Logo Tracce


Irak
Ein regelrechtes Ausbluten
Riccardo Piol

Man hat berechnet, dass seit Beginn des Krieges im Jahre 2003 etwa zwei Millionen Iraker aus dem Land geflohen sind und 1,6 Millionen Menschen ihre Häuser verlassen haben, um in einer anderen Region innerhalb des Irak Zuflucht zu suchen. Mancher nennt dies ein regelrechtes Ausbluten, das jedoch schon mit dem ersten Golfkrieg 1991 begonnen hatte. Unmittelbares Ziel dieses Menschenstroms waren Jordanien oder Syrien, das zusammen mit der UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR am Vorabend des Krieges ein «System des vorübergehenden Schutzes» für die Flüchtlinge in Kraft gesetzt hatte. Es kamen etwa 80.000 Leute ins Land. Niemand konnte sich jedoch vorstellen, dass die größte Welle von Menschen nach dem Konflikt kommen würde. In Damaskus spricht man heute von einer ungenauen Zahl zwischen 200.000 und 500.000. Sicher ist, dass die Anzahl der Christen unter den Flüchtlingen zunimmt. Es sind 50 Prozent. Sie fliehen in die Nachbarländer, aber auch weiter weg, in die USA, nach Kanada, Australien oder Neuseeland, oder auch in das nahe gelegene Europa, wo sie überall Asyl finden. So berichtet es ein Artikel in der Zeitschrift Time, der den irakischen Flüchtlingen in Schweden gewidmet ist, wo allein im Jahre 2005 rund 2.330 Menschen aufgenommen wurden. Anfänglich war es das gehobene Bürgertum der bedeutenden Städte, das in Stockholm ankam. Heute landen dort Menschen aller sozialen Schichten. Und die Regierung bereitet sich darauf vor, höchstens 35.000 Leute aufzunehmen. Unter ihnen sind auch viele Christen. Zu den letzten Ankömmlingen, von denen der Artikel in der Ausgabe vom 19. Februar 2007 berichtet, gehören auch fünf Priester, die dem Journalisten erklärten, dass sich ihre Gemeinden rapide aufgelöst hatten. Wenn man diese Zahlen sieht und von Entführungen, Attentaten und Morden hört, die mittlerweile auch vor Priestern nicht Halt machen, kommen einem die Worte in den Sinn, mit denen Antoine Sfeir, der Direktor der Zeitschrift Cahiers de l'Orient, sein Interview in der Dezemberausgabe des französischen Nouvel Observateur schloss. «Was hat der Orient im Falle eines möglichen Verschwindens seiner christlichen Minderheiten zu verlieren?» fragte der Journalist. Seine Antwort: «Alles, absolut alles».