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Briefe
Briefe Februar 2008
Zusammengestellt von Paola Bergamini

Das Erfüllende erfahren
Hallo meine Lieben,
ich arbeite jetzt seit einiger Zeit am Meeting Point von Rose in Kampala. Dort werden die Waisen aufgenommen. Ich helfe unter anderem bei der Betreuung der Patenschaften mit Deutschland und Italien. Ich fühlte mich hier sofort vollkommen zu Hause und überhaupt nicht ausgeschlossen oder beschämt, wie es einem oft geht, wenn man als gesunde, reiche Weiße unter lauter armen und meist HIV-positiven Schwarzen ist. Ich bin unter anderem hierher gekommen (oder vor allem deshalb), weil es mich so faszinierte, dass Rose jeden – ob krank oder gesund – als das anschaut, was er ist. Und in den wenigen Augenblicken, in denen ich selbst jemanden so angeschaut habe, habe ich das als das Erfüllendste erfahren, das es gibt . Mir ist bewusst geworden, dass ich wirklich am meisten ersehne, so lieben zu können. Also wollte ich hierher kommen und von Rose lernen. Aber hier habe ich gemerkt, dass ich eine Person nur dann so anschaue, wenn für mich konkret erfahrbar ist, dass Er mich jetzt durch die Umstände umarmt (die Freundschaft mit Betty oder ein Kind, das immer bei mir sein will, oder der Katechismus, ...). Denn dann wird der andere plötzlich Ausdruck Seiner Zärtlichkeit, Seiner Umarmung und dann kann ich den anderen nicht mehr anders anschauen als mit einer großen Zärtlichkeit. Und das kehrt alles vollkommen um. Ich will nicht lernen zu lieben, denn das wäre auf jeden Fall immer eine Anstrengung meinerseits, sondern ich will lernen, mich lieben zu lassen; mir Seiner Umarmung bewusst zu werden – alles andere ist dann eine Konsequenz.
font class="autorlettera">Veronika, Eicshtättm (derzeit in Kampala)

Jedes Haar ist gezählt
Liebe Freunde,
ich schicke euch eine Kopie des Briefes, den eine Kollegin der Sekundarstufe mir und unseren gemeinsamen Freunden geschickt hat. Wir hatten ihr geschrieben, nachdem sie wegen ihres schwer kranken wenige Monate alten Kindes ihren Schuldienst aufgeben musste. Der Junge kam nach dem Tod seines kleinen Brüderchens zur Welt, das unlängst wegen der gleichen Krankheit gestorben war.
«Liebe Jugendliche, tief gerührt habe ich die Gedanken gelesen, die ihr für uns geschrieben habt. In euren Briefen habt ihr alle eine besondere Aufmerksamkeit für „unseren“ Kleinen gezeigt. Dafür danke ich euch. Wenn ich an mich und an das denke, was sich in meinem Leben ereignet, entdecke ich, dass ich viele Gründe habe, dankbar zu sein. Ich könnte wirklich wütend auf Gott sein, weil er erneut nicht meinen Wunsch erfüllt hat, ein gesundes Kind zu haben. Und dennoch danke ich ihm in diesem, aus verschiedenen Gründen harten Umstand, weil ich sehe, dass er es mir an nichts fehlen lässt. Alles, was er mir zum Leben gibt, ist dazu da, um besser zu verstehen, dass ich von Ihm abhänge, dass mein Leben (das Leben aller) von Gott abhängt und dass nicht einmal ein Haar unseres Hauptes vergehen würde, selbst wenn alles schlecht liefe oder alles gegen uns zu sein scheint! Ich und mein Mann Paolo passen sehr gut auf Matteo auf. Ich kann sagen, dass wir glücklich sind und unser Zusammensein mit Matteo schöner ist, weil er voller Liebe ist. Ein anderer Grund, weshalb ich euch danken möchte, ist die Tatsache, dass neue Beziehungen entstehen: Wenn ich einige von euch sehe, bin ich glücklicher und denke an euch. Ich wäre gern weiter in die Schule gekommen, aber es war mir nicht möglich. Ich denke, dass es richtig war, euch einer gut vorbereiteten Lehrerin zu überlassen, die euch die Zeit und Energien widmet, die ihr verdient. Denn ihr habt das Recht, in die Schule zu gehen und zu lernen. Verliert keine Zeit, denn sie ist wertvoll, und lernt! Ich denke an jeden einzelnen von euch und danke euch von Herzen, besonders für eure Gebete. Mit aufrichtiger Zuneigung, Giuseppina»
font class="autorlettera">Lia, Longiano

Was sucht ihr?
Lieber Julián,
wir sind mit rund 40 Personen aus Deutschland mit einer sehr großen Erwartung nach Rimini gekommen: Als Gemeinschaft hatten wir schon seit vielen Jahren nicht mehr an den Exerzitien von Rimini teilgenommen. Die Entscheidung war aus verschiedenen Gründen nicht ganz einfach. Aber wir ahnten, dass sie uns in dem Maße wachsen ließ, wie wir uns herausfordern ließen. So wurden auch die anfänglichen Probleme bis hin zur Organisation für viele von uns eine Gelegenheit, sich persönlich ins Spiel zu bringen. Wir erwarteten uns eine Entsprechung mit der Sehnsucht unseres Herzens. Und dies war vom ersten Abend an der Fall. Als du jedem von uns die Frage gestellt hast: «Was sucht ihr?» und uns eingeladen hast, diese Frage ohne Einschränkung zu thematisieren und sie nicht voreilig zu beantworten. Angesichts dieser Frage waren wir erneut überrascht, dass es jemanden gibt, der uns so ernst nimmt, dass er uns sie stellt und uns so ermöglicht, mit Zuneigung und sogar mit Dankbarkeit auf unser Bedürfnis zu schauen. Wir können wirklich sagen, dass dieses unser unerschöpfliches Bedürftigsein eine Gnade ist, weil es uns an den Einen erinnert, der allein in der Lage ist, darauf zu antworten. Man kann nicht mehr mogeln: Es gibt eine Art, vor den Dingen zu stehen, die mehr entspricht, weil sie eine Position ist, die den ganzen Schwung der Vernunft benutzt, ohne ihn willkürlich oder aus Faulheit zu stoppen. Wir haben gemeinsam mit dir und dadurch, dass wir uns in deinen Blick hineinversetzt haben, den Geschmack entdeckt, die Fragen, die die Wirklichkeit in uns wachruft, anzugehen, so dass die ganze Arbeit, die auf uns wartet, uns nicht schwer fällt, sondern sich wie eine Gelegenheit anbietet, um besser zu erkennen, wer Christus ist. Zu Hause zurückgekehrt, drängt uns das Verlangen, uns gegenseitig zu unterstützen, dieses Blickes und dieser Gegenwart, die uns umarmt (indem sie uns erlaubt, uns bedürftig und dankbar in allem, was täglich passiert, zu entdecken), zu gedenken: beim Schreiben der Diplomarbeit, beim Deutschlernen (für die vielen Italiener, die hier unter uns sind) und in der Dramatik der Beziehungen. Vor diesen Umständen beten wir den Angelus mit neuem Bewusstsein, um uns gegenseitig an diesen Blick zu erinnern, der immer «vorher» kommt, indem er unsere ganze Menschlichkeit umarmt.
font class="autorlettera">CLU Deutschlan

Eine andere Welt
Lieber Julián,
mit einer kleinen Gruppe der Cattolica und dem Chor der «Alpini» hatten wir vor der U-Bahn-Haltestelle Cadorna unseren Weihnachtsstand, um für die Hilfsorganisation Avsi um Spenden zu bitten. Während der Chor sang, erklärten wir den Passanten, was die AVSI ist. Ein Herr blieb stehen, gab mir eine Spende und fragte: «Aber wer seid ihr? Was macht ihr? Und woher kommt der Chor, wer sind die Jugendlichen?» Als ich ihm antwortete, sagte er: «Ich arbeite im Gefängnis von Como. Es wäre schön, wenn meine Gefangenen diesen Chor hören könnten. Wie kann ich Kontakt zu euch aufnehmen?» Er gab mir seine Visitenkarte, seine E-Mail-Adresse und seine Telefonnummer und bat mich, ihm meine Nummer aufzuschreiben. Die zweite Begegnung war mit zwei Freunden. Nachdem der eine meinen Erklärungen über die diversen Projekte zugehört hatte, sagte er zu mir: «OK, ich habe verstanden, du willst eine Spende. Kein Problem, kriegst du. Aber im Gegenzug gibst du mir die Angaben über die AVSI, ich möchte sie meiner Schwester weitergeben, die sich bestimmt dafür interessiert». Ich gab ihm unser Flugblatt, woraufhin er fragte: «Habt ihr irgendetwas mit Religion zu tun?» «Wir sind katholisch.» Daraufhin schaute er mich und meine Freunde an und sagte: «Das sieht man. Ihr habt Gesichter von Katholiken». Wir hielten weiter Leute an, als plötzlich ein Mann fast mit uns zusammenstieß. Ihm fielen alle Zettel und ein Buch herunter. Wir halfen ihm beim Aufsammeln und nutzten die Gelegenheit, ihm ein wenig von der AVSI zu berichten. Er schaute auf sein Handy und sagte: «Eigentlich telefoniere ich gerade mit meiner Frau. Ich bin dabei, mich von ihr zu trennen». Dann ging er weiter. Ich frage mich, was wird aus diesen Leuten; auch aus diesem Jungen, den wir am Eingang der Cattolica angehalten haben. Ihnen allen ist – wenn auch nur flüchtig – etwas aus einer anderen Welt begegnet. Denn dies ist in der Tat das, was wir vorschlagen, wenn wir unseren Stand machen: Eine andere Welt in dieser Welt!
font class="autorlettera">Lucia, Mailand

Die Familie vergrößern
Liebe Freunde,
vor einigen Monaten fragte man uns, ob wir ein Pflegekind aufnehmen würden. Wir hatten diese Möglichkeit nie in Erwägung gezogen, auch wenn wir seit einigen Jahren Kontakt zu den «Famiglie per l´accoglienza» haben. Wir hatten uns aus verschiedenen Gründen immer etwa zurückgehalten, vor allem weil das erste unserer beiden Kinder (neun und vier Jahre alt) eine Behinderung hat, was eine ganze Reihe von Folgen und nicht unerheblicher Verpflichtungen mit sich bringt. Es schien sozusagen, als seien wir der Hilfe bedürftig. Seit einiger Zeit kam jedoch mehr oder weniger klar der Wunsch auf, die Familie zu «vergrößern». Als wir dann gefragt wurden, ob wir bereit wären, ein Tageskind aufzunehmen, waren wir einerseits verlegen; andererseits ist uns auch klar geworden, dass es nicht einer heldenhaften Geste bedurfte, sondern der Einfachheit, unser Haus zu öffnen und bei diesem Kind zu bleiben. Daraufhin gingen wir einen Abend mit unseren Kindern in die Eisdiele und erläuterten ihnen diesen Vorschlag. Sie nahmen diese Neuigkeit mit großer Begeisterung auf und zeigten sofort, dass sie den Neuankömmling gern aufnehmen wollten. Beim Warten auf die Ankunft des Kindes beteten wir mit unseren Kindern die Novene zum heiligen Riccardo. Dabei kam uns der Gedanke, dass wir diesen ungewöhnlichen Schritt, der auf den ersten Blick eher weitere Schwierigkeiten mit sich bringt, nie getan hätten, wenn wir diesen Weg nicht gemeinsam gehen und zu dieser Geschichte gehören würden. Aber vor allem sind wir uns sicher, dass wir ohne unsere Tochter diese Freundschaften nicht gepflegt hätten. Sie haben das, was uns passiert ist, mit uns geteilt und uns zu der Entscheidung geführt, diese besondere Erfahrung der Aufnahme zu leben. Dieser Gestus bezieht auch andere Personen ein, wie etwa den Sohn einer Freundin, der angeboten hat, das Mädchen jeden Abend nach Hause zu bringen. Im Grunde ist das Erzählte für uns nichts anderes als eine Bestätigung: dass die Fruchtbarkeit einer Erfahrung wie der unserer Bewegung uns ermöglicht, mit wahrer Intensität jeden Augenblick unseres Alltags zu leben.
font class="autorlettera">Unterschriebener Brief, Verona

Eine ungewöhnliche Andacht
Liebe Freunde,
im Advent haben wir erfahren, wie gut es ist, den Vorschlägen der Wirklichkeit zu folgen, auch ohne besondere Fähigkeiten oder geniale Ideen. Alles fing eines Abends während des Seminars der Gemeinschaft an. Wir hatten auch Dieter, einen Bekannten von uns, der sich im Leben der Pfarrei stark engagiert, eingeladen. Er war sehr fasziniert von den Worten und dem Charisma Giussanis und sagte, dass es sehr schön wäre, diese neue, so interessante Weise des christlichen Lebens auch anderen vorzustellen. Er bat uns daher, das Seminar der ganzen Pfarrei vorzustellen. Wir hatten aber erst einmal keine Idee, wie man das machen könnte. Schlussendlich haben wir das gemacht, was uns selbst interessiert, besonders die Begeisterung von einem von uns, Vincenzo, für die Musik. Er schlug vor, selber einen Vortrag zu halten, ähnlich einem, den er bereits in Mailand gehört hatte. Dieter besprach den Vorschlag mit Pater Josua, dem Pfarrer unserer Kirche St. Elisabeth. Und der überraschte uns alle, indem er noch einen Schritt weiterging: Er wollte keinen Vortrag, sondern eine Andacht, und zwar in der Kirche. So kam der dritte Sonntag des Advents. In dieser Andacht kombinierten wir Gedichte von Leopardi mit der Musik von Mozarts Krönungsmesse und folgten Giussanis Interpretation derselben: So konnte Leopardis große Frage im Licht von Mozarts großer Antwort betrachtet werden. Bilder von Friedrich, Van Gogh, Millet, Guido Reni und Giotto halfen uns beim Verstehen. Schließlich stellte Simon das Seminar der Gemeinschaft kurz vor, damit der Ursprung unserer Arbeit deutlich wurde. Etwa dreißig Leute waren gekommen, darunter auch einige Freunde aus Hessen und sogar aus Bruchsal. Schon das hat uns erstaunt. Pater Lucjan, der die Andacht als Priester begleitete, wollte kein Urteil fällen, aber für uns tat er es doch, indem er sagte, dass dies doch etwas ganz Ungewöhnliches und Neues an diesem Ort gewesen sei. Die neue Freundschaft mit ihm und den anderen Patres ist eine erste Frucht unserer Anwesenheit hier. Schön waren auch die Fragen nach der Bewegung und Luigi Giussani, aus dem, wie wir sagten, alles entstanden ist. Im Nachhinein blicken wir auch mit Ehrfurcht auf die Leichtigkeit, mit der die eigentlich schwierige Vorbereitung gelungen ist, und erkennen hier Seine zarte Hand. Jenseits von unseren Grenzen und unseren Fähigkeiten hat sich der Ursprung der Pracht durchgesetzt, auf die wir hingewiesen haben. Wir sind gespannt, welche Früchte noch wachsen werden.

font class="autorlettera">Simon, Katja, Vincenzo - Kirchhain und Marburg