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Editorial
Wie der Papst unsere Verantwortung herausfordert
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Der Chefredakteur einer italienischen Tageszeitung meinte kürzlich in einer Rede einen erstaunlichen Wandel im Katholizismus konstatieren zu müssen. Zumindest wenn man darunter das versteht, was Journalisten, Intellektuelle und Meinungsmacher für gewöhnlich darunter verstehen. Als Indiz für diesen Wandel führte er an, dass ein Papst in einer Enzyklika erstmals das Wort «Ereignis» benutze, um das genuine Wesen des Christentums zu beschreiben. Und dass der Papst dieses Wort gewissermaßen eingeschleust habe. Tatsächlich ist das Verständnis des Christentums als Ereignis aber keineswegs neu, es durchzieht die gesamte Kirchengeschichte. Doch was den Journalisten zurecht neugierig gemacht hat, ist der Gebrauch des Wortes «Ereignis».
Wie Papst Benedikt XVI. bestimmte Worte verwendet, bringt viele zum Staunen - die vorliegende Ausgabe von Spuren lässt einige von ihnen zu Wort kommen. Für andere ist es Grund zur Sorge. Der Papst spricht vom Herzen, von Liebe und Vernunft, Erziehung und Dialog. Dinge, für die sich «Laien» gerne alleine zuständig fühlen. Vor allem wagt es Benedikt, Worte zu gebrauchen, über die dem Christentum entgegengesetzte Strömungen und Ideologien die alleinige Deutungshoheit beanspruchen. Er verwendet den Wortschatz der Moderne, der dem modernen Menschen etwas zu sagen hat. Solange die Kirche von der Verwendung dieser Worte oder der Beschäftigung mit ihnen und ihrer Bedeutung ausgeschlossen wurde, musste sie veraltet und bedeutungslos erscheinen. Doch das war ein Irrtum. Denn die Kirche hat immer Bezug genommen auf das Interesse der Menschen aller Zeiten, auf das, was der Papst das «Herz» nennt.
Benedikt XVI. hat die Herausforderung der Moderne aufgegriffen und sie neu gestellt. Deshalb benutzt er «verbotene Worte», geht ihrer Bedeutung nach und schlägt ihren genuinen Sinn vor. Damit fordert er uns alle oder besser unser aller Liebe heraus. Wir Christen sind aufgerufen, innerhalb unserer Erfahrung zu verifizieren, ob der Sinn dieser Worte innerhalb einer Vertrautheit mit Christus umfassender und weiter wird oder nicht. Es geht darum, die Freiheit der Menschen bis ins Letzte zu lieben und, wie es Christus tat, sich ihr ganz auszuliefern, um zu prüfen, ob die wichtigste Nachricht stimmt, die uns je erreichen kann: dass es etwas gibt, das aus der allgemeinen Verwirrung herausragt, dass das Leben nicht umsonst ist, dass es einen Vater gibt, der uns gewollt hat und auf uns wartet und dass das, was wir lieben, nicht verloren geht.
Diese Verantwortung ist groß und ungewohnt für uns Christen, die wir inmitten einer Welt leben, die bestimmte Worte aus ihrem Wortschatz gestrichen hat, weil sie ihren Sinn nie erlebt hat oder für unmöglich hält. Wer sich also der Herausforderung des Papstes stellt, wird seine Worte nicht einfach wiederholen, sondern ihre Wahrheit zu dokumentieren suchen, also das, worin das Christentum besteht: «Christus gibt den Gedanken Fleisch und Blut, einen unerhörten Realismus» (Deus caritas est). Und das heißt, Zeugnis dafür ablegen, dass man das Christentum leben kann. Denn wenn die Menschen es nicht sehen, dann glauben sie es auch nicht. Allein die Veränderung im Leben von Menschen, die wie alle anderen sind, ruft eine Anziehungskraft hervor. Unsere Verantwortung vor der Welt besteht deshalb darin, «Zeugnis» zu geben.