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Briefe
Briefe Januar 2008
Zusammengestellt von Paola Bergamini

Von der Karibik nach Belo Horizonte
Im Leben kann es geschehen, dass das Ereignis seine Bedeutung verliert. Man ist der Bewegung begegnet und geht dann, ohne es zu merken, eigene Wege. Dies ist meiner Familie passiert. Nach 20 Jahren, die wir in GS, im CLU, bei den jungen Berufstätigen und in der Fraternität verbracht haben, glücklich verheiratet und in zufriedenstellenden finanziellen Verhältnissen, haben wir ganz allmählich die Frage nach Seiner Gegenwart im Gesicht unserer Freunde und auch in unseren Gesichtern immer mehr vernachlässigt. Wir waren verbürgerlicht, wie uns der Priester, der uns damals getraut hatte, mit väterlicher Härte sagte. Aber das Leben hat uns an einen Scheideweg gestellt. Ein wachsendes Unbehagen bewog uns dazu, unsere ganze Existenz neu anzuschauen. Wir fragten uns nach dem Sinn von alldem und fanden keine Antwort.
Wir fragten Don Alfredo um Rat: von den banalsten bis zu den wichtigsten Entscheidungen - Arbeit, Gebrauch des Geldes, die Erziehung unseres Sohnes. Die Arbeit über das Seminar der Gemeinschaft wurde für uns zum wichtigsten Bedürfnis des Tages, wir wetteifern miteinander darin, es uns in Erinnerung zu rufen und uns infolgedessen immer mehr zu lieben. Alles, was uns jetzt geschieht, rauscht nicht mehr an uns vorbei. Auch der jährliche Sommerurlaub in der Karibik stand zu Diskussion, denn wir merkten, dass uns von der Erholung an bezaubernden Stränden nur der soundsovielte Stempel im Paß blieb.
Wir standen vor der Herausforderung, unsere Ferien in Brasilien zu verbringen, und gerade einmal zwei Wochen später waren wir mit unserem vierjährigen Jungen in Belo Horizonte.
In dieser sehr schönen, doch von der unsrigen weit entfernten Wirklichkeit bedurfte das anfängliche, schüchtern ausgesprochene „Ja“ einer ständigen Erneuerung: Rosa verlangte von uns, den Kombi zu fahren, einzukaufen, die Kleinkinder vom Zentrum „Felicidade“ zu betreuen, als Maurer und Maler das Badezimmer des Kindergartens zu renovieren.... Dieses täglich wiederholte „Ja“ bekam eine immer größere Gewißheit und ließ der Angst keinen Raum. Denn es war ein „Ja“ zu Christus, es war nicht wichtig, was wir konnten oder nicht konnten, und oft haben (und hätten) wir Ihn verraten, aber wir schauten auf die Personen und auf das, was geschah. Rosetta hat uns bezeugt und gesagt, dass Christus von uns verlangt, ihm alles zu geben. Und das Geschenk einer solch wahren Erfahrung wird in der Gemeinschaft mit den Freunden von Ascoli offensichtlich, die uns während der Reise mit Gebeten, E-mails und SMS begleiteten. Es gab bei unserer Abfahrt ein Überraschungsfest von Rosa und den anderen, wie auch eine von Staunen und innerer Heiterkeit gekennzeichneten Empfang bei unseren Freunden des Seminars der Gemeinschaft. Jetzt leben wir ganz die Wirklichkeit und finden unglaublicherweise einen neuen Geschmack an allem, was wir tun.
Elisabetta und Antonio, Ascoli Piceno

Eine beständige Erfahrung
In meiner persönlichen Geschichte wie in den Wechselfällen des Lebens hatte ich stets die klare Wahrnehmung, dass mein Leben an ein Geheimnis gebunden ist. Aber diese Wahrnehmung hatte im Alltag oft einen schmerzlichen, letztlich einen erstickenden Beigeschmack, was mir nicht erlaubte, wirklich frei zu leben. Ich habe nie verstanden, warum Er, der mich in die Welt gerufen hat, mich in so einer Erfahrung beließ. Daher habe ich vor einem Jahr aus Überdruss und totaler Skepsis aufgehört, zur Bewegung zu gehen, ja sogar an den Sakramenten teilzuhaben. Ich habe nicht verstanden, warum ich die Verbindung mit einer Wirklichkeit aufrechterhalten sollte, die mir anscheinend im Alltag, in den Freundschaften, in den Wünschen nicht erlaubte, die Erfahrung wirklicher Freiheit zu machen. Just in dieser Zeit tauchte eine Person auf, die mit Ernsthaftigkeit und Interesse an meinem Menschsein mein Leben betrachtete. Dies bewegt mich heute noch, nicht im sentimentalen Sinn, sondern in dem Sinn, dass dies meine Person „bewegte“, meine Person in „Bewegung“ setzte. Ich habe es nicht bemerkt, aber in der Beziehung zu ihm, im Widerschein seiner Ernsthaftigkeit, der Wärme und der absoluten Freiheit, mit der er mich anschaute, erfuhr ich, was es bedeutet, geliebt und frei zu sein. Ich habe alles in Begleitung von diesem Blick gelebt, der langsam Teil meiner Selbstwahrnehmung wurde; weil ich es zuließ, denn ich überließ mich der absoluten Würde und Schönheit dieser Erfahrung. Mein Leben hatte sich nicht geändert, mein Schmerz und die Müdigkeit blieben, aber nach und nach trat eine Art neuer, gänzlich anderer Erfahrung in mein Leben. Er erzählte immer von Carron und deshalb habe ich angefangen, manchmal nach Mailand zu dessen Seminar zu fahren. Ich wollte den Grund dieses Neuen, das ich sah, verstehen und leben. Dort habe ich konkret eine Arbeitsmethode gesehen, die mich zutiefst überzeugt hat, die mich anzog. Denn die Art, wie er die Personen anschaute, die die gleichen oder auch andere Fragen als ich hatten, zeigten mir einen Weg, eine sehr konkrete Weise, um die Erfahrung zu machen, die er gemacht hat und die mich interessierte. Dort habe ich nach und nach die Schritte der Erfahrung verstehen können, die es mir erlauben, jene Intensität zu leben, die mich fasziniert, weil sie es war, vor der mein Herz nachgegeben hatte. Das Jahr begann für mich auf eine ganz neue Art: Ich sehne mich danach, zum Seminar und auch zur Caritativa zu gehen – vor einem Jahr habe ich davon nichts wissen wollen. Alles ist einfach, was aber nichts mit Naivität zu tun hat. Das Leben ist meiner Meinung nach dramatisch, hat komplizierte Züge, wie es auch die Geschehnisse um den Tod von Mattia zeigen. Ich habe begonnen für ihn und seine Familie unermüdlich zu beten, ohne sie zu kennen; einfach nur, weil ich wünsche, dass sie innerhalb dessen eine Erfahrung der Befreiung machen. Tatsache ist, dass in all diesem eine einfache Erfahrung liegt, die alles leichter macht und zur Ruhe führt: Es ist die existentielle Anerkennung der Tatsache, dass ich bin und dass ich aus dieser Beziehung mit dem Geheimnis bestehe. So bin ich nicht mehr bestimmt von den Dingen, die mich vor kurzem gefangen hielten. Es ist eine Erfahrung, hinter die man nicht mehr zurückgehen kann.
Elena, Bologna

Die einzige Antwort ist Christus
Lieber Don Julián, ich schreibe dir aus Asunción in Paraguay, wo ich im Krankenhaus von Pater Aldo arbeite. «Wie können wir feststellen, ob wir es verstanden haben?».
Diese Frage, die du uns bei der Èquipe gestellt hast, hat meine Menschlichkeit und mein Denken wieder geweckt. Aufgrund dieser Herausforderung ist mir klar geworden, dass es sinnlos ist, bei der Bewegung zu sein, ohne mein ganzes Leben danach auszurichten. Jetzt spüre ich immer stärker den Wunsch zu prüfen, ob sich ein neues Kriterium erfüllt hat, ob ich eine Veränderung wahrnehme; kurz ob ich behaupten kann: «Es ist, da er in meinem Leben wirkt.»
Mit derselben Frage bin nach Paraguay gekommen. Es ist beeindruckend, wie der Herr antwortet. Als ich mit meinen Freunden in Parma telefonierte, bemerkte ich, dass etwas Neues in meinem Leben geschehen ist, seit ich hier bin. Wir sprachen über den letzten Tag der Vorbereitungskurse, die die Leute von der Bewegung für Studienanfänger machten, und ich fragte ihn, was er diesen 300 Jungen und Mädchen, bei denen ich seit zwei Wochen war, gesagt hätte. Daraufhin antwortete er mir: «Dass wir diese Vorbereitungskurse gemacht haben, weil eine ganz besondere Freundschaft von uns Besitz ergriffen hat».
Dazu konnte ich nicht schweigen. Eine ganz besondere Freundschaft reicht nicht aus, es reicht nicht, große Ideale vor Augen zu haben oder große missionarische Pläne zu schmieden. Seit meinem ersten Arbeitstag in diesem Krankenhaus beschäftigt mich eine Frage: wie ist es möglich, dass es auf der Welt solch einen Ort gibt, an dem der Patient als Mensch behandelt wird und über die medizinische Behandlung hinaus die Frauen auch noch gekämmt und mit Haargummis und -spangen geschmückt werden?
Ein Ort, an dem der Schmerz umarmt wird und an dem nach einer Zeit die Angst zu sterben verschwindet, weil man nicht mehr alleine ist; ein Haus, wo die Patienten wieder lachen lernen, danke zu sagen und die Taufe und die Heiligen Sakramente verlangen? Ich habe meine ganze Vernunft und meinen ganzen Verstand darauf verwendet, um eine Antwort auf diese Frage zu finden, auf die ich mich verlassen kann und der ich folgen kann.
Denn ich will, dass meine Familie, meine Freunde und meine Beziehung zu meinem Verlobten diese Gestalt annimmt. Diese Antwort bedeutet kein Ende, im Gegenteil, sie erweckt in mir den Wunsch, dies immer genauer kennen zu lernen. Genau wie es mir widerfahren ist, als ich mich verliebt habe. Er erwidert meinen Wunsch, geliebt zu werden, und im gleichen Augenblick entfacht er in mir den Wunsch, mein ganzes Leben mit ihm zu teilen. Ich habe meinen Freunden in Parma gesagt, dass diese Vorbereitungskurse im Grunde genau das gleiche sind, wie die Arbeit hier im Krankenhaus. Wir machen das, weil unsere Freundschaft Seine Gegenwart erkennt und lebt.
Margherita, Parma

Das Angelus-Gebet
Lieber Don Carrón, jeden Morgen nachdem ich meine Kinder in den Kindergarten gebracht habe, gehe ich mit einer Gruppe anderer Mütter den Angelus beten, gemeinsam mit Don Sandro. Für mich ist ihre Freundschaft ein sehr wertvolles Geschenk und wenn wir den Angelus beten oder uns am Vormittag treffen und das Seminar durchgehen, ist das eine andere Art, den Tag und das Leben zu anzugehen.
Es ist aber nicht der Sauerstoffschub, den du brauchst, weil dich sonst der Alltag ersticken würde. Es ist vielmehr dasselbe, wie wenn man sagt: «Du bist es, der mich erschafft» und auf diese Weise jeden Augenblick Christus hingibt. Jeden Augenblick, das heißt sowohl in guten als auch in schlechten Zeiten, wenn alles wie am Schnürchen läuft und wenn ich zu Hause Geschirr abwaschen oder die zehnte Windel am Tag wechseln muss. Ich sage das, weil mir meine Freundin Manu, die seit einigen Monaten mit ihren vier Kindern alleine ist, da ihr Mann nun im Himmel ist, an einem dieser Tage, als ich dachte: «Noch so viele Windeln zu wechseln? Noch so viel Geschirr abzuwaschen? Wann erfüllt mir der Herr endlich meinen Wunsch nach Selbstverwirklichung?» zu mir sagte: «Dein Leben in diesem Augenblick ist das allerbeste, was der Herr für dich vorgesehen hat.»
Das hat mich ganz durcheinander gebracht. Ich hatte mir was weiß ich erwartet, dabei ist es doch genau in dieser Situation, in der er mich haben will. Das hier ist mein Platz. Und jetzt ertappe ich mich dabei, mit Staunen die Sachen zu betrachten, die ich erledigen muss, meine Kinder, die wollen, dass ich mit ihnen spiele, ein kleines Jobangebot, das ich bekommen habe. Und ich lerne, Seine Gegenwart erkennen zu wollen, die bereits da ist in dem Leben, das mich umgibt. Und ich bin mir sicher, dass ich nicht alleine bin, da die Menschen, die den Weg gemeinsam mit mir gehen, ein lebendiges Zeichen Seiner Gegenwart sind.
Maddalena, Lecco

Von etwas Gegenwärtigem betroffen
Anfang Januar haben wir in der Katechese der Bewegung, dem Seminar der Gemeinschaft, begonnen, das Buch Kann man so leben? von Luigi Giussani zu lesen. Dabei fiel mir folgender Satz ins Auge: «Die Leute machen sich nicht aufgrund von Worten auf den Weg, sondern sind vielmehr von etwas Gegenwärtigem betroffen.»
Dieser Satz bringt auf den Punkt, wie ich überzeugtes Mitglied der Fraternität geworden bin. Mir hat niemand befohlen: «Du musst diesen Weg, den du am 2. Januar 1999 mit 16 Jahren eingeschlagen hast, jetzt weiterverfolgen.» Ich war es, der erst einmal begeistert war von der Atmosphäre, die auf den Skiferien herrschte. Ich fuhr auch zunächst nur mit, um die Leute wieder zu treffen. Ich war zwar schon religiös eingestellt, aber jeden Tag in die zu Messe gehen und am Seminar der Gemeinschaft teilzunehmen, das war noch nichts für mich. Dann, in einer Sommerfreizeit, - es müsste im Jahr 2000 gewesen sein - kam es dazu, dass ein sehr interessiertes, aber auch sehr kritisches Mädchen aus Bruchsal sich gut mit mir verstand. Deswegen diskutierten wir viel über die Sachen, die im Seminar besprochen wurden. Ich folgte auch zum ersten Mal sehr aufmerksam den Texten. Es passierte in mir etwas und seit diesem Zeitpunkt fuhr ich aus Überzeugung mit. Seitdem ging ich Sabina auf die Nerven und wollte unbedingt, dass sie mir Kontakt zu CL-Köln verschafft. Im Winter 2002 kam es dann auch noch dazu, dass ich mich mit dem komischen Geigenspieler von der Sommerfreizeit 2000 angefreundet habe, obwohl klassische Musik bisher nie so meine Welt war. Er ist heute mein bester Freund. Dieses ist bisher der Anfang eines Weges, der durch Erfahrungen und nicht aufgrund von Worten seinen Anfang nahm und den ich am liebsten geradeaus weiter gehen würde, bis mein Erdenweg zu Ende geht.
Marco, Köln