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Briefe
Briefe November 2006
Zusammengestellt von Paola Bergamini

Beim Anblick der Sterne
Es ist Abend. Ich bin mit Simone, meinem 5-jährigen Adoptivsohn, seinem 10-jährigen Cousin Andrea und Alberto, dem 9-jährigen Bruder von Andrea im Garten. Als es dunkel wird, beschließen wir, uns auf den Rasen hinterm Haus zu legen und die Sterne anzuschauen. Auf einmal sieht Andrea eine Sternschnuppe. Ich sage zu ihnen: «Ihr müsst euch etwas wünschen!» Und Alberto antwortet spontan: Ich möchte eine Mitra». Ich sage: «Aber nein! Man muss sich etwas Großes, Wichtiges, Schönes wünschen!» darauf sagt Simone ganz ernst: «Ich habe einen wichtigen Wunsch: ich möchte Jesus!». Ich bekomme plötzlich eine Gänsehaut. In diesem Augenblick geht mir durch den Kopf, welche Gnade ich erhalten habe. Ich sehe vor meinen Augen Carrón auf dem Petersplatz am 3. Juni, wie er die Schlussfolgerung von Don Giussani vom 30. Mai 1998 aufgreift: «Christus, der um das Herz des Menschen bettelt und das Herz des Menschen, das um Christus bettelt », die Exerzitien, das ganze Seminar der Gemeinschaft, die Gnade der Begegnung mit der Bewegung, unseren Papst, die Kirche mit ihren 2000 Jahren, Jesus Christus gestorben und auferstanden, Abraham, die Schöpfung, die Sterne. All das zusammengefasst in drei Worten von einem 5-jährigen Kind. Ich habe die Gottesmutter darum gebeten, dass sein Wunsch ihm in seinem langen und offensichtlich heiligen Leben niemals vorenthalten wird.
Roberto, Bagnatica

Ein Semester in Bayreuth
Ich bin als Erasmusstudentin für 6 Monate nach Bayreuth gekommen. Als man mir sagte, dass es dort niemanden von der Bewegung geben würde, hatte ich große Angst. Ich dachte, dass es an einem Ort ohne Verweis auf etwas und vor allem an einem Ort, wo ich niemanden kenne, unmöglich sei, die gleiche Erfahrung zu leben, die ich an der Cattolica in Mailand mit meinen Freunden mache. Als ich meinem Freund von meinen Ängsten erzählte, sagte er mir: «Sei unbesorgt. Du bist nie allein. Wenn du auf diesen Weg geführt wurdest, sei dir sicher, dass Er der dich dort gewollt hat, dich nie auch nur für eine Sekunde verlassen wird. Und was ist schließlich die Mission, wenn nicht das, was du in diesen Monaten leben wirst. Glaubst du, als Don Giussani mit der Bewegung begonnen hat, war er von Leuten von CL umgeben? Er war allein, “allein” mit der Schönheit, der er begegnet war. Und er war mit denen zusammen, die ihn umgaben, indem er in jedem Gestus den Sieg Christi über alles bezeugt hat».
Trotz all der Aufregung konnte ich diese Wahrheit nicht leugnen. Und dann bin ich abgereist. Es war mühsam, manchmal sehr mühsam, aber dank dreier Geschenke – ein Rosenkranz von Giuditta, einer kleinen Madonna von meinem Freund und einem Gebet von meiner Schwester – habe ich mich letztendlich nie allein gefühlt, denn Wunder geschehen täglich. Man braucht nur die Demut, um ein einfaches und offenes Herz zu bitten und so immer und intensiv die Wirklichkeit zu leben. Eine große Hilfe dabei waren die drei Eröffnungstage mit der Bewegung in Deutschland. Ich kannte nur drei Personen, aber ich fühlte mich wie zu Hause und kehrte nach Bayreuth mit einer Freude und Tiefe zurück, die meine Mühen zweitrangig werden ließen. Denn es kostet mich weiterhin große Mühe, aber «unsere täglichen Grenzen sind dazu bestimmt, groß zu werden wie der Blick der Gottesmutter». Ich bitte darum, dass mir dieses Wunder jeden Tag geschieht.
Chiara, Bayreuth

Augenblicke der Menschlichkeit
Ich bin 19 Jahre alt und habe aus vielen Gründen vor zwei Jahren die Gemeinschaft von GS verlassen, um mir mein eigenes Leben aufzubauen. Es waren zwei Jahre mit großen Erfolgen für mich und ich war überzeugt davon, dass das, was ich am meisten wollte, 100 Punkte im Abitur waren und bei der Fakultät angenommen zu werden, die mich am meisten interessierte. Ich habe mich auch von den Personen entfernt, die mich gern hatten, weil ich zu beschäftig damit war, eine perfekte Studentin zu werden, eine perfekte Mitarbeiterin (ich begann im Sommer mit kleinen Jobs und war überzeugt davon, dass ich mir mit meinem «Gehalt» ein perfektes Leben aufbauen würde), perfekt in allem und allein. Dann im letzten April, als ich die Noten, die ich wollte, in der Tasche hatte und auf die 100 Punkte zusteuerte, sah ich mich um und erkannte, dass ich einen absolut nutzlosen Weg eingeschlagen hatte, der mich nirgendwo hin geführt hatte. In diesem Durcheinander lernte ich Chiara kennen, aus dem GS Chor in Rimini (ich hatte zerstreut begonnen, dort mitzusingen um einen Eindruck zu erhalten). Durch sie habe ich verstanden, dass ich, so wie ich bin, in Ordnung bin, auch wenn ich nicht Miss Perfect bin. Meine Mutter sagt, dass ich mich verändert habe, seit ich sie und die anderen Studenten aus Rimini kennen gelernt habe. Ich weiß nicht, ob das stimmt, denn meine polemischen und misstrauischen Positionen in Hinblick auf bestimmte Erfahrungen sind dieselben geblieben. Aber ich merke, dass ich gelernt habe, menschliche Beziehungen einzugehen, die über ein Ich-und-Ich selbst hinausgehen, und dass es mir, seit ich ihre Freundschaft als Bezugspunkt habe, besser gelingt, mein ungeordnetes Leben anzugehen. All dies wurde mir letzten Sonntag beim Eröffnungstag der Stundenten von Bologna durch Carrón klar: Er sprach von Augenblicken der Menschlichkeit, die die Vernunft weiten, von Ereignissen, die unbändige Freude hervorrufen, von Begegnungen, die uns alltägliche Dinge in einer nicht alltäglichen Art leben lassen.
Chiara, Cesena

Erziehen in Kalifornien
Kürzlich wurde ich gebeten, den Bereich Evangelisierung und Katechese der Diözese Sacramentos zu leiten. Nachdem ich 21 Jahre an Gymnasien unterrichtet hatte, sagte ich etwas unwirsch zu Giorgio Vittadini: «Ich habe keinen Ahnung von Evangelisierung und Katechese, ich kenne nur unser Charisma.» Er antwortete: «Was brauchst du denn mehr?» So begann ich das Abenteuer als Verantwortlicher für die religiöse Erziehung von etwa einer halben Millionen erwachsenen Katholiken der Diözese, die sich über 100 Kilometer erstreckt. Am Anfang fühlte ich mich fast überfordert. Meine Freundin Olivetta erzählte mir dann von der Zeit, als sie vor 30 Jahren im Vatikan arbeitete und Don Giussani ihr sagte: «Jeden Tag, den du dich dort hinbegibst, wisse, dass du für sie das Gesicht von CL bist, das Gesicht unserer Bewegung.» So gab ich mich mit genau diesem Gedanken zur Arbeit. Gleichzeitig betete ich um dieses Bewusstsein. Ich wusste, dass die Bischöfe mich gebeten hatten, mit ihnen zusammenzuarbeiten, weil das, was wir mitbringen, faszinierend ist. Der Einstieg in mein neues Amt erfolgte bei der Religious Education Convention (Versammlung über die religiöse Erziehung) in unserer Diözese, wo ich über das Thema: Lehren bedeutet Befreiung sprach. Dabei verwendete ich die Einleitung aus Giussanis Buch Das Wagnis der Erziehung. Am Ende des eineinhalbstündigen Vortrags in dem berstend vollen Saal kam es zu unglaublichen Reaktionen. Die Leute kamen zu mir und fragten mich, wo sie Don Giussanis Bücher kaufen könnten, wann wir die Diskussion fortsetzen könnten und ob ich bereit wäre, in der Gemeinde darüber zu sprechen. Eine Frau schrieb mir kurze Zeit später einen Brief: «Gestern als ich meine Katechisten traf, habe ich ihnen genau das erzählt, was Sie uns bei der Konferenz gesagt haben: Die Verantwortung, die Tradition weiter zu geben und unseren Schülern und Studenten zu helfen, das zu sehen, was wir sehen.»
Am folgenden Tag, als ich mich gerade mit der Vikarin, einer Ordensfrau, zu einer weit entfernten Gemeinde begab, berichtete ich ihr von meinem Beitrag und der Reaktion des Publikums. Sie war sehr interessiert und wollte Genaueres über das Charisma von Giussani, seine erzieherische Methode und CL in den USA wissen. Nach der dreistündigen Fahrt schlug sie mir vor, den religiösen Orden der Diözese vom Charisma der Bewegung zu erzählen, da man so wenig über die Bewegung wisse und es offensichtlich sei, «dass sie Frucht des Heiligen Geistes ist». Genau das tat ich gestern. Ich sprach vor 65 Mitgliedern verschiedener religiöser Orden unserer Diözese und gab jedem ein Exemplar von Spuren. Die Reaktion war wieder positiv und wir planten einen Tag des Dialogs für alle Bewegungen in der Diözese, so wie er schon in Rom stattgefunden hatte. Anschließend bat mich die Vikarin, einen Kurs in fünf Abschnitten über die erzieherische Methode Giussanis für die Lehrer der Diözese Sacramentos zusammenzustellen und bei der Jahresversammlung für Lehrer an katholischen Schulen über das gleiche Thema zu sprechen. Es ist nicht einmal zwei Monate her, seit ich mit der Arbeit begonnen habe. Das Gefühl der Beklemmung ist nun von einer unendlichen Dankbarkeit für diese Freundschaft und für jene Personen begleitet, die hungrig und durstig nach Christus sind. Don Giussani hat uns gelehrt, diese Antlitze mit Zuneigung anzuschauen.
Holly, Sacramento

Ergriffen von Christus
Lieber Julián, ich habe gerade mit dem Studium begonnen. Alles ist neu für mich. Am ersten Tag brauchte ich etwa 20 Minuten, um den Hörsaal zu finden … Mich erschreckte die Idee, alles wieder von vorne anfangen zu müssen und alle neu kennen zu lernen, zumal ich in meinem Heimatort alles und jeden wie meine eigene Westentasche kenne. So verbrachte ich die letzten Tage vor Semesterbeginn damit, ziellos im Haus umherzuirren und nach einem Vorwand zu suchen, um nicht zur Uni gehen zu müssen. Doch war ich schließlich gezwungen hinzugehen. Und alles kam völlig anders, als ich es mir vorgestellt hatte. Es war beeindruckend zu sehen, wie ungezwungen der Umgang mit den älteren Studenten vom CLU war. Ich erschien an den Ständen für Erstsemestler, und sofort war man bereit, mir zu helfen, zu erklären, wie alles funktionierte und selbst auf die dümmsten Fragen zu antworten. Und das war nicht nur an den Ständen der Fall, sondern überall in der Universität. Was mich besonders gewundert hat, ist die ummittelbare Vertrautheit mit (fast) allen Studenten von CL. Ich denke an die Personen, mit denen ich im Kurs bin. Ich kannte sie vorher nicht und jetzt verbringe ich den ganzen Tag mit ihnen. Man spricht fünf Minuten und schon ist man stets aufmerksam, interessiert sich für deine Probleme und den Verlauf deiner Kurse und alles andere! Das hat mich tief berührt. Ich habe mich gefragt, woher eine solche Verfügbarkeit mir gegenüber kommen könnte, bis ich dann den Text von der internationalen Versammlung im August las. Du sprachst dort von der Einheit, die alle ergreift, die von Christus ergriffen werden. Und das ist genau die Antwort auf meine Frage. Welches Interesse könnte ein Student für mich haben, der fünf oder sechs Jahre älter ist als ich und gerade sein Studium abschließt; ein Student, der andere Interessen hat als ich und dem ich auf den ersten Blick nicht besonders sympathisch bin? Offensichtlich keines. Aber von Christus ergriffen zu werden, dieselbe Erfahrung der Bestimmung zusammen zu leben, das alles lässt uns enger befreundet und vertrauter werden als mit Personen, die ich schon ewig kenne.
Lucia, Milano

Ein Wochenende mit dem Chor
Liebe Freunde, das Chorwochenende ist für mich Anlass, euch diesen Brief zu schreiben.
Zuallererst will ich euch danken, dass ihr eure Stimme, eure Zeit, eure Person einsetzt für den Chor und überhaupt für den Dienst des Gesanges in unserer Gemeinschaft. Es ist nicht selbstverständlich und stellt ein wertvolles Zeugnis dar: danke – auch im Namen aller anderen Freunde!
Zugleich möchte ich mir und durch euch der ganzen Gemeinschaft in Erinnerung rufen, welche Wertschätzung Giussani für den Chor hatte. Für ihn war der Gesang «der höchste Ausdruck des menschlichen Herzens»: «Kein Ausdruck menschlicher Empfindungen ist größer als die Musik. Wer kann vor der Klangpracht einer Klaviersonate unberührt bleiben? Wen berührt es nicht, wenn die Streicher zu spielen beginnen? Das scheint das Höchste zu sein. Wenn aber die menschliche Stimme zu singen anhebt, dann … Geht es euch nicht auch so? Die menschliche Stimme ist noch schöner, wie es Schöneres nicht gibt. Wahrlich: es gibt innerhalb der Gemeinschaft keinen größeren Dienst als den des Gesanges!» – so Giussani bei einem Treffen, das er 1994 mit Sängern und Mitgliedern des Chores der Bewegung hatte (vgl. Tracce, April 1994).
Weiterhin sagte er: «Das, was vom Gesichtspunkt des Ausdrucks am meisten hilft, das, was wirklich die Schönheit mehrt, ist das Singen für die Gemeinschaft. Ich betone das Wort für. Zum Beispiel bei den Exerzitien: wenn jemand von euch ein Solo-Lied singt, dann soll er es nicht vor 16.000 Personen tun, sondern für sie! Das ist der Unterschied zwischen Vasco Rossi, der sicherlich ein guter Sänger ist, und euch, die ihr der Chor von dieser Gemeinschaft seid. Durch euch kommen die 16.000 Freunde zum Ausdruck, deren Bewusstsein gewinnt Ausdruck, ihr seid die Stimme dieses Leibes, dieses Volkes, die Stimme der Bestimmung dieses Volkes. Wenn Vasco Rossi vor Tausenden singt, drückt er sich selber aus und bestätigt dadurch die Einsamkeit und Leere derer, die ihm, als Verehrer, zuhören. Wenn aber ihr in Rimini bei den Exerzitien, singt, dann seid ihr der Ausdruck dessen, was wir alle sind: ihr seid Wir und eure Stimme erhebt sich und erreicht einen jeden von uns als reines Geschenk. Daher ist der Gesang etwas Ungeschuldetes, der Gesang ist Caritas – Liebe. Reine Liebe. Wenn ich euch einen Tipp geben darf: seid nicht allzu sehr um euch selbst besorgt, um eure Fähigkeit. Der Inhalt eurer Sorge und Aufmerksamkeit kann nicht euer Können sein, sondern die Tatsache, dass ihr das Bewusstsein dieses Volks seid. Der Chor, der Gesang, ist der nützlichste und der ganz und gar ungeschuldete Dienst innerhalb der Gemeinschaft».
Mit diesen Worten Giussanis wünsche ich euch ein gutes Chorwochenende!
Romano, Freiburg