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Kino
Das Leben der Anderen
J. A. G. Fuchs

«Nein. Es ist für mich». - Hauptmann Gerd Wiesler (Ulrich Mühe) könnte diese Worte am Ende des Films stellvertretend für alle Opfer des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS, «Stasi») sprechen. Die Oscar-Prämierung ist nicht nur eine Auszeichnung für die hervorragende Arbeit des jungen Regisseurs Florian Henckel von Donnersmarck, sondern auch eine «späte Genugtuung für die Opfer», wie Hubertus Knabe, Leiter der Stasi-Gedenkstätte Berlin Hohenschönhausen, meint. Zwar tasteten sich bereits andere Filmemacher an das Thema heran, Dominik Graf mit «Der Rote Kakadu» (2006), Volker Schlöndorff mit «Die Stille nach dem Schuss» (2000) und Margarethe von Trotta mit «Das Versprechen» (1995), doch im Kino-Gedächtnis bleiben die Filme der anderen: Filme mit einem verklärend naiven Grundton, wie «Good bye, Lenin!» (Becker, 2003) und «Sonnenallee» (Haussmann, 1999). Die Zeit der Spreewald-Gurken Ostalgie, des unverantwortlichen Umgangs mit der DDR-Vergangenheit, sollte mit der großen Aufmerksamkeit, die Henckel von Donnersmarcks «Das Leben der Anderen» erfährt, zu Ende gehen.
Die Handlung ist schnell zusammengefasst: Gerd Wiesler, ein Hauptmann der Stasi, wandelt sich während seiner Spitzel-Tätigkeit vom Saulus zum Paulus. Erzählt wird die Geschichte dieser Wandlung, in der es nicht fehlt an zynischen Karrieristen (Anton Grubitz / Ulrich Tukur), mächtigen Ministern (Bruno Hempf / Thomas Thieme) und Opfern verschiedenster Art (Georg Dreyman / Sebastian Koch, Christa-Maria Sieland / Martina Gedeck, Albert Jerska / Volkmar Kleinert), vor dem Hintergrund der Kulturszene in der DDR der achtziger Jahre. Hier beginnt dann allerdings die Vielschichtigkeit des Films: Die beinahe stalinistische Willkür und rechtliche Unsicherheit des Regimes der siebziger und achtziger Jahre wird durch Dreyman, Sieland, Jerska und Hauser ausdifferenziert. Der mit Berufsverbot belegte Jerska und der mit Ausreiseverbot bestrafte Hauser symbolisieren die verschiedenen Maßstäbe, nach denen beliebig bestraft wurde. Dreyman wird nur auf Grund der persönlichen Motivationen eines Ministers und der Ambitionen eines Stasi-Obersten zum Opfer. Gleich zu Beginn des Films wird die totale Macht und Kontrolle des Regimes und des MfS durch Hauptmann Wieslers Vortrag zu ausgefeilten Verhörmethoden illustriert. Ein Häftling wird innerhalb von 40 Stunden zerbrochen; kalt und effizient. Wiesler sieht ihn als Fall, nicht als Menschen. Eine Nachbarin Dreymans wird durch härteste Drohungen zum Schweigen gebracht, als sie die Verwanzung von dessen Wohnung beobachtet.
Die Darstellung des MfS mag zwar historisch leicht übertrieben sein - im hierarchischen System der Stasi wäre eine so unbürokratische Einleitung der Überwachung Dreymans nicht möglich gewesen und auch die Orwellsche Überwachungstechnik stand den MfS Offizieren nicht in der gezeigten Weise zur Verfügung - sie verfehlt jedoch nicht ihre Wirkung, das bedrückend Bedrohliche eines totalitären Regimes zu zeigen. In den USA wurde «Das Leben der Anderen» nicht zuerst als Historienfilm über die DDR, sondern als Analogie auf die Freiheitsbeschneidungen der Bush-Administration gesehen. Zudem kann man Henckel von Donnersmarck nicht vorwerfen, ungenau recherchiert zu haben, eher das Gegenteil ist der Fall: Beim Betrachten des Films beschleicht einen das Gefühl, dass etwas nicht ganz stimmt. Etwas fehlt. Es ist die Farbe Rot. In der DDR gab es eher Orange als Rot, weshalb Rot im Film weggelassen wurde. Es sind Details wie dieses, die den Film auch ohne direkte historische Anspielung auf die Ereignisse der siebziger und achtziger Jahre (KSZE, Beginn der Honecker-Ära) authentisch wirken lassen. Einzig Margot Honecker findet zweimal Erwähnung.
Florian Henckel von Donnersmarck wollte in der Stasi-Gedenkstätte Berlin Hohenschönhausen drehen, als Original-Schauplatz. Hubertus Knabe verweigerte ihm die Erlaubnis mit der Begründung, «dass ausgerechnet ein Stasi-Mann zum Helden mutiert - das hat es so leider nicht gegeben. Wir kennen keinen einzigen Fall, in dem ein Vernehmer sich heimlich auf die Seite seines Opfers gestellt hat. […] Die Häftlinge haben hier ganz andere Erfahrungen gemacht. Offenbar ist das Böse aber so schwer erträglich, dass man sich den guten Menschen notfalls lieber selbst erfindet».1 Knabes Einstellung möchte man entgegenhalten, dass es nirgends nur «gut», oder nur «böse» gab und gibt. Außerdem ist die Wandlung Wieslers vom Saulus zum Paulus offen zur Diskussion: Ob die Einmischung in das Leben der Anderen nun das Gute repräsentiert oder nicht, bleibt ebenso fraglich wie Wieslers Motivation. Erkennbar ist einzig die Sehnsucht des Stasi-Hauptmanns aus seiner kalten, einsamen Welt des Technokraten - illustriert durch das weiße eisige Licht der Neonröhren auf dem Dachboden, im Kontrast zur warmen gelben Beleuchtung in Dreymans Wohnung - auszubrechen und teilzuhaben am Leben der Anderen. Brücke und Wendepunkt zugleich bildet die «Sonate des guten Menschen», ein Geschenk Jerskas an Dreyman, die Wiesler vom Dachboden aus gebannt belauscht. Sie eröffnet ihm den Blick in eine Welt der Freundschaft, Kunst und Hoffnung. Dreymans Frage trifft den Kern von Wieslers Leben: «Kann jemand, der diese Musik gehört hat, ich meine wirklich gehört hat, noch ein schlechter Mensch sein?»
Hätte man Wiesler gefragt: «Deckst du Dreyman, weil du gegen das System aufbegehren möchtest? Tust du das für ihn?», er hätte wohl geantwortet: «Nein. Es ist für mich». 1 www.hna.de vom 26.02.2007.