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Editorial
Entfesseln wir die Vernunft!
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Schlusskommuniqué des 26. Meetings für die Freundschaft unter den Völkern

Eines der über 120 Treffen des Meetings 2006 fand anlässlich der Präsentation der ersten Auflage von Don Giussanis Der Religiöse Sinn in arabischer Sprache statt. Dieser Text fasst das Denken Giussanis und seinen Vorschlag ebenso zusammen, wie er in die Bedeutung grundlegender Begriffe unserer westlichen Tradition einführt. Zu Wort kamen bei der Buchpräsentation Professor Wa’il Farouq, von der Universität Kairo, sowie Said Shoaib, Journalist und Redakteur der Zeitung Kairo.
Wie Wa’il darlegte, seien «Vernunft und Realismus zwei zentrale Begriffe im Buch von Giussani, der diesen beiden Begriffen eine neue Bedeutung gibt», wenn man bedenke, dass die arabische Wurzel des Wortes ‘Realismus’ so viel bedeute wie: ‘vom Himmel fallen’. «Und da nun die Geschehnisse vom Himmel fallen, bleibt dem Menschen keine Alternative zur Resignation. Diese Auffassung führt dazu, dass es so etwas wie Freiheit in der Beziehung des Menschen mit der Wirklichkeit nicht gibt, ja der Struktur des arabischen Bewusstseins gar nicht geben kann.» Der Begriff Realismus sei daher verstümmelt. Zum Verständnis des Begriffs ‘Vernünftigkeit’ merkte Wa’il an, dass «die zentrale Bedeutung des Wortes Vernunft im Arabischen mit “binden, fesseln, einsperren” wiederzugeben sei. Geist und Vernunft hätten sich daher stets an der Religion ausgerichtet, so dass es schließlich dazu kam, dass islamische Fundamentalisten gegenüber Intellektuellen gern den Vorwurf der Apostasie erheben. Wa’il’s Fazit: «Dieses Buch erschließt dem arabischen Denken nicht nur neue Horizonte, sondern lässt auch einen echten Dialog der Kulturen näher rücken. Denn wenn die Menschheit sich auf ihre Grunderfahrung besinnt, kann sie auch eine gemeinsame Sprache finden, in der dieser Dialog möglich ist. Mit eurer Gegenwart hier habt ihr den ersten Schritt gemacht und seid auf den anderen zugegangen».
Allerdings liegt die Vernunft auch im Westen in Fesseln: Man hat sie darauf verkürzt, «Maß aller Dinge» zu sein. Sie verliert sich im Relativismus, wie Papst Benedikt stets neu betont, und endet im Nihilismus, für den es scheinbar nichts mehr gibt, wofür es sich zu leben lohnt. Ganz anders hingegen, was dank des Charismas von Don Giussani auf dem Meeting erfahrbar wurde: Vernunft als «ein weit geöffnetes Fenster, das den Blick auf die ganze Wirklichkeit freigibt». Die Begegnungen mit Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft und Politik auf dem Meeting sowie die Ausstellungen und Darbietungen haben dazu beigetragen, die Vernunft zu «entfesseln». Die Zeugnisse der Teilnehmer des Meetings zeigten gerade in dieser Offenheit der Vernunft, wie haltlos ein verkürzter Vernunftgebrauch ist, der unvermeidlich zu Fatalismus, Fideismus und Krieg führt. Gerade dies macht das Meeting zu einem Ort der Begegnung, der Freundschaft und des Dialogs. Das heißt: des Friedens.
Das Meeting 2007 will diese Frage weiter vertiefen. Es steht unter dem Motto: «Die Wahrheit ist die Bestimmung, für die wir geschaffen sind» und findet vom 19. bis 25. August 2007 in Rimini statt.