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Meeting 2008
Die Protagonisten der Geschichte
Alberto Savorana

Der diesjährige Titel des Meetings stammt aus Don Giussanis Werk «Einiger großer Dinge gewiss» und lautet «Entweder Protagonisten oder niemand». Protagonist bezieht sich dabei nicht auf eine bestimmte Genialität oder Spiritualität. Jeder ist aufgerufen, das eigene Antlitz zu entdecken, das in Zeit und Ewigkeit einzigartig und unwiederholbar ist. Es geht also um ein Verständnis der Person, das nicht allgemein und abstrakt ist, sondern als Ausdruck eines Lebens. Dies betrifft jeden von uns. Für die vorherrschende Mentalität ist der Protagonist höchstens das Genie oder der Star, kurz derjenige, der sich von der Masse unterscheidet. Für Don Giussani aber ist derjenige ein Protagonist, der ein eigenes Antlitz hat, der Sohn ist.

Man entdeckt das eigene Antlitz nicht durch eine Analyse, sondern durch eine Begegnung in der Wirklichkeit. Denn die Analyse fügt dem, was ist, nichts hinzu, sondern zerlegt es nur in viele Teile. Wer sich aber auf ein Ereignis einlässt, führt etwas Neues ein. Don Giussani sagte, dass der Protagonist der Geschichte der Bettler sei. Es ist derjenige, der um seine Abhängigkeit vom Ereignis Christi weiß, auch wenn er unfähig oder unmoralisch ist. Wenn ihn jemand umarmt, sagt er in aller Einfachheit: «Das ist die Wahrheit.»

Das Thema der Person und ihre Beziehung zur Wirklichkeit ist wesentlich. Denn hier geht es um die Frage der Erkenntnis, die schon Origenes, und später Augustinus aufgegriffen haben. Interessant am Titel ist vor allem, wie ich selber ein Protagonist werden kann und was dies für mich bedeutet. Dabei ist die Methode, also der Weg wesentlich: der Protagonist ist der freie Mensch; die Freiheit erwächst aus dem Urteil und urteilen bedeutet, der Wahrheit zu folgen.

Die Person kann aber nur wachsen, wenn sie das Geheimnis anerkennt. Zwei scheinbar entgegengesetzte Entwicklungen der Moderne reduzieren aber den Menschen, nämlich der Naturalismus, er reduziert das Ich auf ein biologisches Wesen, und der Historismus, der es auf die Geschichte, die kulturellen und sozialen Bedingungen verkürzt. In beiden Fällen geht die Einzigartigkeit des Ich mit seinem Namen und seinem Antlitz verloren. Don Giussani betont, dass Christus uns zwei Dinge gebracht hat: den Begriff der Person und ihre Funktion im Hinblick auf den Aufbau des Reiches Gottes. Die wirkliche Religiosität greift in die Geschichte ein und begründet die Freiheit des «Ich in Aktion» und zwar im Bezug auf alle Umstände, auf die es trifft.

Allerdings ist vor zwei falschen Haltungen zu warnen, die der Titel des Meetings nahe legen könnte: Ein Protagonist aus eigener Anstrengung sein zu wollen und sich durch die Umstände entmutigen zu lassen. In diesem Sinne steht und fällt das Wort «Protagonist» mit dem Begriff der Begegnung. Wir entdecken uns als Protagonisten innerhalb einer Begegnung, ebenso wie es Vicky, der HIV-positiven Frau in Kampala (vgl. Spuren Sept. 2007) erging, zu der Rose gesagt hatte: «Du hast einen Wert, der größer ist als deine Krankheit und der Tod.» Deshalb beabsichtigt das Meeting 2008 vor allem, die menschliche Erfahrung eines neuen Protagonismus zu bezeugen: innerhalb der Wissenschaften, innerhalb des Lebens der Kirche und der Gesellschaft bis hin zur Politik. In der Tat erweckt keine Theorie, sondern eine Person unser Interesse, und zwar eine Person, die sich vollkommen in die Wirklichkeit eines jeden Tages einbringt.

Die geschichtliche Entwicklung der letzten Jahrhunderte hat uns gezeigt, wohin es führt, wenn der autonome, vollkommen unabhängige Mensch zum Vorbild des Protagonisten wird, nämlich der Star. Das Ergebnis ist eine verbreitete Passivität. Warum erkennen mittlerweile alle an, dass wir dringender denn je einer Erziehung bedürfen? Warum treffen wir auf Personen, für die der Begriff des Protagonisten keine Bedeutung mehr hat? Wir sind an einen Punkt gelangt, an dem die Zerstörung des Menschlichen, das heißt des eigenen Antlitzes, erschütternde Ausmaße angenommen hat.
Das kommt nicht von ungefähr. Denn man hat versucht, Protagonist zu sein, indem man die Beziehung zur Wirklichkeit abbrach. Paradoxerweise führte genau das zum Formalismus und zum passiven Menschen, wie der amerikanische Journalist Mark Steyn bezüglich des Massakers von Virginia Tech sagte. Er sprach von der «Haltung eines Default». Dies ist das geschichtliche Urteil, vor dem wir stehen. Und darauf müssen wir antworten: Was heißt es für uns, genau in dieser Situation, Protagonisten sein zu wollen? Es wird nur möglich sein, indem wir dort anknüpfen, wo dieses Band mit der Wirklichkeit gerissen ist. Der einzige, der den Menschen dauerhaft wieder aufbauen kann, hat einen Namen: Christus.
Für uns, die wir Christen sein möchten, kann das Meeting ein Zeugnis der Macht des Glaubens als Stifterin eines wirklichen, geschichtlichen Protagonismus in allen Bereichen sein, von der Schule über die Unternehmen bis zur Forschung.
Dabei geht es nicht um einen Moralismus. Denn Protagonist sein, heißt nicht, besonders tüchtig oder kohärent zu sein, sondern einfach und demütig. Einzige Voraussetzung dafür ist, sich von Christus mitreißen zu lassen. Diese ist für jeden von uns eine persönliche Herausforderung. Denn wir können das Wort Protagonist zwar im Munde führen, aber im eigenen Leben formal, unfrei und abhängig von jedwedem Kommentar anderer sein. Die Herausforderung gilt also uns allen.
Woran sieht man, dass der Bettler allem gegenüber offen ist und damit Protagonist der Geschichte? An der Tatsache, dass er sich im Angesicht des Ereignisses Christi in der Lage ist, es anzuerkennen.