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Enzyklika Spe salvi
Die bekannte unbekannte Realität
Don Stefano Alberto

Auszüge aus einem Zeitungsinterview mit Don Stefano Alberto in der italienischen Tageszeitung Il Foglio. Mit diesem Beitrag und dem Aufmacher will Spuren zur Auseinandersetzung mit der Enzyklika Spe salvi einladen.

Der Papst lädt uns ein, zu fragen, was wir wirklich ersehen. Er fordert uns dazu heraus. «Was wollen wir also eigentlich? [...] Was ist das eigentlich‚ Leben’?» (Nr. 11). Die Frage Jesu an die beiden ersten Jünger halt hier wider: «Was sucht ihr?» (Joh. 1,38). Der Papst stellt den Menschen damit neu vor die Frage, in der die Unermesslichkeit der menschlichen Sehnsucht zum Ausdruck kommt und sagt zugleich mit Augustinus: «Genau besehen wissen wir gar nicht, wonach wir uns eigentlich sehnen, was wir eigentlich möchten.» Zudem fordert Benedikt vom heutigen Denken Rechenschaft über die Verkürzung der unendlichen Sehnsucht des Menschen. Es verherrlicht die individuelle Sehnsucht, unterwirft sie aber zugleich furchtbaren Zweifeln, weil es ihr weder Horizont noch Perspektive eröffnet, es gibt ihr keine Tiefe, sondern versucht alles in einem kurzen Augenblick zu lösen. Damit hat es die Sehnsucht aber in einen toten Winkel geführt. Dennoch sucht der Mensch in jeder Lust etwas Unendliches und verzichtet niemals freiwillig darauf, wie Cesare Pavese in Handwerk des Lebens treffend feststellt.

Gott „weitet und bereitet“ unser Verlangen, betonte Benedikt in Anlehnung an Augustinus. Die christliche Hoffnung ist im Grunde die Hoffnung der menschlichen Sehnsucht. Allerdings gründet sie auf der Gewissheit, dass Christus gegenwärtig ist. Deshalb bringt sie eine neue Welt hervor; was nicht heißt eine, die diese außerhalb unserer Welt liegt. Die menschliche Sehnsucht wird in ihrer zum Unendlichen drängenden Dynamik radikal ernst genommen: in ihrer Ausrichtung auf «etwas, das wir nicht kennen und auf das hin es uns drängt», in Richtung auf das «bekannt Unbekannte» – wie der Papst couragiert formuliert.

Glaube, der Hoffnung wird, «zieht Zukunft in Gegenwart herein». Es ist die Bekräftigung der Möglichkeit christlicher Erfahrung und zugleich die Zurückweisung jeder Verkürzung von Glaube und Hoffnung auf einen subjektiven Elan. Aufgrund der Gewissheit einer Gegenwart blickt die Hoffnung in die Zukunft. Die christliche Hoffnung ist sicherer Besitz, denn die Gewissheit ist Christus selbst, der als jetzt Gegenwärtiger erkannt wird.

Der Papst befreit Christus aus der Rolle eines Moralisten und eschatologischen Propheten, in die Ihn viele Exegeten hineinzwängen wollen und damit derart verfremden, dass Er dem Menschen und seinen wahren Fragen gegenüber fremd erscheint. Dabei ist Christus eine dramatische Präsenz, die Rechenschaft über unsere wahre Sehnsucht verlangt, die uns mit radikalen Fragen in den tragenden Grund der Wirklichkeit einführt: «Was sucht ihr? Was nützt es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, dabei aber sich selbst verliert und Schaden nimmt? Um welchen Preis könnte ein Mensch sein Leben zurückkaufen?» Christus, der Weg, die Wahrheit und das Leben liebt die Bestimmung des Menschen und nimmt seine Sehnsucht nach Glückseligkeit ernst – auch durch den Tod hindurch und darüber hinaus. Während viele Intellektuelle den Zweifel zur unabdingbaren, methodologischen Vorbedingung allen Erkennens und Entdeckens erklärt haben, wird angesichts dieser Bestätigung der Positivität der menschlichen Bestimmung deutlich, dass der Zweifel die Sehnsucht einfriert. Dabei ist doch, so Benedikt, jede Sehnsucht Prophezeiung des Unendlichen. Der Dichter Leopardi beschrieb es ahnungsvoll in der Hymne An seine Herrin: Die Schönheit der Frau verwies ihn auf jene Schönheit, ohne die ihre Schönheit keine Schönheit wäre. In geheimer Liebe für die vorgeahnte Schönheit ruft Leopardi leidenschaftlich aus und erscheint damit als Prophet Christi, wie Don Giussani steht deutlich gemacht hat: «Ob von den ewigen Gedanken Du einer bist, und ewige Weisheit dir sinnliche Erscheinung geben wollte...». Das Drama besteht für uns darin, uns voll und ganz auf das einzulassen, was der sinnlichen Erscheinung nahelegt.