ein grotesker Fehler.