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Glaube - Familie
«Ein Strahl des Göttlichen erschienst du mir o Weib, in deiner Schönheit»
Julián Carrón

Die Weitergabe des Glaubens in der Familie. Beitrag von Julián Carrón zum pastoraltheologischen Kongress vom 4. bis 7. Juli 2006 in Valencia anlässlich des V. Weltfamilientreffens mit Benedikt XVI.

Bei Menschen, die sich zur Ehe entschließen, kann man die dazu notwendige Reife offensichtlich immer weniger als selbstverständlich voraussetzen. Unabhängig von ihrem guten Willen zeigt die Wirklichkeit, dass viele Jugendliche zur Ehe gelangen, ohne sich der Natur des Abenteuers recht bewusst zu sein, das sie unternehmen wollen. Selbst bei jungen Christen kann man dies nicht mehr voraussetzen. Denn sie gelangen nicht selten unter ähnlichen Umständen zur Ehe wie ihre nicht christlichen Freunde. Der einzige Unterschied besteht dann darin, dass sie kirchlich heiraten und zumindest den Wunsch haben, eine Ehe zu führen, wie die Kirche sie verteidigt und bezeugt. Diesen Mangel an Bewusstsein kann man nicht mit den bekannten Ehevorbereitungskursen beheben, die ihrer Natur nach auf die Situation derer, die sie besuchen, keine Antwort geben können. Die ganze christliche Gemeinschaft steht vor einer großen Herausforderung: Ihre Fähigkeit steht auf dem Prüfstand, erwachsene Persönlichkeiten hervorzubringen, Männer und Frauen, die eine Ehe schließen können, mit zumindest einer gewissen Aussicht auf einen glücklichen Ausgang.
In einem Vortrag wie diesem, ist es nicht möglich, auf das gesamte Problem von Ehe und Familie einzugehen. Ich werde mich deshalb auf eine Frage konzentrieren, die mir wesentlich scheint, um diese besondere Beziehung zwischen Mann und Frau zu beleuchten.
Die Krise der Familie ist eine Folge der anthropologischen Krise, in der wir uns befinden. Die Brautleute sind zwei menschliche Wesen, ein Ich und ein Du, ein Mann und eine Frau, die beschließen, den Weg zu ihrer Bestimmung, zu ihrem Glück gemeinsam zu gehen. Wie sie ihre Beziehung gestalten und sie verstehen, das hängt davon ab, wie sich jeder von ihnen sein eigenes Leben, seine Selbstverwirklichung vorstellt. Das schließt eine Vorstellung vom Menschen und seinem Geheimnis ein. Die Frage nach dem rechten Verhältnis zwischen Mann und Frau - sagt Benedikt XVI. - wurzelt zutiefst im Wesen des Menschseins und kann ihre Antwort nur von hier aus finden. Sie kann also nicht getrennt werden von der uralten und immer neuen Frage des Menschen nach sich selbst: Wer bin ich? Was ist der Mensch?1
Deshalb ist die erste Hilfe, die man denen anbieten kann, die eine Ehe schließen wollen, dass man ihnen hilft, sich des Geheimnisses ihres Menschseins bewusst zu werden. Nur so werden sie ihre Beziehung im rechten Licht sehen können, ohne sich von ihr etwas zu erwarten, was ihrer Natur nach keiner von ihnen dem anderen geben kann. Wie viel Gewalttätigkeit, wie viele Enttäuschungen könnten in der ehelichen Beziehung vermieden werden, wenn die dem Menschen eigene Natur verstanden würde!
Das fehlende Bewusstsein des menschlichen Schicksals führt dazu, die ganze Beziehung auf eine Täuschung zu gründen: Die Überzeugung, dass das Du das Ich glücklich machen kann. Die Partnerbeziehung verwandelt sich so in einen ebenso erwünschten wie nutzlosen Zufluchtsort, um das Problem der Affektivität, des Anhängens an das wahre Schicksal zu lösen. Und wenn die Täuschung sich zeigt, ist Enttäuschung unvermeidbar. Denn der andere hat die Erwartung nicht erfüllt. Die eheliche Beziehung kann sich einzig und allein auf die Wahrheit eines jeden der beiden Partner gründen. Die Liebesbeziehung selbst trägt in besonderer Weise dazu bei, die Wahrheit des Ich und des Du zu entdecken. Und zusammen mit der Wahrheit des Ich und des Du zeigt sich die Natur der gemeinsamen Berufung.
Tatsächlich wird uns «das ewige Geheimnis unseres Seins» offenbart von der Beziehung mit der geliebten Person. Nichts weckt das uns wesenhafte Verlangen nach Glück mehr, nichts macht es uns bewusster als der geliebte Mensch. Seine Gegenwart ist ein so hohes Gut, dass sie uns die Tiefe und das wahre Ausmaß dieses Verlangens begreifen lässt: ein unendliches Verlangen. Was der Dichter Cesare Pavese von der Lust sagt, kann man auf die Liebesbeziehung anwenden: «Was der Mensch in der Lust sucht, ist ein Unendliches, und niemand würde je auf die Hoffnung verzichten, dieses Unendliche zu erreichen».2 Ein Ich und ein Du, beide endlich, wecken ineinander ein unendliches Verlangen und entdecken, dass ihre Liebe sie auf den Weg zu einem Ziel im Unendlichen führt. In dieser Erfahrung offenbart sich in beiden die eigene Berufung. Sie spüren, dass sie für einander notwendig sind, um nicht von der eigenen Begrenztheit gelähmt zu bleiben, nur mit der Aussicht auf die Langeweile der Einsamkeit.
Aber genau dann, wenn sich uns selbst die Grenzenlosigkeit unseres Verlangens offenbart, wird uns auch eine Möglichkeit der Erfüllung geboten. Mehr noch, wenn wir im geliebten Menschen die Verheißung der Erfüllung erahnen, aktiviert das in uns das ganze unendliche Potential der Sehnsucht nach Glück. Deshalb gibt es nichts, was uns das Geheimnis unseres Menschseins besser verstehen lässt als die Beziehung zwischen Mann und Frau. Daran hat uns Benedikt XVI. in der Enzyklika Deus caritas est erinnert: «die Liebe zwischen Mann und Frau, in der Leib und Seele untrennbar zusammenspielen, und dem Menschen eine Verheißung des Glücks aufgeht, die unwiderstehlich scheint als der Urtypus von Liebe schlechthin, neben dem auf den ersten Blick alle anderen Arten von Liebe verblassen».3
In dieser Beziehung scheint der Mensch der Verheißung zu begegnen, die ihn die eigene Begrenztheit überwinden lässt und ihm erlaubt eine unvergleichliche Fülle zu erreichen.4 So hat man in der Geschichte immer eine Beziehung zwischen der Liebe und dem Göttlichen wahrgenommen: Die Liebe «verheißt Unendlichkeit, Ewigkeit - das Größere und ganz andere gegenüber dem Alltag unseres Daseins».5
Das ist die Erfahrung, die der italienische Dichter Giacomo Leopardi in seiner Hymne an Aspasia bezeugt:
«Ein Strahl des Göttlichen erschienst du mir,
o Weib, in deiner Schönheit».6
Die Schönheit des Weibes wird vom Dichter als ein «göttlicher Strahl» wahrgenommen, als die Gegenwart der Gottheit. Durch ihre Schönheit klopft Gott an die Tür des Menschen. Wenn der Mensch aber nicht die Natur dieses Anrufs versteht und statt ihm nachzukommen, bei der Schönheit, die er vor sich sieht, stehen bleibt, wird die sich bald als unfähig erweisen, ihre Verheißung von Glück und Unendlichkeit zu erfüllen.
«Und noch vereint mit ihr, mit ihrem Leibe,
umfängt und liebt er dieses Bild, nicht sie.
Zuletzt erkennt er zürnend seinen Wahn
und sein vertauschtes Ziel, und ohne Fug
gibt er dem Weibe Schuld.»7
Das will sagen, dass die Frau mit ihren Grenzen im ebenfalls begrenzten Mann ein Verlangen nach Erfüllung weckt, dem nachzukommen ihre Fähigkeit übersteigt. Sie erregt einen Durst, den sie nicht löschen und einen Hunger, den sie nicht stillen kann. Daraus erklärt sich die Wut, die Gewalttätigkeit, die oft zwischen Eheleuten entsteht, und die Enttäuschung, der sie verfallen, wenn sie nicht die wahre Natur ihrer Beziehung verstehen.
Die Schönheit der Frau ist in Wirklichkeit «göttlicher Strahl», ein Zeichen, das über sich hinaus weist, auf etwas anderes, Größeres, etwas Göttliches, unermesslich im Vergleich zu ihrer begrenzten Natur.8 Ihre Schönheit ruft uns zu: «Ich bin es nicht ich. Ich bin nur ein Erinnerungszeichen. Schau! Schau! Woran erinnere ich dich?».9 Mit diesen Worten hat der geniale C.S. Lewis die Dynamik des Zeichens zusammengefasst, wofür die Beziehung zwischen Mann und Frau ein bewegendes Beispiel darstellt. Wenn er diese Dynamik nicht versteht, verfällt der Mensch dem Irrtum, vor der Wirklichkeit anzuhalten, die das Verlangen erregt hat. Es ist so, als wenn eine Frau einen Blumenstrauß erhält und, ergriffen von seiner Schönheit, das Antlitz dessen vergäße, der ihn ihr geschickt hat und für den dieser Strauß nur ein Zeichen ist. Sie verlöre so das Beste, was ihr die Blumen brachten. Im anderen nicht sein Wesen als Zeichen zu erkennen, führt unausweichlich dazu, ihn auf das zu reduzieren, was vor unseren Augen erscheint. Und früher oder später erweist er sich unfähig, dem Wunsch zu entsprechen, den er geweckt hat. Wenn also keiner der Eheleute dem begegnet, worauf das Zeichen verweist, dem Ort, wo er die Erfüllung der Verheißung finden kann, die der andere ausgelöst hat, dann sind die Eheleute dazu verurteilt, von einem Anspruch aufgezehrt zu werden, von dem es ihnen nicht gelingt, sich zu befreien. Und ihr Verlangen nach Unendlichem, das nichts so weckt wie der geliebte Mensch, ist dazu verdammt, unerfüllt zu bleiben. Angesichts dieser Unzufriedenheit sehen heute viele als einzigen Ausweg, den Partner zu wechseln. So beginnt eine Spirale, in der das Problem aufgeschoben wird, bis zum Augenblick der nächsten Enttäuschung.
Der deutsche Dichter Rainer Maria Rilke hat mit einzigartiger Wirksamkeit das Drama der Liebesbeziehung aufgezeigt und erahnt, dass diese Spirale nicht der einzige Ausweg sein kann: «Dies ist das Paradox der Liebe zwischen Mann und Frau: zwei Unendliche begegnen zwei Grenzen; zwei unendliche Bedürfnisse geliebt zu werden begegnen zwei zerbrechlichen und begrenzten Fähigkeiten zu lieben. Und nur vor dem Horizont einer größeren Liebe verzehren sie sich nicht im Anspruch und resignieren, sondern gehen gemeinsam auf eine Erfüllung zu, für die der andere ein Zeichen ist.»
Nur vor dem Horizont einer größeren Liebe kann man vermeiden, sich voller Gewalttätigkeit in dem Anspruch zu verzehren, dass der andere, begrenzt wie er ist, antworten soll auf das unendliche Verlangen, das er weckt. Ansonsten macht man die Erfüllung seiner selbst und des geliebten Menschen unmöglich. Um das zu entdecken, muss man bereit sein, der Dynamik des Zeichens zu folgen und für die Überraschung offen zu bleiben, die sie uns bescheren kann.
Leopardi hat den Mut gehabt, dieses Risiko auf sich zu nehmen. Mit einer die Liebesbeziehung durchdringenden Eingebung erkennt der italienische Dichter, dass das, was er in der Schönheit der Frauen suchte, in die er sich verliebte, die eigentliche Schönheit schlechthin war. Am Gipfel seines Lebens steht die Hymne An die Geliebte, eine Hymne an die «cara beltà» (Geliebte Schöne), die er in jeder Schönheit sucht; all sein Sehnen richtet sich darauf, dass die SCHÖNHEIT, die ewige Idee der SCHÖNHEIT eine sinnlich wahrnehmbare Gestalt annehmen möge.10 Es ist genau das, was in Christus, dem Fleisch gewordenen Wort, geschehen ist. Deshalb hat Luigi Giussani dieses Gedicht als eine Prophezeiung der Fleischwerdung bezeichnet.11
Den Anspruch, den Jesus erhoben hat, finden wir in einigen Texten, die uns auf den ersten Blick paradox erscheinen können. «Denkt nicht, ich sei gekommen, um Frieden auf die Erde zu bringen. Ich bin nicht gekommen, um Frieden zu bringen, sondern das Schwert. Denn ich bin gekommen, um den Sohn mit seinem Vater zu entzweien und die Tochter mit ihrer Mutter und die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter; und die Hausgenossen eines Menschen werden seine Feinde sein. Wer Vater und Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig, und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig. [...] Wer das Leben gewinnen will, wird es verlieren; wer aber das Leben um meinetwillen verliert, wird es gewinnen. Wer euch aufnimmt, nimmt den auf, der mich gesandt hat.» (Mt 10, 34-37; 39-40)
In diesem Text erscheint Jesus als das Zentrum des Gefühlslebens und der Freiheit des Menschen. Er stellt sich selbst mitten ins Herz der ganz natürlichen Gefühle und nimmt für sich mit vollem Recht in Anspruch, ihre wahre Wurzel zu sein. So offenbart Jesus die Tragweite der Verheißung, die seine Person für alle darstellt, die ihn eintreten lassen. Es handelt sich nicht um eine Einmischung Jesu in die innersten Gefühle, sondern um die größte Verheißung, die der Mensch je hat empfangen können: Ohne Christus, die Fleisch gewordene SCHÖNHEIT, mehr zu lieben, als den liebsten Menschen, welkt diese letzte Beziehung dahin, denn ER ist die Wahrheit dieser Beziehung, die Fülle, auf die sich die Partner gegenseitig verweisen, und in der sich ihre Beziehung vollendet. Nur wenn sie IHM gestatten, dort einzutreten, ist es möglich, dass die schönste Beziehung, die sich im Leben ereignen kann, sich nicht verschleißt und mit der Zeit stirbt. So kühn ist sein Anspruch.
Jetzt erscheint die Aufgabe der christlichen Gemeinschaft in ihrer ganzen Bedeutung: Die Erfahrung des Christentums als Lebensfülle für jeden Menschen zu fördern. Nur vor dem Horizont dieser größeren Beziehung ist es möglich, wie Rilke sagte, sich nicht zu verschleißen. Denn in ihr findet jeder seine menschliche Erfüllung: Er entdeckt in sich eine Fähigkeit, den anderen in seiner Verschiedenheit zu umarmen, die Fähigkeit zu einer grenzenlosen Ungeschuldetheit und zu immer neuer Vergebung. Ohne christliche Gemeinschaften, die fähig sind, Ehepaare bei ihrem Abenteuer zu begleiten und zu unterstützen, wird es für sie schwer, wenn nicht unmöglich sein, ihr Abenteuer zu einem guten Ende zu bringen. Die Eheleute ihrerseits können sich nicht der Mühe einer Erziehung entziehen, bei der sie selbst die wichtigste Rolle spielen. Und sie können sich nicht auf den Gedanken beschränken, dass die Zugehörigkeit zur Gemeinschaft der Kirche sie schon von Schwierigkeiten befreien werde.
Dabei offenbart sich vollständig die Natur der Berufung zur Ehe: Gemeinsam den Weg zu Christus zu gehen, dem einzigen, der eine Antwort hat auf den Durst nach Glück, den der andere ständig in mir weckt. So wird man nicht wie die Samariterin von Ehemann zu Ehemann wechseln (vgl. Joh 4, 18), ohne den eigenen Durst löschen zu können. Gerade weil sich die Samariterin bewusst war, dass sie aus eigener Kraft nicht in der Lage war, selbst durch eine fünfmaligen Wechsel des Ehemannes eine Lösung für ihr Drama zu finden, erkannte sie Jesus als ein so begehrenswertes Gut, dass sie nicht umhin konnte zu rufen: «Herr, [...] gib mir von diesem Wasser damit ich keinen Durst mehr habe.» (Joh 4, 15)
Ohne eine Erfahrung Christi als Erfülltheit des Menschen reduziert sich das christliche Ideal der Ehe auf etwas Unmögliches. Die Unauflöslichkeit der Ehe und die ewige Liebe erscheinen wie eine unerreichbare Chimäre, eine Illusion. In der Tat sind sie die Früchte einer solchen Intensität der Erfahrung Christi für die Eheleute selbst wie eine Überraschung, wie der Beweis, dass «für Gott nichts unmöglich ist». Nur eine solche Erfahrung kann die Vernünftigkeit des christlichen Glauben aufzeigen: Er entspricht ganz dem Verlangen und dem Bedürfnis des Menschen, auch in Ehe und Familie.
Eine so gelebte Beziehung bildet die beste Voraussetzung für die Erziehung der Kinder. Sie werden durch die Schönheit der Beziehung zwischen den Eltern wie durch Osmose in den Sinn des Daseins eingeführt. Ihre Vernunft und ihre Freiheit werden ständig herausgefordert, sich nicht von dieser Schönheit zu lösen. Es ist die Schönheit, die im Zeugnis der christlichen Eheleute aufleuchtet, und der zu begegnen die Männer und Frauen unserer Zeit so nötig haben.