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Wir und der Islam.
Am Anfang des Dialogs steht eine Gewissheit/ Gespräch mit Kardinal Tauran
Kardinal Jean-Louis Tauran

Interview mit Kardinal Jean-Louis Tauran, seit September Präsident des Päpstlichen Rates für den interreligiösen Dialog. Anlass ist ein Brief von 138 Intellektuellen von verschiedenen Richtungen des Islam (kurz «Brief der 138») an Benedikt XVI vom 13. Oktober und die Antwort des Papstes. Die Fragen stellte Riccardo Piol

Als unmittelbare Reaktion auf den «Brief der 138» unter der Überschrift Ein gemeinsames Wort zwischen uns und euch, also zwischen Moslems und Christen, hat Kardinal Tauran Radio Vatikan ein Interview gegeben in dem er unter anderem sagte: «Dies ist die erste wirkliche Initiative für einen interreligiösen Dialog, die von Moslems ausgeht. Denn gewöhnlich sind die ersten Schritte immer von Christen unternommen worden. Der Austausch von Botschaften wird somit eine gute Gelegenheit für eine Bestandsaufnahme der Beziehungen zwischen Christen und Muslimen». Für den Kardinal handelt es sich «um ein bedeutendes Dokument, wegen seiner Sprache und weil es von Sunniten und Schiiten gemeinsam unterzeichnet worden ist».


In Ihrem Interview mit Radio Vatikan sagten Sie, es könne sich um den Beginn einer neuen Ära handeln. Bestätigen Sie das jetzt, nach mehr als einem Monat?
Es handelt sich um eine bedeutende Tatsache, die auf einen grundsätzlichen Willen der islamischen Welt hindeuten könnte, auf die Absicht, sich der christlichen Wirklichkeit offener zu nähern. Es handelt sich um einen unpolemischen Brief, der Fortschritte im Dialog ermöglichen wird. Es geht also um etwas an sich Neues. Beispielsweise ist der Text reich an Zitaten aus dem Alten und dem Neuen Testament. Und die Jesus Christus betreffenden Zitate sind den Evangelien und nicht dem Koran entnommen. Das ist neu.


Der Weg zu diesem Brief bestand aus vielen Schritten der Annäherung. Welche waren entscheidend?

Sicher gehen die Bemühungen um ein gegenseitiges Verständnis und die Suche nach einem friedlichen Zusammenleben von Christen und Muslimen schon auf die Geburt des Islam im Arabien des siebten Jahrhunderts zurück. Dort, in Medina, hatten die drei großen Religionen immer Kontakt untereinander. Zur Zeit Mohammeds lebten Juden, Christen und Mohammedaner zusammen. Wahr ist allerdings, dass dieses Zusammenleben Höhen und Tiefen kannte. Nur ein sehr unparteiisches von christlichen und moslemischen Gelehrten durchgeführtes wissenschaftliches Studium wird die Wahrheit der Geschehnisse feststellen und den Weg zu gegenseitigem Vergeben öffnen können, zu einer Reinigung des Gedächtnisses. In jüngerer Zeit waren die Konzilserklärung Nostra Aetate und alle weiteren Dokumente, die ihr gefolgt sind, sicher bedeutende Schritte in der Geschichte des religiösen Dialogs zwischen Moslems und Christen. In den letzten Jahren ist viel geschehen. Für mich bleibt der Besuch Johannes Pauls II. in Marokko eine Art Meilenstein auf diesem Weg, dieser Pilgerfahrt. Nie zuvor hatte ein Papst zu einer rein moslemischen Menschenmenge gesprochen. Jetzt sehen wir Benedikt XVI.: angefangen vom Weltjugendtag in Köln hat er immer dafür gesorgt, diesen Dialog zu fördern und lebendig zu halten.


Wie sind die Aussichten, worauf kann man die Beziehung mit der islamischen Welt aufbauen? Man spricht immer von der Suche nach einem gemeinsamen Fundament. Was kann das sein?

Noch bevor man von einem gemeinsamen Fundament spricht muss sich vor allem jeder Seite der eigenen Identität bewusst sein. Wer sind wir, an was glauben wir? Haben wir einmal diese Arbeit der – nennen wir es – Selbstfindung geleistet, dann können wir entdecken, dass uns als Christen und Muslime in Wirklichkeit viel verbindet. Zum Beispiel der Glaube an den einen Gott, der für jeden von uns Schöpfer, Vorsehung und Richter ist und der jeden Menschen gemäß seinen eigenen Werken entlohnen wird. Und dass wir alle berufen sind, Gott zu gehorchen und zu versuchen, in allem seinen Willen zu tun. Das ist ein sehr großes Gut. Dem können wir noch den Wert des Lebens und der Familie hinzufügen. All das haben wir gemeinsam. Aber zuerst muss das Bewusstsein der eigenen Identität da sein.


Bei einer Ansprache an die Mitglieder der internationalen Theologenkommission hat der Papst das natürliche Sittengesetz als Fundament «einer universellen Ethik» bezeichnet, «die zum großen Schatz der menschlichen Weisheit gehört». Kann das ein Ausgangspunkt für Gemeinsamkeiten mit dem Islam sein?

Geht man vom Naturgesetz aus, kann man mit allen Menschen guten Willens und mit der heutigen bürgerlichen Gesellschaft reden. Mit den Muslimen haben wir die Aufgabe, die nun schon seit Jahrzehnten begonnene Arbeit in gegenseitiger Achtung fortzuführen. Die angeborene Würde und die unveräußerlichen Rechte der menschlichen Person anzuerkennen und zu fördern, besonders das Recht auf Gewissens- und Religionsfreiheit, das für uns wesentlich ist. Dann gibt es die Möglichkeit, bei der Hilfe für Notleidende zusammen zu arbeiten. Denn der


Dialog ist nicht nur Theorie, sondern muss auch konkrete Anwendungen haben, auch zu einem Dialog der Werke werden.
Dialog ist auch Politik: Vor einigen Monaten hat der frühere Präsident des Iran, Kathami, Benedikt XVI. getroffen; im November erstmals ein König von Saudi-Arabien den Papst. Der Heilige Stuhl nutzt auch diesen Weg um mit der islamischen Welt zu sprechen.

Die schlichte Tatsache, dass König Abdullah gekommen ist, stellt für sich gesehen schon ein Ereignis dar, mehr noch als der Inhalt des Besuchs. Der Papst und der Wächter der heiligen Stätten des Islam sind zwei Persönlichkeiten besonderer Art: Beide sind höchste religiöse Würdenträger und zugleich Staatsoberhäupter – der Papst auf etwas besondere Art. Die Tatsache, dass sie sich treffen, ist das Zeichen einer Anerkennung und des guten Willens ein Stück des Weges gemeinsam zu gehen. Der Besuch des Königs von Saudi-Arabien gleicht in gewisser Hinsicht dem «Brief der 138». Auch er ist eine von islamischer Seite kommende Initiative, und man ist versucht zu sagen: vielleicht stehen wir am Beginn eines neuen Kapitels.


Auf internationalem Parkett nehmen die islamischen Länder und der Heilige Stuhl bei Themen wie etwa der Familie oft gleiche Haltungen ein. Sind das zufällige Ereignisse oder kann diese Allianz auch Gelegenheit zur Begegnung sein?

Sicher teilen wir bei den Themen Familie und Achtung vor dem Leben einen Schatz an sehr ähnlichen Idealen. Aber statt bei bestimmten Themen von \\"Allianz\\" zu sprechen ziehe ich das Wort Konvergenz vor, ohne zu vergessen oder zu übersehen, dass es auch Divergenzen gibt. In der Tat dürfen wir nicht den Eindruck vermitteln, es seien schon alle Probleme gelöst. Der positive Ansatz bei den Themen Leben und Familie ist gut, aber wir müssen unsere Überlegungen in der Wahrheit vertiefen, um zu sehen, worin wir übereinstimmen und wo wir uns unterscheiden. Es gibt immer eine gewisse Zweideutigkeit, die von beiden, Christen und Muslimen, beim Vergleichen größere Klarheit erfordert.


Was meinen Sie mit Zweideutigkeit?

Ich gebe ein Beispiel. Im «Brief der 138» wird von der Liebe Gottes und der Nächstenliebe gesprochen. Das ist schön, aber die beiden Begriffe stimmen nicht vollkommen überein. Der Dialog muss dazu beitragen diese Begriffe zu klären.


Spricht man von der Beziehung zum Islam, so stellt sich stets die Frage, wie man den Dialog voranbringen und zugleich die Christen in den mehrheitlich islamischen Ländern unterstützen kann. Sie leben oft unter schwierigen, ja tragischen Umständen.

Vor allem müssen wir sagen wer wir sind, welches unsere Identität ist. Wir müssen uns bewusst sein, welchen Schatz unser Glaube darstellt, und zugleich müssen wir verstehen, dass es auch beim anderen Elemente der Wahrheit gibt, die Gott ins Herz des Menschen gelegt hat. Zugleich aber muss man sagen, dass der Glaube keine Theorie ist, sondern im konkreten Handeln einer Gemeinschaft von Gläubigen Gestalt annimmt. Diese Gemeinschaften müssen sich gegenseitig respektieren und das, was eine Gemeinschaft für sich selbst in Anspruch nimmt, muss sie auch der anderen zugestehen. Wenn die Muslime in Europa die Möglichkeit haben, über Kulträume zu verfügen, dann muss dasselbe für die Christen in mehrheitlich islamischen Ländern gelten. Die Gegenseitigkeit ist die Grundlage des menschlichen Zusammenlebens und des internationalen Rechts.


Sie würden also denen widersprechen, die von einem mehr gleisigen Dialog sprechen, je nachdem ob er sich an Muslime wendet, die in Europa leben, in arabischen Ländern oder im Nahen Osten?

Ich denke, der interreligiöse Dialog findet nicht in der römischen Kurie statt. Tatsächlich wird er von Christen und Bischöfen in den mehrheitlich islamischen Ländern vor Ort gelebt, ebenso wie von den in den Ländern des Westens lebenden Muslimen. Den Dialog lebt man im täglichen Leben. Gewiss, wenn jemand die Beziehung zwischen Katholizismus und Islam in Europa studiert, muss er die politischen und kulturellen Verhältnisse in Europa zur Kenntnis nehmen. Geht einer nach Indonesien sind die Verhältnisse ganz andere.


Wünschen Sie deshalb in Ihrem Brief an die «lieben muslimischen Freunde» zum Ende des Ramadan, Christen und Muslime möchten «besonders auf die Qualität ihres Glaubenszeugnisses achten»?

Der interreligiöse Dialog ist ein Pilgern, ein sich selbst infrage Stellen. Pilgern in dem Sinn, dass, wenn ich akzeptiere in einen Dialog mit dem Anderen einzutreten, ich auch bereit bin Zeit zu opfern, um ihn anzuhören, um wirklich zu verstehen wer er ist, wohin er geht, an was er glaubt. Am Ende frage ich ihn: «Sag mir wer dein Gott ist, und wie du deinen Glauben lebst.» Diese beiden Fragen stellt der andere auch mir. Auch ich bin verpflichtet, ihm zu sagen, wer mein Gott ist und wie ich meinen Glauben lebe. Der interreligiöse Dialog ist ein sich gegenseitiges Befragen und zugleich verlangt er, den eigenen Glauben zu vertiefen. Bevor ich die Verpflichtung zur Frage an den anderen spüre: «Wer ist dein Gott?», muss ich die gleiche Frage mir selbst stellen: «Wer ist mein Gott? Wie lebe ich meinen Glauben?».


In Ihrem Brief zum Ende des Ramadan laden Sie auch dazu ein, den Dialog «in seiner erzieherischen und kulturellen Dimension» fortzusetzen und zu intensivieren. Warum haben Sie diese Dimension besonders hervorgehoben? Klingt das nicht wie eine Einschränkung?

Es ist nicht einschränkend, ich würde vielmehr sagen es ist präzise. Was ist eines der großen Hindernisse des interreligiösen Dialogs? Die Unwissenheit. Sie erzeugt Misstrauen und deshalb oft Gewalt: Es ist eine Kettenreaktion. Zuerst muss man sich kennen lernen. Wenn man sich nicht kennt, entsteht unweigerlich Angst und ich sehe im anderen eine Gefahr, sicher nicht einen Bruder.


Aber wenn man allgemeiner vom interreligiösen Dialog spräche, ohne die «erzieherische und kulturelle Dimension» zu spezifizieren, würde das den Dialog nicht erleichtern?

Das wäre illusorisch. Fangen wir damit an uns ernsthaft kennen zu lernen. Ganz wichtig ist, der interreligiöse Dialog muss den Menschen vermitteln, dass wir wie Brüder leben müssen, wenn wir glauben Kinder des gleichen Vaters zu sein. Das soll nicht heißen dass alle Religionen gleich sind: das wäre Synkretismus, Relativismus. Wir sagen, dass alle Gläubigen sowie alle die auf der Suche nach Gott sind, die gleiche Würde haben.