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Bayern - Apostolische Reise
«Die Freude am Christentum neu wecken»
Christoph Scholz

«Die Freude am Christentum neu wecken und vor allem die Zuversicht stärken», mit diesem Programm war Benedikt XVI. in seine Heimat aufgebrochen. Die Skepsis ja Anfeindung gegenüber dem ehemaligen Chef der Glaubenskongregation war bereits bei der ersten Begegnung mit seinen Landsleuten zum Weltjugendtag in Köln schlagartig gewichen. Doch schlug dem deutschen Pontifex in Bayern diesmal kein jugendlicher Enthusiasmus entgegen, sondern aufrichtige Freude und Rührung, gemischt mit verhaltenem Stolz.
Das Klima in Deutschland hat sich geändert. Zwar gehören die neuen Bundesländer zu den religionslosesten Orten weltweit. Doch ist in einigen Teilen der Gesellschaft auch ein neues, unvoreingenommenes Interesse an der christlichen Botschaft zu vernehmen, das Jugendliche wie Intellektuellen erfasst. Selbst linksliberale Medien räumen ein, dass Ratzinger Wegweisendes zu sagen hat – zumal auch in der Frage von Vernunft und Glaube. Diese Aufgeschlossenheit ist wohl nicht zuletzt dem Grundtenor seiner Verkündigung geschuldet, dass der Glaube eben «nicht eine Ansammlung von Verboten, sondern eine positive Option» ist.
Gottesdienst und Vernunft, Volksfrömmigkeit und theologische Gelehrsamkeit zeigten sich als gelebte Einheit. Das vertrauensvolle Mariengebet in Altötting und die intellektuelle Brillanz der Vorlesung an der Universität Regensburg. Weit über eine Million Menschen erlebten den Papst bei Messen und Veranstaltungen, und dabei war die Begegnung inniger als die Fernsehbilder von Fähnchen schwingenden Massen am Bildschirm erahnen lassen. Gewiss, in München feierte Bayern auch sich selbst, zumal die Politik - weiß-blau die Fahnen, weiß-blau der Himmel. Der Papst kam aber nicht als Nostalgiker auf Heimaturlaub, sondern als Hirte, liebevoll, gütig, ermutigend, bittend, mahnend. Und das Private der Reise in seine bayerische Heimat gewann durch den Öffentlichkeitscharakter etwas Beispielhaftes: eine Katechese des Vorlebens, der Hineinnahme in ein Weltverständnis, das ganz von Gott ausgeht und dadurch ganz menschlich wird. So bescheiden wie das Auftreten, so elementar die Botschaft in Geste wie Rede. Jede Station war gleichsam Erläuterung christlicher Grundwahrheiten. So beklagte Benedikt XVI. bei der Messe in München, viele Menschen seien taub geworden für Gottes Anruf. «Unsere inneren Sinne drohen abzusterben» – anders gesagt, der religiöse Sinn des Menschen erstickt angesichts dauernder Reizüberflutung. Und er rief die reichste Ortskirche der Welt auf, beim sozialen Engagement in der Dritten Welt nicht den Ursprung der Zuwendungen zu übergehen: die Liebe Gottes. Dass er dies durch Worte afrikanischer und asiatischer Bischöfe tat, zeigt, wie sich die Gewichte verändert haben: Deutschland ist in vielen Teilen Missionsland gewor-den und nicht wenige Pfarreien werden von schwarzen Geistlichen betreut. 250.000 Menschen – darunter auch hunderte Ciellini – waren gekommen, um den Gottesdienst in München unter strahlend blauem Himmel zu feiern. Bei der Begegnung mit Erstkommunikanten im Münchner Dom bat der Papst dann die Eltern um das Gebet mit den Kindern, «vor dem Essen und dem Schlafengehen», und um den Besuch des Sonntagsgottesdienstes, der das Leben schöner mache, ihm eine Einheit gebe. Zeichen und Gesten, die mehr prägen als jede Moralpredigt. Der Glaube ist kein frömmlerischer Rückzug ins Private, sondern einfach und öffentlich, so lautet seine Botschaft. Der Christ wird geprägt durch Orte, Menschen, Umgebungen, Begegnungen und Freundschaften. Für Ratzinger gehört dazu wesentlich Altötting, der bedeutendste deutsche
Marienwallfahrtsort und das «katholische Herz Bayerns». Hier könnten die Menschen die Kirche als «mütterlich tragende Gemeinschaft» erfahren und von der Gottesmutter lernen, wie man betet. Später reiste er nach Marktl am Inn, wo er am 16. April 1927 als drittes Kind des Gendarmen Joseph Ratzinger geboren und auf den Namen Joseph Aloisius getauft wurde. Bei aller Anstrengung der Reise erschien der 79-Jährige in diesen Tagen von heiterer Dankbarkeit durchdrungen, für diese Orte, die ihm Zeichen der Fürsorge Gottes auf seinem Lebensweg sind: Regensburg, wo er von 1969 bis 1977 Ordinarius an der Universität war, Pentlin, wo er bis heute als deutscher Staatsbürger gemeldet ist und schließlich Freising, wo er 1946 ins Priesterseminar eintrat und 1951 die Priesterweihe empfing. Hier im Dom legte er kurzerhand das vorgeschriebene Skript beiseite, redete frei: Priesterweihe, sei die «Einweihung in die Gemeinschaft der Freunde Jesu, die gerufen sind, mit ihm zu sein und seine Botschaft zu verkünden», betonte er.
Damit war die Reise positiver Gegenentwurf zur geistigen wie physischen Ort- und Geschichtslosigkeit einer nihilistischen Postmoderne, in der der Mensch vereinsamt und sich selbst verliert, eben jene «Diktatur des Relativismus».
Die Frankfurter Allgemeinen Zeitung fasste Predigten und Vorlesungen in die Formel: «Eine Verteidigung des Abendlandes – auch gegen sich selbst». Nicht vom Christentum sähen andere Kulturen sich bedroht, sondern vom Zynismus, der die Verspottung des Heiligen als Freiheitsrecht ansehe, rief der Papst aus. «Sie erschrecken vor einer Art von Vernünftigkeit, die Gott total aus dem Blickfeld des Menschen ausgrenzt und dies für die höchst Art der Vernunft ansieht». Die Wertschätzung der Erkenntniskraft des Menschen im Christentum und ihrer Beziehung zum Glauben markierte Benedikt XVI. aber auch als einen wesentlichen Unterschied zum Islam. Und er warnte vor den Pathologien eines Gottesbildes und einer Religion, die sich von jeder Vernunft verabschiedet. Es ist eine dramatische Ironie, dass ausgerechnet sein Aufruf zur Absage an religiös motivierte Gewalt und sein Appell an den Dialog, von mehr oder weniger fanatischen Muslimen mit Anfeindung, ja Hass und nackter Gewalt beantwortet wurde. Dennoch, das machte der Papst auch deutlich, gibt es keine Alternative zum Dialog mit den Religionen und Kulturen. Nicht im Sinne einer Relativierung eigener Positionen oder multireligiöser Treffen, sondern auf der Grundlage der Vernunft und in der Gewissheit: «Wer Gott ist, wissen wir durch Jesus Christus: den einzigen, der Gott ist. In die Berührung mit Gott kommen wir durch ihn.»