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Marta Sordi - Die Bekehrung zum Christentum in den ersten Jahrhunderten
Er hat Gehör gefunden bei dem, der die Wahrheit suchte
Stefano Zurlo

Im 1. und 2. Jahrhundert kamen viele Philosophen durch Vernunftgründe zum Glauben. Wie damals so sprach auch Papst Benedikt XVI. in Regensburg die Gelehrten an. Die italienische Historikerin und Spezialistin für römische Geschichte, Marta Sordi, zeigt Parallelen auf.

Man muss nur das Buch Die Bekehrung zum Christentum in den ersten Jahrhunderten von Gustave Bardy durchblättern, um auf eine lange Liste mit Namen zu stoßen wie Justin, Clemens Alexandrinus oder Hilarius von Poitier. Zwischen dem 1. und 2. Jahrhundert kamen viele frei denkende Menschen zur Taufe, wobei sie durch die Tür der Philosophie in den Glauben eintraten. «Das Christentum übte eine große intellektuelle Faszination auf die aufgeschlossenen Menschen jener Epoche aus», erläutert die italienische Historikerin Marta Sordi. Sie näherten sich dem Glauben am Ende eines Denkweges, auf dem das logische Argument, nicht Gefühle oder Träume geschweige denn eine Logik der Macht, des Krieges oder der Gewalt dominierte. «Die angefochtene, aber einwandfreie Rede von Benedikt XVI. an der Universität Regensburg, geht aus dieser 2000-jährigen Geschichte hervor», erläutert die Historikerin. «Dabei gehen Glaube und Vernunft Hand in Hand. Die Bekehrung ist der letzte Schritt eines Weges der kritischen Unterscheidung. Seit jeher ist das Christentum mit der Vernunft und der Nächstenliebe verbunden und seit jeher bekämpft es Aberglauben und Fanatismus.»

Glaube, Vernunft und Wahrheit
Es gibt einen Abschnitt, in dem Clemens Alexandrinus klar und deutlich schreibt, dass die Philosophie eine Art Sprungbrett zu den Gipfeln der Spiritualität ist: «Auch wenn die Philosophie die Wahrheit nicht in ihrer ganzen Größe umarmt ... so lässt sie gleichsam den Charakter wieder zu Verstand kommen, formt ihn und bereitet so jenen, der an die Vorsehung glaubt, darauf vor, die Wahrheit zu empfangen.» Glaube, Vernunft und Wahrheit, dieser Dreiklang, faszinierte die Gelehrten.
«Der heilige Paulus verkündet zu Juden wie Heiden dieselbe Botschaft. Aber er wandelt sie den jeweiligen Zuhörern entsprechend ab. In Rom ruft er – meines Erachtens im Jahre 56 – die Prominenten Juden zusammen und spricht über Christus. Dabei betont er, dass dessen Kommen die Vollendung des Bundes zwischen Gott und dem Menschen sowie die Erfüllung der Prophezeiungen ist. Wendet sich Paulus hingegen an die Heiden, dann bevorzug er das Element der Vernunft und stellt den christlichen Gott als den vor, der Er ist: Eine vernünftige Antwort auf die Fragen des Menschen. Gott ist der Vater und Schöpfer, der Ordner des Weltalls, der den Menschen die Jahreszeiten gibt. Mehr noch: In der berühmten Rede auf dem Aeropag knüpft Paulus an die griechische Tradition an und zitiert das Fragment eines stoischen Denkers, um deutlich zu machen, dass wir Menschen von jenem ordnenden Gott abstammen.» Mit Christus sind wir Kinder Gottes geworden.
Sicherlich zwingt diese «Nachricht» die griechische Mentalität zu einer Umkehr des Denkens: denn die Griechen nehmen Anstoß an der Kreuzigung Christi, der vom Himmel herabgestiegen ist. So verlassen die Gelehrten den Aeropag mit mitleidsvollem Lächeln. In der Apostelgeschichte führt Paulus dann noch ein weiteres Element ein, das das Gerüst seines Nachdenkens noch verstärkt: «Im Dialog mit Portius Festus macht er darauf aufmerksam, dass die Auferstehung Christi eine von 500 Zeugen beobachtete und dokumentierte Tatsache ist. So macht die Geschichtlichkeit der Erzählung des Evangeliums vorurteilsfreie Menschen unweigerlich betroffen.»

Samen des Christentums
In den folgenden Jahrzehnten beschreiten andere Persönlichkeiten den von Paulus vorgezeichneten Weg. Dies ist auch bei Justin der Fall, einem Philosophen und Gründer einer Schule in Rom, der im 2. Jahrhundert das Martyrium erleidet. «Justin sucht die Wahrheit, indem er sich mit den seinerzeit verfügbaren Philosophien beschäftigt, besonders mit dem Platonismus und dem Stoizismus. Von dort kommt er zu Christus. Aber Vorsicht, am Abschluss seines spirituellen Weges überwindet er zwar die Philosophie, aber er verleugnet sie nicht. Mehr noch, Justin dringt noch weiter vor, indem er uns erklärt, dass sich der logos auch vor und außerhalb des Christentums bewegt hat. Dazu führt er drei Persönlichkeiten an: Sokrates und Heraklit, die beide vor ihm lebten, sowie Musonius Rufus, sein Zeitgenosse. Diese drei Gestalten scheinen der christlichen Offenbarung nahe zu stehen. In gewisser Weise haben sie eine Art geheimnisvolle Offenbarung erhalten, auch wenn sie sich nicht Christen nennen können. In ihnen, in ihren Werken und in ihrem Leben hat sich der logos gezeigt; nicht vollständig, aber, und das ist offensichtlich, anfänglich. So prägt Justin ein schönes und beeindruckendes Bild: den Samen-Logos. Entsprechend kann man in Bezug auf Heraklit, Musonius Rufus und Sokrates von Samen des Christentums sprechen.» Die Philosophie hat sie an die Schwelle des Glaubens gebracht.
Für die griechische Welt galt es, so hoch wie möglich, auf die Gipfel der Erkenntnis zu steigen. In Rom dagegen beobachtet man eher die Wirkung der Ideen im normalen Leben. Die Vernunft wird unmittelbar mit Vorstellungen wie Würde, Tugend oder moralischer Vorschrift vermischt. «Apollonius, ein Senator und späterer Märtyrer, stellt gerade diesen Gesichtspunkt in den Vordergrund: Christus ist der logos, jenes Prinzip, das schon die stoische Philosophie erahnte. Und der logos ist demnach auf die Erde gekommen, um das Leben des Menschen zu erlösen.
Es gibt zu jener Zeit eine sehr interessante Debatte im Senat. Der Präfekt des Prätoriums folgt Apollonius und gibt ihm in gewisser Weise Recht: «Auch wir glauben an den logos». Als ihm deshalb ein Kyniker aus Unverständnis vorwirft, die sei eine Beleidigung, erwidert Apollonius: «Die Wahrheit ist nur für Dumme eine Beleidigung. Christus ist wirklich der logos.»

Die Geschichtlichkeit des Christentums
Mit Tertullian, der letzten Gestalt in dieser Galerie von Bekehrten, konzentriert sich die Erkundung der Vernunft auf die Geschichtlichkeit des Christentums. «Es ist äußerst interessant, dass Tertullian im „Apologeticum“ heidnische Quellen zitiert: So zwei Geschichtswissenschaftler, die damals die besondere Erscheinung der Sonne zum Zeitpunkt des Todes Christi beschrieben; Pontius Pilatus, war Tertullian zufolge in seinem Innern schon Christ und er erzählte in einem Bericht an Kaiser Tiberius, wie die Dinge abgelaufen sind. Der Glaube erwächst für sie weder aus einer Vision noch aus mystischen Erfahrungen oder Ritualen für Eingeweihte. Die Geschichte Jesu vollzieht sich vor den Augen von Zeugen, wie es Paulus vermerkt hat. Und zwar von Zeugen, die nicht der Parteilichkeit verdächtigt werden können. Daher protestiert Tertullian auch gegen den Senatsbeschluss aus den Zeiten von Kaiser Tiberius, der das Christentum verbot. Dabei erklärte er, dass Christen nichts Schlimmes getan hätten und dem Staat gegenüber unschuldig seien. Er argumentiert wie ein Ermittler, findet aber keine Beweise ihrer Schuld auf juristischer Ebene. Und er schließt mit dem Vorwurf, dass das entsprechende Gesetz keine wirkliche Rechtsgrundlage besitze, da es keine Beweise für die Schuld vorbringen könne.»
Auf diese Wiese verteidigte Tertullian das Christentum und stimmte zugleich ein Loblied auf die Vernunft, die Gründe des Herzens sowie die Freiheit an – gegen die Dämonen der Gewalt und der Ideologie, die blind machen. Damit ist dies im Grunde dieselbe Lektion, wie sie Papst Benedikt XVI. rund 1.800 Jahr später vom Katheder in Regensburg hielt.