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Max Beckmann
Und trotzdem ist mir jeder Mensch immer wieder ein Ereignis ...
Annette Schöningh

Derzeit ist Max Beckmann mit der Ausstellung Exil in Amsterdam in der Münchner Pinakothek der Moderne zu sehen. In Zusammenarbeit mit dem Van Gogh Museum in Amsterdam widmet die Ausstellung sich mit rund 100 Gemälden und 5 gigantischen Triptychen der wohl reichsten Schaffensphase des Künstlers.

Ein Feuerwerk an Farben, Formen und Figuren, dramatische Szenen und fesselnde Porträts – diese Ausstellung von Beckmann fordert den Betrachter heraus. Denn er muss sich auf etwas einlassen, das sich nicht immer unmittelbar erschließt. Das viel zitierte Beckmannsche «Welttheater» erfordert ein wenig Geduld. Aber es entlässt den Zuschauer mit einem Wunsch: Wieder zu kommen, um wieder zu sehen.
«Eigentlich ist es ja sinnlos, die Menschen, diesen Haufen von Egoismus (zu dem man selber gehört) zu lieben. Ich tue es aber trotzdem. Ich liebe sie mit all ihrer Kleinlichkeit und Banalität. Mit ihrem Stumpfsinn und ihrer billigen Genügsamkeit und ihrem ach so seltenen Heldentum. Und trotzdem ist mir jeder Mensch immer wieder ein Ereignis, als wenn er eben vom Orion heruntergefallen wäre». (Max Beckmann, Briefe, 1920)
Kaum ein deutscher Künstler des vergangenen Jahrhunderts hat die Suche nach dem Sinn der menschlichen Existenz in seinen Gemälden, graphischen Arbeiten und Briefen so dramatisch, ehrlich, schonungslos und zugleich faszinierend dargestellt und beschrieben wie Max Beckmann. Kein deutscher Künstler hat so viele Selbstbildnisse hinterlassen wie er, annähernd hundert. Hinter dem äußerlich unnahbar und oft abweisend wirkenden Künstler verbargen sich höchste Sensibilität und auch Verletzlichkeit. Seine Neugierde und wache, ständig alles hinterfragende Persönlichkeit lernten besonders seine Studenten schätzen und lieben. Er unterrichtete sie mit Hingabe und sie «entdeckten, was alle seine Freunde entdeckten: dass Max Beckmann, dass dieser Fremde, der so ernst, so unnahbar, so überwältigend vor ihnen stand – ein Mann, dem man mit einigem Zittern gegenübertrat –, bei näherer Bekanntschaft ein warmherziger, großzügiger, mitfühlender und verständnisvoller Mensch mit einer bemerkenswerten Fähigkeit zur Freundschaft war». (Siehe: M. Q. Beckmann, Mein Leben mit Max Beckmann, R.Piper & Co.Verlag, München 1983, S.73).
Die Erlebnisse der beiden Weltkriege haben sich unauslöschlich in sein Leben und Werk eingebrannt. Als Sanitäter und Soldat erlebte er den Ersten, als Flüchtling im Amsterdamer Exil den Zweiten Weltkrieg. Die Briefe des Künstlers und, ab 1940, auch seine Tagebücher erlauben einen tiefen Einblick in das Wesen des ewig Suchenden. «Die Magie der Realität zu erfassen und die Realität in Malerei zu übersetzen», wurde oberstes Gebot eines Lebens, das unter der Maxime stand «ein \'Selbst\' zu werden (...). Dieses \'Selbst\' suche ich im Leben – und in meiner Malerei». ( Pillep 1990, S.48 ff).Dazu bekannte er sich in seiner berühmten Rede zur Eröffnung der Londoner Ausstellung 20th Century German Art im Juli 1938, die als Gegenstück zur Münchner Ausstellung Entartete Kunst gedacht war.
Ein Jahr zuvor, im Juli 1937, hatte Beckmann Hitlers Schmäh- und Drohrede zur Eröffnung der Münchner Ausstellung Entartete Kunst mit Entsetzen und Abscheu verfolgt. Zwölf seiner eigenen Gemälde waren dort ausgestellt. Am nächsten Tag schon floh er mit seiner zweiten Frau «Quappi» von Berlin nach Amsterdam; Deutschland sollte er niemals wieder sehen. Eine kleine Wohnung mit Atelier in einem ehemaligen Tabakspeicher diente nun für zehn Jahre als Unterschlupf. Hier werden fortan seine bedeutendsten Werke entstehen: großformatige Tryptichen und Gemälde, die den dramatischen Existenzkampf unter Not, Einsamkeit und Isolation widerspiegeln, aber auch Porträts und Bildnisse von Freunden und, vor allem, seiner Frau. Sie alle zeigen deutlich, was sein Leben aus dem Sumpf der Verzweiflung und Angst erhob, die ihn immer wieder umfing: Eine menschliche Beziehung und Freundschaft.
In seiner sechzehn Jahre jüngeren, zweiten Frau Mathilde Q. Beckmann hatte der Künstler eine kluge, begabte und zu manchem Opfer bereite Gefährtin gefunden, die ihm Halt gab. Die attraktive Tochter des Münchner Malers Friedrich August von Kaulbach hatte Violine und Gesang studiert und sich dann in Wien als Koloratursängerin ausbilden lassen. In ihrem lesenwerten Buch Mein Leben mit Max Beckmann schreibt sie: «Als ich meine Mutter anrief, um ihr zu sagen, dass ich mich verlobt hatte – mit Max Beckmann –, war da einen Moment Pause. – Im Frühjahr 1925 erhielt ich ein Angebot an die Staatsoper in Dresden als Koloratursängerin, ich lehnte ab, denn ich wusste, ich konnte nicht mit Beckmann verheiratet und gleichzeitig Sängerin sein; die Geige habe ich bis heute nicht aufgegeben» ( S.o. Mein Leben ..., S. 12).
Das in der Ausstellung gezeigte, großformatige «Doppelbildnis Max Beckmann und Quappi», ist ein eindrucksvolles Zeugnis dieser Ehe. Der Künstler steht in massiver Haltung da, den linken Arm in die Seite gestemmt, in der rechten einen schwarzen Hut. Sein stets imposanter Schädel und ein ernst in die Ferne blickendes Gesicht verraten Anspannung und Sorge. Quappi wirkt auf den ersten Blick mädchenhaft-versonnen, wie sie ihre linke Hand liebevoll und beschützend auf seine Schulter legt. Zurückgenommen in ihrer körperlichen Haltung und ihrem Gesichtsausdruck, verrät sie doch eine innere Stärke und Ruhe, die dem Paar eigentlich Stand verleiht. Nicht zuletzt ihre verhaltene, farbige Eleganz und der Blumenstrauß drücken jene Zuversicht aus, die Beckmann in ihrem Beisein empfindet: «Ja, glauben Sie denn, dass ich dies ohne Quappi aushalten könnte, sie ist ein Engel, den man geschickt hat, damit ich meine Arbeit fertigbringe» ( S.o. Pillep 1990, S. 61).
«Dies aushalten» bedeutete: Seit einem Jahr tobte der Krieg, deutsche Truppen hatten die Niederlande besetzt und die Amsterdamer Lebensbedingungen waren äußerst aufreibend. Eine Berufung nach Chicago musste der Künstler 1940 ablehnen, weil er vom amerikanischen Konsulat als Deutscher kein Visum erhalten hatte.
Beckmann interessierte sich schon seit früher Jugend für westliche Philosophie und die Philosophie der Hindu. Er war ebenso wie Quappi lutherisch erzogen. Bis zuletzt war seine unermüdliche Suche, dem Sinn allen Seins auf die Spur zu kommen, von Zweifeln, Unsicherheit und Skepsis vor der Wirklichkeit geprägt. Das Drama des Lebens und des Todes blieb ihm ein letztlich unentschlüsselbares Geheimnis. Nur in der Vollendung eines Werkes, also in der totalen Hingabe an die Kunst, konnte er eine Ahnung von Befreiung finden, die freilich immer vorläufig bleiben musste. Im Jahr seines Todes, 1950, bringt er dieses Bekenntnis vor seinen Schülern aus Anlass seiner Ehrenpromotion in St.Louis an der Washington-University zum Ausdruck: «Immer ist die Kunst neben Religion und Wissenschaft die Helferin und Befreierin auf dem Wege der Menschheit gewesen. Sie befreit durch die Form die vielen Zwiespältigkeiten des Lebens und lässt uns manchmal hinter den dunklen Vorhang blicken, der die unsichtbaren Räume verhüllt, in denen wir vereint einst sein werden». ( S.o. Mein Leben mit ..., S. 209)
Und vielleicht hätte Beckmann auch dem Ausspruch Franz Kafkas zustimmen können, mit dem Don Giussani sein Buch Der Religiöse Sinn abschließt: «Wenn auch keine Erlösung kommt, so will ich doch jeden Augenblick ihrer würdig sein».


Ausstellung bis 6.01.2008, Pinakothek der Moderne, München, täglich außer o 10.00-18.00, Do10.00-20.00