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Arabischen Ausgabe von Der Religiöse Sinn
Die Frucht der Freundschaft
Der Vorrang der Tatsachen

Luca Doninelli

Die kulturelle Tragweite einer Begegnung beginnt bei der grundlegenden Erfahrung, die aus der Forderung nach Wahrheit, Liebe, Gerechtigkeit und Glück besteht. Die Vorstellung der arabischsprachigen Ausgabe von Der Religiöse Sinn von Don Giussani. Ein Beitrag zur Ausweitung der Vernunft, wie sie Benedikt XVI. verlangt.
Die Veröffentlichung des Buches Der Religiöse Sinn von Don Luigi Giussani auf Arabisch ist keine x-beliebige Übersetzung. Gewiss sind alle Übersetzungen gleich wichtig. Doch besitzt sie in diesem Falle eine außergewöhnliche kulturelle Tragweite. Die Universität und das Kulturzentrum von Mailand hatten die Präsentation des Werkes Ende Oktober an der Università Cattolica unter dem Titel Die Vernunft ausweiten organisiert.

Bei der Vorstellung betonte Don Ambrogio Pisoni, dass dies trotz seiner ganzen Außergewöhnlichkeit, dennoch zur Normalität eines christlichen Lebens gehört –insofern die Sorge um die Mission Teil des alltäglichen christlichen Bewusstseins ist.
Diese Feststellung verbindet das christliche Genie mit der Einfachheit des christlichen Lebens und dies war auch das Anliegen des Treffens mit Vorträgen von Wa’il Farouk, Muslim und Dozent für Islamwissenschaften an der koptisch-katholischen Universität von Sakakini, Kairo und Don Julián Carrón, zur Zeit Dozent für Einführung in die Theologie an der katholischen Universität von Mailand.

Drei Ebenen der Lektüre
Die klugen und klaren Ausführungen von Farouk waren vor allem das Zeugnis eines Muslim, der vom Religiösen Sinn tief ergriffen ist. Unter den verschiedenen Ebenen der Lektüre des Textes, stellte er die persönliche in den Vordergrund. Dabei wurde deutlich: Wenn der Dialog der Religionen nicht vorankommt, dann deshalb weil in diesem Dialog oft das zentrale Element fehlt, nämlich das Ich.
Das erkannte schon der heilige Thomas von Aquin. Er hatte in seinem Leben mehrfach mit Muslimen zu tun, und zwar nicht nur in der Beschäftigung mit Büchern: Wenn in dem Verhältnis zum anderen der gemeinsame Glaube keine Basis zum Verständnis bildet, dann bleibt der Verstand. Er gehört zu dem allen Menschen gemeinsamen Vermögen.
Mit anderen Worten: Die Lehrmeinungen nützen nichts, wenn kein «Ich» und «Du» dabei im Spiel sind. Ideen wie «Interreligiöser Dialog», oder weltlich gesprochen, wie Multikulturalität haben nur dann Sinn, wenn es bei ihnen um die Beziehung von konkreten Personen zueinander geht.
Es war die Freundschaft zwischen einem katholischen italienischen Studenten und Professor Farouk, die zunächst aus dem einfachen Bedürfnis entstand, die arabische Sprache zu lernen. Doch dann erwuchs daraus das Interesse für die Worte des Mailänder Priesters. Worte, die seine religiöse Erkenntnis und seinen menschlichen Verstand weit öffneten und radikal veränderten. Sie halfen ihm dabei, dem Sinn seiner eigenen Zugehörigkeit zum Islam zu vertiefen und nicht etwa zu verleugnen.
Die Worte des Religiösen Sinns erleuchteten Schritt für Schritt die Begriffe, mit denen die arabische Sprache das Konzept des «Verstandes» im arabischen Volk beschreibt: Es ist die Idee der Bewegung, des Reisens des Unterwegsseins.

Wirklichkeit und elementare Notwendigkeiten
Don Julián Carrón vertieft hingegen die Idee des Verstandes als jener unvermeidbaren (doch leider oft vermiedenen) Beziehung zwischen der Wirklichkeit, also den konkreten Tatsachen auf der einen Seite und den elementaren Notwendigkeiten, die das «Herz» des Menschen ausmachen auf der anderen Seite. Carrón begann mit einem langen Zitat aus Nous autres, modernes (Wir anderen, die Modernen) von Alain Finkielkraut. Der französische Philosoph berichtet aus den letzten Jahren im Leben seines Meisters, Roland Barthes. Er war der «Guru» der französischen Kultur; er war «immer der erste, immer bei der Avantgarde», er war es, der das Prädikat «modern» zuteilte. Aber dann wurde Wirklichkeit, was er lange gefürchtet hatte, am 24. Oktober 1977 starb Finkielkrauts Mutter. «Auf einmal bedeutet es mir nichts mehr, modern zu sein», schreibt er ins Tagebuch, während er seine Mutter in ihren letzten Stunden pflegte. Wenige Tage nach diesem tragischen Ereignis, folgt eine andere Anmerkung: «Ich werde morgens wach und sehe vor mir das Programm der Woche, und habe keine Hoffnung: Immer dasselbe, dieselben Aufgaben, dieselben Termin, und trotz allem keine Investition, auch wenn einige Teile des Programms erträglich sind, wenn nicht gar angenehm.» Da ist es: Aus dem Gefängnis der Modernität beginnt sich der Verstand zu befreien – der Verstand nicht mehr als Spiel der Intelligenz, sondern als Anerkennung einer Tatsache. In dieser Anerkennung kommen die wirklichen Faktoren der menschlichen Erfahrung, kommt das «Herz» ins Spiel. Der Verstand nimmt nicht mehr einen Teil der Realität als Vorwand, um ihn in die eigenen vorgefertigten Interpretationsmuster einzuzwängen, sondern er geht in der Wirklichkeit auf. Denn der Verstand ist der Ausdruck unserer Abhängigkeit von einem Geheimnis, das uns gestaltet.

Schmerzhafte Rückständigkeit
Darin lag auch der Sinn des abschließenden Teils der Rede von Benedikt XVI. in Regensburg. Beide Redner hoben sie in ihrer Zentralität für den Weg der Kirche und für die Beziehungen zwischen Christentum und Islam hervor. Im Hinblick auf das Zitat von Regensburg aus dem Stück von Manuel II. Paläologos, das so viel Zorn und Gewalt in der islamischen Welt hervorgerufen hatte, ließ Farouk keinen Zweifel: Die Gewalt komme nicht aus dem Islam, sondern aus Umständen schmerzhafter Rückständigkeit.
Wir wollen dieses Thema an dieser Stelle nicht vertiefen. Dennoch gehört der Beitrag von Farouk zu den intelligentesten und tiefsten Versuchen auf den Anstoß, den der Papst mit seiner Provokation den muslimischen Freunden gegeben hatte. Farouk beschrieb sehr genau die eigenen Gefühle, die gleichzeitig dramatisch und glücklich waren. Und trotz aller Verschiedenheit der eigenen menschlichen, religiösen und kulturellen Geschichte, sagte er: «Hier aber bin ich zu Hause.»
Da kommen einem die Worte von Novalis in den Sinn, die Don Giussani so sehr geliebt hat: «Streng genommen ist die Philosophie (also der Verstand) Sehnsucht, der Wunsch, sich überall zu Hause zu finden.»
Dies alles fing wie immer äußerst menschlich an, nämlich mit der konkreten Freundschaft von zwei Personen, die ihre eigene Menschlichkeit bis zum Ende leben. Daraus kann alles entstehen, wie unvorstellbar es auch immer sein mag. Wir sind erst am Anfang.