Logo Tracce


Interview mit Nikolaus Lobkowicz
Ein vernünftiger Glaube im Umgang mit den Dingen der Welt
Alessandro Rondoni

Ein Europa, das die christliche Tradition verleugnet, kann keinen Erfolg haben.
Nikolaus Lobkowicz nimmt Stellung zur Auseinandersetzung zwischen Glaube und Vernunft, die Europa beherrscht. Er forderte die Christen auch zum Zeugnis in der Politik auf. Seine Erinnerung an Don Giussani: „Er hatte ein besonderes Charisma, den Generationen den christlichen Glauben als eine frische, neue Sache zu vermitteln“.

Nikolaus Lobkowicz, Professor für Politikwissenschaft und Philosophie, ist Direktor des Zentralinstituts für Mittel- und Osteuropastudien und gehört zu den bedeutendsten zeitgenössischen Intellektuellen der europäischen Kultur. Ab 1971 leitete er über zehn Jahre die Universität München, zunächst als Rektor, dann als Präsident. Anschließend wurde er zum Präsidenten der Katholischen Universität Eichstätt ernannt. Geboren in der Tschechoslowakei, hat er auch in den Vereinigten Staaten gelehrt. Wir haben ihn nach der Konferenz „Laizität versus Laizismus“ auf dem Meeting von Rimini getroffen.

Was hat Sie am Thema des diesjährigen Meetings neugierig gemacht?
Ich glaube, dass die Betonung der Vernunft eine alte und wichtige Tradition der Kirche ist, als Voraussetzung des Glaubens ebenso, wie als Deutung der Struktur des Glaubens. Eine solche Betonung ist ungewöhnlich, weil sowohl manche Protestanten wie auch die Freikirchen nichts mit der Vernunft zu tun haben wollen. Sie lehnen die Vernunft im Zusammenhang mit dem Glauben ab. Daher besteht die Gefahr, dass der Glaube zu etwas völlig Irrationalem wird und bei den Freikirchen, dass der Glaube allein am Schriftwort der Bibel haftet.

Man spricht viel von Laizität. Welche Modelle gibt es?
Der italienische Senator Pera hat eine eindrucksvolle Unterscheidung zwischen der amerikanischen und der französischen Tradition, die aus der Französischen Revolution hervorging, gemacht. Die amerikanische Position, wonach der Glaube nicht aus dem öffentlichen Leben ausgeschlossen wird, ist im Grunde diejenige der meisten europäischen Verfassungen und ist deshalb wichtig, weil sie Frieden schafft. Religionskriege sind heute undenkbar. Man spricht gerne von einer Trennung von Staat und Kirche – das ist im Grunde die amerikanische Position. Man muss aber klarstellen, dass diese Trennung niemals hundertprozentig ist. Sie ist zu Beispiel am striktesten in Frankreich, aber es ist dort dennoch kein Problem, dass staatliche Sender Messen übertragen. Die Trennung wird in vielen Zusammenhängen erwähnt, aber von Land zu Land anders interpretiert. In Deutschland ist sie in der Verfassung festgehalten, aber am wenigsten deutlich verwirklicht. Und das ist für die Kirche nicht nur von Vorteil. Ein konkretes Beispiel ist die Diskussion über den Ausstieg aus der staatlichen Schwangerenkonfliktberatung bei der Abtreibung. Die Bischöfe waren in ihren Verhandlungen mit dem Staat soweit vorangeschritten, dass es am Ende für sie schwierig war, Johannes Paul II. zu gehorchen. Im Grunde ist die amerikanische Situation die beste und einfachste. Nicht zuletzt deshalb, weil die Kirche ein riesiges nichtstaatliches System von Universitäten und Privatschulen geschaffen hat, das es sonst nirgendwo auf der Welt gibt. Und das, weil sie nicht mit dem Staat verbunden war.

Wie stellt sich heute in der Kirche die Frage nach der Freiheit?
Die Kirche hatte am Ende des 19. Jahrhunderts Angst vor der Freiheit. Einerseits hatte sie immer noch Interesse an Macht, andererseits meinte sie, die Menschen vor der modernen Welt schützen zu sollen. Einer der wichtigsten Schritte des Zweiten Vatikanischen Konzils war, dass man diese Angst überwunden hat. So bildete sich eine Situation, in der nur noch die Gläubigen und nicht mehr ganze Völker gehorsam sind. Es gibt keine autoritäre Bevormundung mehr. Es handelt sich um eine Situation, die schwieriger ist als früher, die aber dem Evangelium mehr entspricht.

Bezüglich der Erziehung haben Sie vor einiger Zeit in der Zeitschrift Der neue Areopag geschrieben, dass man sich innerhalb der Erfahrung des Sinnes der Tradition bewusst werden muss. Was meinen Sie damit?
Man versteht es am besten bei den Freikirchen. Sie beziehen sich ständig auf die Bibel und jedes Bibelwort ist heilig. Wenn man einen Kirchenvater zitiert, dann fragen sie: Woher könnt ihr wissen, dass er kein Häretiker war? Aber schon das Evangelium ist Tradition. Natürlich sind Traditionen oft vieldeutig, aber die Tradition ist unsere geschichtliche Verbindung mit Christus. Wenn man sie ausklammert, verfällt man in peinliche Naivitäten, man diskutiert Probleme, die schon längst gelöst sind, und verliert den enormen Reichtum der Kirche. Tradition ist wichtig, denn wenn man sie nicht kennt, hat man keine Verbindung mehr zwischen dem Evangelium und dem Leben der Kirche. Es gibt heikle Fragen, zum Beispiel jene der Wurzeln der Sakramente im Evangelium, die man nur lösen kann, wenn man die Tradition untersucht. Wir leben heute in einer vielfach so naiven Welt, dass die Leute keine Lust mehr haben, die Tradition kennenzulernen.

Wo sehen sie derzeit das wesentliche Problem für die europäische Integration?
Das Hauptproblem Europas besteht darin, dass man kein Ziel hat. Wenn wir von wirtschaftlicher Zusammenarbeit absehen, was wollen wir eigentlich? Ein Europa, das seine eigene christliche Tradition verleugnet, kann keinen Erfolg haben, weil man 70 Prozent der eigenen Geschichte ausklammern muss. Diese Tradition ist eine jüdisch-christliche, eine christlich-aufklärerische, sie ist voller Widersprüche, aber die Kirche hat diese Tradition niemals verleugnet. Wenn Europa sie verleugnet, wird es schief gehen. Ich bin sehr skeptisch über den Aufbau Europas.

Sie haben die Bedeutung der freien Katholiken in der Politik besonders hervorgehoben, aber nicht von katholischen Parteien gesprochen. Weshalb?
Ich denke, dass man gerade unter Katholiken die Politik oft für etwas Schmutziges hält, weshalb man nicht mehr als nötig damit zu tun haben möchte. Dann aber braucht man sich nicht zu wundern, dass die Politik andere Wege geht, als die, die die Christen erhoffen. Die Politiker müssen nicht unbedingt für alle sichtbar als Christen auftreten, sondern sie müssen versuchen, ihre Überzeugung in die Tat umsetzen. Heute fehlen Gestalten wie Schuman, Adenauer, De Gasperi oder De Gaulle. In einer Situation, in der verschiedene Traditionen in verschiedenen politischen Parteien zum Ausdruck kommen, kann der Christ in nahezu allen Parteien außer der kommunistischen aktiv sein. Und so war auch der Anfang der Bundesrepublik Deutschland, wo es bedeutende katholische Persönlichkeiten auch unter den Sozialdemokraten gab. In Amerika finden sich die Katholiken sowohl unter den Demokraten als auch unter den Republikanern. Über die konkreten politischen Probleme kann man unterschiedlicher Meinung sein, gewiss, aber innerhalb bestimmter Grenzen. Ein Christ, der nicht auf die Barmherzigkeit Gottes hofft, sollte allerdings nicht in die Politik gehen, denn ein Politiker kann es nicht gut vermeiden, Tricks zu spielen, in dieser oder jener Weise zu übertreiben, gelegentlich zu lügen und so weiter.

Sie sind inzwischen schon mehrmals zum Meeting gekommen. Was fasziniert Sie an dem Treffen?
Jedes Mal, wenn ich zum Meeting komme, bin ich zutiefst beeindruckt, erstens von der Fülle an Initiativen, die da verwirklich werden, und zweitens auch von der überbordenden Freundschaft aller mit allen. Es ist für mich ein Gegenbeispiel für den Katholikentag in Deutschland, wo man alles berücksichtigt, aber wo ein Ziel fehlt. Hier sieht man eine Vielfalt, die jedoch eine zentrale Blickrichtung hat.

Welche Erinnerung verbinden sie mit Don Luigi Giussani, auf den das Meeting maßgeblich zurückgeht?
Das Denken von Don Giussani hatte für mich seit langem eine große Bedeutung, auch wenn ich, als ich ihm begegnete, schon „zu alt“ war, um ein „CL-Mitglied“ zu werden. Giussani hatte ein besonderes Charisma, nämlich den jungen Generation den christlichen Glauben so zu vermitteln, als ob er gestern entstanden wäre, als eine frische, neue Sache. Den Jugendlichen hat er niemals Verbote mitgegeben, sondern stets das Positive gesehen und mitgeteilt.