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Uganda
In Kampala siegt die Hoffnung über das Happy End
Maddalena Vicini

Was ist so interessant am Dokumentarfilm, der in Cannes prämiert wurde? Dass die Wirklichkeit siegt, mit all ihrer Dramatik, wie der Regisseur Emmanuel Exitu berichtet.

Die Nachricht ist bereits bekannt: Greater – Defeating Aids, der Dokumentarfilm des italienischen Produzenten und Filmemachers Emmanuel Exitu über Rose und den Meeting Point in Kampala wurde in Cannes ausgezeichnet. Und das nicht von irgendjemandem, sondern von Spike Lee. Er wählte ihn unter etwa 60 eingereichten Arbeiten aus aller Welt aus. Den Wettbewerb organisierte das Online-Senders Babelgum-TV. Der Film ist ebenso eindrucksvoll wie einfach. Die Hauptdarsteller sind Rose, Vicky, die Waisenkinder und andere Frauen aus den ugandischen Armutssiedlungen. Sie tanzen, weinen, erzählen von sich, von der Krankheit und vom Sieg über die Immunschwächekrankheit Aids. Alles wird im Originalton erzählt, ohne den üblichen Filter einer TV-Reportage, wo die Situation, in der man arbeitet, die Methode diktiert. Es wird ungekünstelt gezeigt, was geschieht.
Und es lohnt sich, dies zu vertiefen.
Wie ist dieser Film entstanden? Mit welchem Blick auf die Wirklichkeit? «Ich folge nicht dem Betrug des Hochglanzbildes», erläutert Exitu, «Ich lasse mich von dem ergreifen, was geschieht, von der überquellenden Konkretheit der Wirklichkeit. Ich hätte nicht eine Szene drehen können, wenn Rose sich nicht mir und meiner Kamera anvertraut hätte. Das Schönste, was sie mir sagte, kam gleich zu Anfang: „Gut, du kannst kommen, ich vertraue deinem Herzen, denn ich fühle, dass dich das interessiert, was auch mich interessiert.“», berichtet der aus Bologna stammende Regisseur. Seinen Künstlernamen entlehnte er dem gleichnamigen Roman des italienischen Schriftstellers Giovanni Testori. Und er bezeichnet sich auch als dessen «illegitimen Sohn».

An den Dingen haftend
Es geht ihm nicht um eine Reality-Show. Es wird von niemandem verlangt, irgendetwas in Szene zu setzen. «Die Kamera ist stets Teil der Wirklichkeit, in der ich erzähle, und ihre Sichtbarkeit schafft einen unmittelbaren Bezug», betont Exitu. «Paradoxerweise erhöht das den Sinn für die Wahrheit: sie nimmt nicht mehr einen distanzierten äußeren Standpunkt ein, sondern haftet an den Dingen und ist gezwungen, ihnen zu folgen, um zu sehen, was geschieht.» Der Zuschauer wird so zu einem Wegbegleiter, zu einem Mitspieler, der an dem teilnimmt, was erzählt wird. «Ich vertraue darauf, dass die Erfahrung aus sich selbst heraus spricht», meint der Regisseur. «Die Methode war sehr einfach. Als Rose kam, um uns abzuholen, fragte ich sie: „ Was machst du heute?“ und ich folgte ihr. Ich bereitete nichts vorab vor. Ich wollte mich nur von dem überraschen lassen, was geschieht.»

Es ging also nicht um ein Projekt. Aber ebenso wenig handelte es sich um regellose Spontaneität. Die Kamera läuft nicht rein zufällig. Und das Ergebnis verlangt zunächst zahlreiche Ortsbegehungen. Dann folgen drei Aufnahmetage, an denen insgesamt 50 Stunden Filmmaterial aufgenommen wird. Schließlich folgt die mühsame Kleinarbeit des Filmschnitts in der Montage.
In den Bildern ist keinerlei Klage zu hören. Was man sieht, ist eine Lebensfreude jenseits von Elend und Krankheit. Es hat etwas von der Aussage Testoris über Christus am Kreuz: «Der sanfte Raum/deines Zeichens/ das sich weitet / zittert / und in uns entzündet sich/ ein neuer Blick /auf das Menschliche schlechthin. » (Segno della Gloria (Zeichen der Heiligkeit), Scheiwiller).

«Man muss sehen lernen»
Letztlich geht es um das, was auch Rose in der ersten Szene sagt: «In dieser Welt wird zu viel geredet. Man muss sehen, sehen und sich ergreifen lassen. Denn das Handeln reicht nicht aus, es ermüdet. Doch das Schauen berührt dich und lässt dich unablässig tätig sein. Dies war es auch, was Vicky beeindruckte, als ich ihr begegnete.»
In Cannes wurde somit nicht der übliche Dokumentarfilm ausgezeichnet, die soziale Anklage, und ebenso wenig die für das Fernsehen zurechtgeschnittene Reportage. Was siegte, war die Wirklichkeit: Das, was sie uns täglich bringt und was wir suchen. «Ich suche die Hoffnung, nicht das Happy End», betont Exitu. «Das ist mein Antrieb, die Kraft des Greater. Denn das Happy End verdrängt das Böse, das man durchlebt hat. Die Hoffnung hingegen muss nichts vergessen, sie brennt immer.»