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In der Wirklichkeit
Worte, die das Leben erklären - Das Lehramt von Benedikt XVI.


In den zwei Jahren des Pontifikats hat Benedikt XVI. einige Schlüsselbegriffe geprägt, die gegenwärtige Situation des Menschen von einem vernünftigen Standpunkt aus zu beurteilen. Darin drückt sich ein Glaube aus, der im christlichen Ereignis die Antwort auf die Bedürfnisse des Herzens entdeckt und sich als Vorschlag anbietet, der das Leben menschlicher macht. Das gilt auch in Zeiten von Verwirrung und neuer Intoleranz gegenüber der Kirche. Es ist ein Angebot an jeden, der der Wirklichkeit offen gegenübersteht. Dies bezeugen auch die folgenden Beiträge.

HERZ

Papst Benedikt XVI.
«Im Herzen jedes Menschen, liebe Freunde, gibt es den Wunsch nach einem Haus. Vor allem ein junges Herz sehnt sich nach einem eigenen dauerhaften Zuhause, in das man nicht nur mit Freude zurückkehren, sondern in dem man ebenso mit Freude jeden Gast empfangen kann. Es ist die Sehnsucht nach einem Haus, in dem Liebe, Vergebung und die Notwendigkeit des Verständnisses das tägliche Brot sind und in dem die Wahrheit die Quelle ist, aus der der Frieden des Herzens strömt. Es ist die Sehnsucht nach einem Haus, auf das wir stolz sein können, dessen wir uns nicht schämen und dessen Einsturz wir nie beklagen müssen. Diese Sehnsucht ist nichts anderes als der Wunsch nach einem erfüllten, glücklichen und gelungenen Leben. Fürchtet euch nicht vor diesem Wunsch! Versucht nicht, vor ihm zu fliehen! Lasst euch nicht entmutigen angesichts eingestürzter Häuser, unerfüllter Wünsche und geschwundener Sehnsucht. Der Schöpfergott, der in ein junges Herz das unermessliche Verlangen nach Glückseligkeit legt, wird es anschließend nicht allein lassen beim mühevollen Aufbau jenes Hauses, das sich Leben nennt».
(Rede bei der Begegnung mit der Jugend in Polen, 27. Mai 2006)

Papst Benedikt XVI.
«Dieser Mensch des einundzwanzigsten Jahrhunderts tritt als souveräner und sich selbst genügender Schöpfer des eigenen Schicksals auf, als begeisterter Macher unbestrittener Erfolge. (...) Wie könnte man überhören, dass eben aus dem Innersten dieser Menschheit, die sich freut und zugleich verzweifelt ist, ein qualvoller Hilfeschrei emporsteigt? (...) Trotz aller Formen des Fortschritts ist der Mensch doch das geblieben, was er immer war: eine Freiheit, die zwischen Gut und Böse, zwischen Leben und Tod hin- und hergerissen ist. Und genau da, in seinem Inneren, in dem, was die Bibel das «Herz» nennt, muss er immer «erlöst» werden. Und in der heutigen postmodernen Zeit hat er vielleicht noch mehr einen Erlöser nötig, denn die Gesellschaft, in der er lebt, ist vielschichtiger und die Bedrohungen für seine persönliche und moralische Unversehrtheit sind heimtückischer geworden».
(Botschaft Urbi et Orbi, 25. Dezember 2006)

Lorenzo Albacete
(Editorialist des New York Times Magazine)
In der Botschaft Urbi et Orbi zum Weihnachtsfest unterstrich Papst Benedikt XVI. die Bedeutung des biblischen Begriffes vom «Herzen». Es ein wesentlicher Begriff, um das Drama des menschlichen Lebens am Beginn dieses dritten Jahrtausends zu verstehen. Die Kirche erklärt Jesus Christus zum «Retter» der Welt, doch der Papst fragte sich, ob die Männer und Frauen von heute das Bedürfnis nach einem Erlöser verspüren oder auch nur verstehen. Es ist grundlegend, die biblische Idee vom Herzen zu begreifen, um die Lehre des Papstes über die Art und Weise, wie die Kirche am Drama der menschlichen Existenz teilnimmt, richtig zu verstehen.
Schon in Deus caritas est schrieb Benedikt XVI.: «Die Kirche kann nicht und darf nicht den politischen Kampf an sich reißen, um die möglichst gerechte Gesellschaft zu verwirklichen. Sie kann und darf sich nicht an die Stelle des Staates setzen. Aber sie kann und darf im Ringen um Gerechtigkeit auch nicht abseits bleiben». Der katholische Glauben trägt zu dieser «Ausweitung der Vernunft» bei, das heißt zur «Öffnung der Intelligenz und des Willens gegenüber den Ansprüchen des Guten». So können alle Menschen diese Bedürfnisse im Zusammenhang mit der Gesamtheit der Wirklichkeit erfassen. Ohne diesen Beitrag, entarten die Antworten auf die menschlichen Bedürfnissen - auch wenn sie von den bestmöglichen Absichten ausgehen - in eine Ideologie die «den Mensch demütigt und das im Einzelnen Humane wahrhaftig nicht anerkennt». (Deus Caritas Est, 28).
Don Giussani hat von Beginn an darauf beharrt, dass man den christlichen Anspruch nicht verstehen, noch irgendeinen kulturellen Beitrag liefern kann, solange man nicht überzeugt ist, dass wir, «um Christus zu begegnen, vor allem das Problem unseres Menschseins ernsthaft angehen müssen» (L. Giussani, Der Weg zur Wahrheit ist eine Erfahrung, St. Ottilien, S. 69). Ohne ein Bewusstsein von dem, was das Herz des Menschen ausmacht, das heißt vor allem vom Bedürfnis nach dem Unendlichen - was uns als Menschen definiert -, bleibt Jesus Christus nur ein Name. Die «Lösungen» des Dramas des Lebens werden sich dann bald in eine Ideologie umschlagen.
Vor kurzem hat ein Freund beobachtet, wie es hier «in den Vereinigten Staaten leichter ist, "Jesus" zu sagen als "Herz"». Soweit es etwa die aktuelle politische Wahlkampagne betrifft, ist es klar, dass die Religion weiterhin eine der Hautkomponenten bleibt. Die «Stimme für Gott» wird weiterhin eine grundlegende Rolle im Wahlkampf spielen. Einerseits versucht die Republikanische Partei einen Weg zu finden, um sich weiter die Unterstützung der «christlichen Rechten» zu sichern. Andererseits engagieren die Kandidaten der Demokratischen Partei eine Beratungsgesellschaft, die darauf achten soll, dass ihre Sprache in tiefem Einklang mit Sprache und Werten der religiösen Gemeinschaft erscheint.
In diesem Zusammenhang ist es leicht, sich auf die Lehren Jesu zu berufen und dabei die Diskussion auf einer moralischen Ebene zu belassen. Der einzige Bezugspunkt, der diese Verkürzung des christlichen Vorschlags durchbrechen könnte, ist das «Herz», wo man die Natur und die Weite des menschlichen Bedürfnisses nach Erlösung wahrnimmt. Es ist im tiefsten Inneren der menschlichen Existenz, wo sich das Menschliche und das Göttliche treffen, die Vernunft über die Gefühlsduselei triumphiert, die Politik den Glauben berührt und eine authentische menschliche Kultur hervorbringt.

VERNUNFT

Papst Benedikt XVI.
Nicht Rücknahme, nicht negative Kritik ist gemeint, sondern um Ausweitung unseres Vernunftbegriffs und -gebrauchs geht es. Denn bei aller Freude über die neuen Möglichkeiten des Menschen sehen wir auch die Bedrohungen, die aus diesen Möglichkeiten aufsteigen, und müssen uns fragen, wie wir ihrer Herr werden können. Wir können es nur, wenn Vernunft und Glaube auf neue Weise zueinanderfinden; wenn wir die selbstverfügte Beschränkung der Vernunft auf das im Experiment Falsifizierbare überwinden und der Vernunft ihre ganze Weite wieder eröffnen. (...) Der Westen ist seit langem von dieser Abneigung gegen die grundlegenden Fragen seiner Vernunft bedroht und könnte damit einen großen Schaden erleiden. Mut zur Weite der Vernunft, nicht Absage an ihre Größe - das ist das Programm, mit dem eine dem biblischen Glauben verpflichtete Theologie in den Disput der Gegenwart eintritt. «Nicht vernunftgemäß, nicht mit dem Logos handeln ist dem Wesen Gottes zuwider», hat Manuel II. von seinem christlichen Gottesbild her zu seinem persischen Gesprächspartner gesagt. «In diesen großen Logos, in diese Weite der Vernunft laden wir beim Dialog der Kulturen unsere Gesprächspartner ein. Sie selber immer wieder zu finden, ist die große Aufgabe der Universität».
(Regensburg, 12. September 2006)

Michele Lenoci
(Dekan der Fakultät für Erziehungswissenschaft der Katholischen Universität Mailand)
Erziehung, Vernunft und Erfüllung der menschlichen Person sind drei Aspekte im Lehramt von Benedikt XVI., die er häufig in Erinnerung ruft, um eine Beziehung zur Wirklichkeit zu fördern, die zu Neugier und Staunen fähig ist. Wenn es zutrifft, dass die Erziehung ein Weg zur angemesseneren Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit ist, dann tut es vor allem not, die Vernunft zu erziehen, damit es ihr gelingt, über die Grenzen hinauszublicken, die eine bornierte Wissenschaftsgläubigkeit und ein kleingeistiger Reduktionismus ihr setzen wollen. Der Wirklichkeit und dem Menschen eignen viele verschiedene Dimensionen und Ebenen, und nur eine unbefangene Sichtweise kann sie in ihrem Wert erkennen. Aber heutzutage sind wir blind und taub für einen solchen Reichtum. Deshalb müssen wir geduldig an ihn herangeführt werden. Es tut not, auch zur Vernunft zu erziehen, womit gemeint ist, dass wir mit jenem logos, der alles umfasst und aufrechterhält, vertraut werden müssen. Seine Spuren lassen sich in der ganzen geschaffenen Wirklichkeit entdecken, dank der Vernunft, die wir als Menschen besitzen und die uns wesentlich kennzeichnet und zu Ebenbildern Gottes macht. Damit ist kein einseitiger Rationalismus gemeint. Denn das Verlangen nach Unendlichkeit, das in der Vernunft fassbar wird, durchdringt von sich aus jede echt menschliche Tätigkeit und macht sie fähig, alles zu umarmen: Gefühle, Leidenschaften und selbst die Körperlichkeit drängen, wenn sie voll und ganz menschlich sind, zur Übersteigung jener Besonderheit oder speziellen Situation, in der sie aufkommen und aus der sie sich nähren, die sie aber nicht erschöpfen und befriedigen kann. Die Erziehung hat ihre Wurzel in der Unzufriedenheit, die im Herzen des Menschen wohnt und hat dort zugleich auch ihr Ziel, das diese Sehnsucht schlussendlich stillen kann: der logos, der Liebe ist, ermöglicht einen Weg, der aus lauter «Jas» besteht, weil auch in der Begrenztheit und im Bösen die rettende Umarmung erkannt werden kann, und schon hier und jetzt der Genuss einer größeren Selbstverwirklichung möglich ist.

ERHZIEHUNG

Papst Benedikt XVI.
«Das Verhältnis zwischen Erzieher und zu Erziehendem ist seiner Natur nach eine heikle Angelegenheit: Es ruft nämlich die Freiheit des anderen auf den Plan, die, wenn auch noch so sanft, immer zu einer Entscheidung herausgefordert wird. Weder die Eltern, noch Priester oder Katecheten, noch andere Erzieher können an die Stelle der Freiheit des Kleinkindes, des Schulkindes oder des Jugendlichen treten, an den sie sich wenden. Und besonders das christliche Angebot stellt die Grundfrage nach der Freiheit, wenn es zum Glauben und zur Umkehr aufruft. Ein besonders tückisches Hindernis für die Erziehungsarbeit stellt heute in unserer Gesellschaft und Kultur das massive Auftreten jenes Relativismus dar, der nichts als definitiv anerkennt und als letzten Maßstab nur das eigene Ich mit seinen Gelüsten gelten lässt und unter dem Anschein der Freiheit für jeden zu einem Gefängnis wird, weil er den einen vom anderen trennt und jeden dazu erniedrigt, sich ins eigene «Ich» zu verschließen. Innerhalb eines solchen relativistischen Horizonts ist daher wahre Erziehung gar nicht möglich: Denn ohne das Licht der Wahrheit sieht sich früher oder später jeder Mensch dazu verurteilt, an der Qualität seines eigenen Lebens und der Beziehungen, aus denen es sich zusammensetzt, ebenso zu zweifeln wie an der Wirksamkeit seines Einsatzes dafür, gemeinsam mit anderen, etwas aufzubauen».
(Eröffnungsrede zur Pastoraltagung der Diözese Rom zum Thema Familie, 6. Juni 2005)

Papst Benedikt XVI.
«Angesichts eines besorgniserregenden «Erziehungsnotstandes» seid ihr berufen, der kommenden Generation den Glauben mitzuteilen und vielen Kindern und Jugendlichen die Begegnung mit Christus zu erleichtern. Werdet nicht müde, das zu tun, was manchmal schwer sein mag, aber auch so notwendig und auch schön ist: Sie daran zu erinnern, dass nur das Evangelium die Erwartungen des menschlichen Herzens erfüllen kann und einen wahren Humanismus ermöglicht».
(Am Ende der Generalaudienz, 7. Februar 2007)

Eugenio Borgna
(Emeritierter Leiter der Psychiatrischen Abteilung des Krankenhauses Ospedale Maggiore von Novara)
Der Erziehung, die große Herausforderung der Erziehung, wie der Papst jüngst betont hat, beginnt in der Kindheit und ihre Geburt und Entwicklung ist nur möglich im Herzen einer Familie, die auf den Bund der Ehe gegründet ist. In einer Familie also, in der Vater und Mutter, die sich psychologisch unterscheiden und ergänzen, den erzieherischen Bedürfnissen ihrer Kinder entgegenkommen im Kreislauf und in der Gegenseitigkeit von Liebe und Selbsthingabe. Eine Liebe und Selbsthingabe, die mit Worten, aber auch von der Eintracht und der Gleichheit des Verhaltens bezeugt werden. Erziehung kann in Familie und Schule nur dann geschehen, wenn sie von einem Dialog begleitet wird, der die Innerlichkeit und Würde, die Freiheit und Verantwortlichkeit des anderen anerkennt. Zu erziehen, das Humankapital und die geistlichen Schätze, die in jedem von uns vorhanden sind, hervorsprudeln zu lassen, ist nur möglich, wenn man die Leidenschaft für die Wahrheit (In interiore homine habitat veritas, im inneren Menschen wohnt die Wahrheit, wie Augustinus sagt) zulässt und der unauslöschlichen Sehnsucht nach dem Unendlichen nachgeht, und wenn man die Spuren des Geheimnisses erkennt, das mit uns nicht vergleichbar ist und doch im menschlichen und christlichen Bewusstsein wirkt und sich regt.

LIEBE

Papst Benedikt XVI.
Der Eros Gottes für den Menschen ist zugleich ganz und gar Agape. Nicht nur weil er ganz frei und ohne vorgängiges Verdienst geschenkt wird, sondern auch weil er verzeihende Liebe ist. (...) Die leidenschaftliche Liebe Gottes zu seinem Volk - zum Menschen - ist zugleich vergebende Liebe. Sie ist so groß, dass sie Gott gegen sich selbst wendet, seine Liebe gegen seine Gerechtigkeit. Der Christ sieht darin schon verborgen sich anzeigend das Geheimnis des Kreuzes: Gott liebt den Menschen so, dass er selbst Mensch wird, ihm nachgeht bis in den Tod hinein und auf diese Weise Gerechtigkeit und Liebe versöhnt. (...) Gott ist der Urquell allen Seins überhaupt; aber dieser schöpferische Ursprung aller Dinge - der Logos, die Urvernunft - ist zugleich ein Liebender mit der ganzen Leidenschaft wirklicher Liebe. (...)
Das eigentlich Neue des Neuen Testaments sind nicht neue Ideen, sondern die Gestalt Christi selber, der den Gedanken Fleisch und Blut, einen unerhörten Realismus gibt. Schon im Alten Testament besteht das biblisch Neue nicht einfach in Gedanken, sondern in dem unerwarteten und in gewisser Hinsicht unerhörten Handeln Gottes. Dieses Handeln Gottes nimmt seine dramatische Form nun darin an, dass Gott in Jesus Christus selbst dem «verlorenen Schaf», der leidenden und verlorenen Menschheit, nachgeht. Wenn Jesus in seinen Gleichnissen von dem Hirten spricht, der dem verlorenen Schaf nachgeht, von der Frau, die die Drachme sucht, von dem Vater, der auf den verlorenen Sohn zugeht und ihn umarmt, dann sind dies alles nicht nur Worte, sondern Aus-legungen seines eigenen Seins und Tuns. In seinem Tod am Kreuz vollzieht sich jene Wende Gottes gegen sich selbst, in der er sich verschenkt, um den Menschen wieder aufzuheben und zu retten - Liebe in ihrer radikalsten Form. Der Blick auf die durchbohrte Seite Jesu, von dem Johannes spricht (vgl. 19, 37), begreift, was Ausgangspunkt dieses Schreibens war: Gott ist Liebe (1 Joh 4, 8). Dort kann diese Wahrheit angeschaut werden.
Und von dort her ist nun zu definieren, was Liebe ist. Von diesem Blick her findet der Christ den Weg seines Lebens und Liebens.
(Deus caritas est, Nr. 10 u. 12)

Giovanni Reale
(Das neue Paradigma der Liebe von Benedikt XVI., das Eros und Agape vereint)
Die durchdringendsten Überlegungen zum Eros finden sich in Platons Dialogen, Symposium und Phaedrus. Eros ist eine vermittelnde Kraft, die dem Menschen hilft, sich aus dem Empfindbaren zu erheben, um das intellektuell Fassbare zu erreichen. Diese Kraft entsteht aus der «Not» das Schöne (und das Gute) zu suchen und zu besitzen, das dem Menschen fehlt, und nach dem er ein starkes Verlangen spürt.
Eros kann kein Gott sein, denn einem Gott fehlt nichts, und deswegen hat er weder Bedarf noch Verlangen danach, was er immer schon und für immer besitzt. Eros ist ein starker Dämon, der nie in vollem Besitz dessen ist, was er sucht, und deswegen ist er nie zufrieden. Also versucht er fortwährend auf immer höhere Ebenen aufzusteigen.
Die christliche Liebe als «Agape» ergibt sich als Antithese zur antiken griechischen Vorstellung der Liebe als «Eros», und so wurde das von den meisten interpretiert. Tatsächlich besteht die Agape nicht daraus, etwas Gutes zu «erkaufen», nicht in der Suche, es zu erreichen und zum Eigentum zu machen, sondern im «Schenken». Während Eros eine «aufsteigende» Kraft ist, der von unten nach oben steigt, ist die Agape eine Liebe, die von oben nach unten absteigt.
Das zieht ein Auf-den-Kopf-Stellen der Wahrnehmung Gottes nach sich, der für den Christen mit der Liebe selbst im Sinne von «absoluter Hingabe» übereinstimmt. Gott liebt den Menschen zuerst, so dass er ihm den Sohn schenkt, um ihn zu erlösen. Die Agape ist also keine «erwerbende», sondern eine «schenkende» Kraft. Sie ist keine «Eroberung» des Menschen, sondern «Gnade», die dem Menschen von Gott zukommt.
Außerdem ist der Eros «Verlangen», die Agape «Opfer». Eros ist umso größer, umso größer der Gegenstand der Liebe ist. Dagegen steht Agape in umgekehrt proportionalem Verhältnis zum Gegenstand der Liebe. Die Liebe Gottes für den Menschen ist umso größer, je kleiner der Mensch ist. Am meisten geliebt werden der Leidende, der Kranke, der Schwache, der Unterdrückte oder der Ausgestoßene.
Gelegentlich werden Eros und Agape als unvereinbar angesehen. So unvereinbar, dass Augustinus für sein Bestehen auf jenem «Verlangen» des Menschen nach Gott kritisiert wurde, auf jenem besonderen Gefühl des Menschen, das keinen Frieden findet, bis es in Ihm ruht. Dabei handele es sich, so die Kritik, um eine unzulässige Wiederaufnahme der platonischen Auffassung des Eros als Orexis, also um einen faulen Kompromiss.
Tatsächlich ziehen die Feststellungen von Augustinus in keiner Weise einen Kompromiss zwischen den beiden Deutungen der Liebe nach sich: Das Verlangen nach Gott ist ein Geschenk von Gott selbst.
Benedikt XVI. setzt diese Augustinische Linie fort und stellt ein neues hermeneutisches Paradigma über die Liebe auf. Tatsächlich geht er sogar über das Paradigma hinaus. Von der Liebe als «eroberndem Eros» und über das Paradigma der «Liebe als Geschenk» in eingeschränktem Sinn als sich gegenseitig ausschließend verstanden (so wie viele denken) setzt sich ein drittes hermeneutisches Paradigma durch. Dabei wird die Liebe verstanden als Agape, die den Eros einschließt.
Dieses dritte Paradigma impliziert eine Erweiterung und Verwandlung einiger wesentlicher Kennzeichen des hellenischen Eros und seiner Aufwertung in der Dimension der Agape, in der Sichtweise der Wahrnehmung Gottes als absolut schenkendem Gott.
Die Liebe ist in Wirklichkeit eine einzige Wirklichkeit, die sich in zwei Gestalten zeigt, die sich nicht nur nicht ausschließen, sondern gegenseitig bedingen. Gott selbst liebt den Menschen nicht nur in der Gestalt der Agape, sondern auch in der Gestalt des Eros.
Besonders bewegt hat mich das biblische Bild, mit dem Benedikt XVI. die Vermittlung der beiden Paradigmen illustriert. Er schreibt: «In Wirklichkeit lassen sich Eros und Agape - aufsteigende und absteigende Liebe - niemals ganz voneinander trennen. Je mehr beide in unterschiedlichen Dimensionen in der einen Wirklichkeit Liebe in die rechte Einheit miteinander treten, desto mehr verwirklicht sich das wahre Wesen von Liebe überhaupt.» Und er stellt klar: «Die Väter haben diesen unlöslichen Zusammenhang von Aufstieg und Abstieg, von gottsuchendem Eros und von weiterschenkender Agape auf vielfältige Weise in der Erzählung von der Jakobsleiter symbolisiert gesehen».

DIALOG

Papst Benedikt XVI.
«Deshalb freue ich mich, heute ein Gast der Türkei zu sein, der als Freund und als Apostel des Dialogs und des Friedens gekommen ist. (...) Der wahre Frieden bedarf der Gerechtigkeit, um die wirtschaftlichen Ungleichheiten und die politischen Unordnungen zu korrigieren, die immer Spannungen und Bedrohungen in der ganzen Gesellschaft erzeugen. Die jüngsten Entwicklungen des Terrorismus und bestimmter regionaler Konflikte haben andererseits die Notwendigkeit deutlich gemacht, die Entscheidungen der internationalen Organisationen nicht nur zu respektieren, sondern sie auch zu unterstützen, indem man ihnen insbesondere wirksame Mittel zur Verfügung stellt, um Konflikten vorzubeugen und dank vermittelnder Einsatzkräfte Neutrale Zonen zwischen den Kriegsparteien aufrechtzuerhalten. Das bleibt jedoch unzureichend, wenn es nicht zum wahren Dialog kommt, das heißt zur Vermittlung zwischen den Ansprüchen der betroffenen Parteien, um so zu akzeptablen und dauerhaften politischen Lösungen zu gelangen, welche die Menschen und die Völker respektieren. (...).Nochmals appelliere ich (...) an die Wachsamkeit der internationalen Gemeinschaft, dass sie sich nicht ihrer Verantwortung entzieht, sondern alle Kräfte einsetzt, die zur Förderung des Dialogs zwischen allen beteiligten Parteien notwendig sind. Nur der Dialog erlaubt es, die Achtung gegenüber den anderen zu gewährleisten und gleichzeitig die legitimen Interessen zu wahren und die Anwendung von Gewalt abzulehnen. So habe ich in meiner ersten Botschaft zur Feier des Weltfriedenstages geschrieben: " Die Wahrheit des Friedens ruft alle dazu auf, fruchtbare und aufrichtige Beziehungen zu pflegen, und regt dazu an, die Wege des Verzeihens und der Versöhnung zu suchen und zu gehen sowie ehrlich zu sein in den Verhandlungen und treu zum einmal gegebenen Wort zu stehen"» (1. Januar 2006)
(Treffen mit dem Diplomatischen Korps, Apostolische Nuntiatur in der Türkei, Ankara, 28. November 2006)

Papst Benedikt XVI.
«Nur wenn die menschliche Person geachtet wird, ist es möglich, den Frieden zu fördern, und nur, wenn der Frieden errichtet wird, werden die Grundlagen für einen authentischen ganzheitlichen Humanismus gelegt. Hier findet die Sorge so vieler unserer Zeitgenossen gegenüber der Zukunft eine Antwort. Ja, die Zukunft wird dann friedlich sein können, wenn wir gemeinsam für den Menschen arbeiten. Der nach dem Ebenbild Gottes geschaffene Mensch besitzt eine unvergleichliche Würde; der Mensch, der in den Augen seines Schöpfers so sehr der Liebe würdig ist, dass Gott nicht gezögert hat, seinen eigenen Sohn für ihn hinzugeben. Das ist das große Geheimnis des Weihnachtsfestes, das wir gerade gefeiert haben und dessen fröhliche Atmosphäre sich bis zu unserer heutigen Begegnung fortsetzt. In ihrem Engagement im Dienst am Menschen und an der Errichtung des Friedens steht die Kirche an der Seite aller Menschen guten Willens und bietet eine uneigennützige Zusammenarbeit an».
(Rede an das beim Heiligen Stuhl akkreditierte Diplomatische Korps, 8. Januar 2007)

Magdi Allam
(Vize-Chefredakteur des Corriere della Sera und Muslim)
«Alle Menschen guten Willens sind Benedikt XVI. für die religiöse Inspiration, die intellektuelle Klarheit und den menschlichen Mut dankbar, mit denen er in dem denkwürdigen Vortrag an der Universität Regensburg am 12. September 2006 im Zeichen des untrennbaren Zusammenhangs von Glaube und Verstand die Grundlagen des korrekten und konstruktiven Verhältnisses zwischen Dialog und Frieden definiert hat. Der Papst hat mit der Kraft seines geistlichen Amtes und seines wissenschaftlichen Ansehens klargestellt, dass die wissenschaftliche Voraussetzung des Dialogs in der Betrachtung der Wirklichkeit als das, was sie ist, besteht. Dazu muss man sie objektiv anerkennen und beschreiben, ohne jede Empfindlichkeit, sei es hinsichtlich dessen, was ihre Eigenart ist, sei es was ihre Unterschiedlichkeit ausmacht. Und man muss vom Bewusstsein unserer Wirklichkeit und der Wirklichkeit der anderen ausgehen, ohne jede Art der Mystifizierung, die von Ignoranz oder Vorurteilen diktiert wird. Schließlich muss man sich von jeglicher Angst und Feigheit freimachen. Nur so wird es möglich sein, Brücken zwischen Menschen zu bauen, die sich zu verschiedenen Religionen oder Glaubensrichtungen bekennen. Die Bedingung dabei ist, dass diese Brücken, die die konkrete Erfahrung, die Menschen guten Willens dazu bringt, sich zu treffen und zu interagieren, ein solides Ufer in einem gemeinsamen Start- und Landepunkt finden. Ganz konkret wird das durch das Teilen der absoluten und universellen Werte, die unsere Menschlichkeit begründen und die die Essenz der religiösen und göttlichen Transzendenz in sich tragen. Als erstes ist das der Wert der Heiligkeit des Lebens und der Wert der Würde der Person. Es ist gut, dass der Papst im Nihilismus des islamischen Extremismus, der dazu geführt hat, die Ideologie des Todes als höchste Form der Spiritualität zu erheben, und im Relativismus der Werte und der Kultur der laizistischen westlichen Welt, der damit endet, das Wahre und das Falsche, das Gute und das Böse auf die gleiche Höhe zu stellen, die zwei größten ethischen und menschlichen Herausforderungen klar benannt hat. Wir alle müssen sie angehen, um eine gemeinsame Kultur der Wahrheit, des Lebens, der Freiheit und des Friedens zu schaffen».