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Thema-In Erwartung des Meetings
Wer möchte Protagonist sein?
Davide Perillo

In etwa einem Monat, am 24. August öffnet das Meeting wieder seine Tore auf dem Messegelände in Rimini. Der Titel «Entweder Protagonist oder Niemand» stammt aus dem Buch Certi di alcune grandi cose («Einiger großer Dinge gewiss») von Luigi Giussani. Alle Veranstaltungen sind von dieser «positiven Herausforderung» geprägt, wie Emilia Guarnieri, die Präsidentin des Meetings, es formuliert: «Wir stellen uns die Frage, ob es heute Menschen gibt, die fähig sind, sich mit der Wirklichkeit zu messen, etwas zu entdecken, etwas zu wagen.»

Die Hauptveranstaltung zum Titel des Meetings wird am 27. August stattfinden. Daran wird auch der Mailänder Astrophysiker Marco Bersanelli teilnehmen. Er arbeitet mit der italienischen und europäischen Raumfahrtagentur zusammen und forscht gemeinsam mit dem amerikanischen Nobelpreisträger George Smoot, der voriges Jahr auf dem Meeting zu Gast war. Wir haben Bersanelli gefragt, was für ihn diese «positive Herausforderung» bedeutet.

Was sagt Ihnen die Aussage «Entweder Protagonist oder Niemand» persönlich?

Diese Worte sind typisch für Giussani. Sie bringen seine Hochachtung vor der Freiheit der einzelnen Person zum Ausdruck. Er war beseelt davon, das Ich zu verteidigen. Als ich diesen Satz hörte, stellte ich mir vor, wie er ihn ausgesprochen haben mag, das Feuer in seinen Augen und die Zärtlichkeit in seiner Gestik. Don Giussani hat als Protagonist gelebt und eine menschliche und christliche Erfahrung mitgeteilt, die es vielen ermöglicht, Protagonisten des eigenen Lebens zu werden. Nicht im landläufigen Sinne der Filmstars unter den Scheinwerfern des Erfolgs oder als Machtmenschen, sondern im Sinne freier und froher Personen, entschiedener Leute, die bewegt sind vom Wunsch, etwas aufzubauen (…) Der Satz könnte auf den ersten Blick etwas übertrieben scheinen, ein bisschen hart. Wenn man aber einen Augenblick lang über ihn nachdenkt, kommt man zum Schluss, dass er einfach wahr ist. Wenn man die eigene Gegenwart nicht bis ins Tiefste lebt, welchen Wert hat dann die Zeit?

Weshalb hat man dieses Thema als Leitfaden einer solchen Veranstaltung genommen?

Das dritte Jahrtausend begann im Zeichen globaler Risiken: Terrorismus, Energiekrise, Erderwärmung (…), aber es gibt ein globales Risiko, von dem nie gesprochen wird und das vielleicht viel heimtückischer ist: Das Risiko der Entleerung der Person, das Verschwinden des Ichs. Immer seltener findet man Menschen, die sich nicht auf irgendwelche Aspekte verkürzen lassen, die die Einzigartigkeit jedes menschlichen Daseins wahrnehmen. Im vorigen Jahrhundert versuchten Diktaturen, die Person durch Isolation und physische Gewalt zu ersticken, während dies heute paradoxerweise begünstigt wird durch einen Überschuss an Informationen und Wahlmöglichkeiten. Die Leute werden mit immer mehr Reizen überflutet, in immer schnellerem Tempo. Gleichzeitig verlangt man von ihnen immer schneller immer mehr Antworten. Es gibt keinen Ort und keinen Augenblick, wo es nicht möglich wäre zu arbeiten, weswegen man immer mehr arbeitet. Wie Papst Benedikt XVI. formuliert hat, ist der Mensch heute bedroht von einem Ungleichgewicht zwischen den Möglichkeiten, die er hat, und der Schwäche des Urteils seines Herzens. Verstehen wir uns recht, ich habe kein Problem mit Internet und Handys (…) Was ich sagen will: in einem unendlichen Meer von Möglichkeiten, die alle gleichwertig sind, sind wir scheinbar freier, aber mangels eines Vorschlags, der die Menschlichkeit eines jeden betrifft, ist die Person in Wirklichkeit immer verwirrter. Sie empfindet sich gedemütigt und erkennt weder Richtung noch Ziel. Was dazu führen kann, dass man glaubt, nur um die eigene Existenz zu spüren, müsse man sich für einen Krümel an Macht oder Ruhm aufopfern, den einige Glückliche angeblich tonnenweise haben.

Über den Wunsch, «Protagonisten zu sein», sind sich zumindest auf dem Papier alle einig. Nicht aber darüber, was das bedeutet. Im Allgemeinen verwechselt man es, wie Sie sagten, mit Ruhm, Macht, Erfolg. Oder bestenfalls mit der «Viertelstunde Berühmtheit», von der Andy Warhol sprach. Hier aber scheint es mir, um eine viel radikalere Sehnsucht zu gehen (…) Wer ist dieser Protagonist, von dem in Rimini die Rede sein wird?

Der Protagonist ist der freie Mensch, der sich in seiner Beziehung zum Wirklichen seiner selbst bewusst ist. Das bedeutet, in der eigenen Erfahrung etwas zu ertappen, das sich auf keinen Einzelaspekt zurückführen lässt, eine Erwartung, eine Fähigkeit zum Unendlichen, die jede soziologische oder pseudowissenschaftliche Herleitung aushebelt, und die uns aufbegehren lässt gegen jedes Schema, das den Anspruch erhebt, die Person zu definieren. Aber dieses Bewusstsein von sich selbst ist nicht die Frucht einer intelligenten Überlegung oder einer moralischen Anstrengung. Dieses Bewusstsein wird von etwas geweckt, das außerhalb von uns geschieht, von einer Begegnung. Was einen sich selbst wiederfinden lässt, ist die Begegnung mit einer Liebe, einer außergewöhnlichen Gegenwart, über die man gleichsam stolpert, und die dein Sein vollkommen und bedingungslos bejaht. Das Christentum ist diese unerwartete Einladung, die dein Leben verändert. Es ist die Begegnung mit jemandem, der dich anschaut und dir sagt: «Auch die Haare auf deinem Kopf sind alle gezählt.» Das erlaubt dir, mit einer Zärtlichkeit und einer Würde «Ich» zu sagen, die ansonsten unvorstellbar wären. Jemand, der sich so angeschaut weiß, wird ein unermüdliches Subjekt, ein Protagonist des Positiven. Er wird fast unwillkürlich dazu neigen, an einer besseren Welt mitzuwirken und zwar in den Umständen, in denen er lebt, gleich ob sie nun groß oder klein sind. Denn wie Don Giussani einmal sagte, die Kräfte, die die Welt verändern, sind dieselben, die das Herz des Menschen verändern.

Aber welche Beziehung besteht zwischen dem Protagonisten und der Anerkennung von außen?

In der Tat wird ein Protagonist von den anderen auf die eine oder andere Weise als wesentlich anerkannt. Aber man kann anerkannt werden aufgrund einer Macht, die man über andere ausübt, oder aufgrund eines «Mehr» an Menschlichkeit, aufgrund von etwas Unwiderstehlichem und Positivem, das das eigene Leben zum Ausdruck bringt. Das gilt auf jeder Ebene, in der Politik, an der Universität, in der kirchlichen Macht und auch unter uns. Man kann anerkannt werden als Träger einer Macht oder als Zeuge einer beneidenswerten Menschlichkeit. Aber nur eine der beiden Möglichkeiten verschafft wahre Erfüllung.

Auch die nüchterne Alternative – «oder niemand» – macht betroffen.

Wir sehen das gut in unserer Gesellschaft: wo die Freiheit abhanden gekommen ist, wo das Geheimnis verneint wird, das das Gesicht eines Menschen einzigartig und unwiederholbar macht, da geht der Wert der einzelnen Person gegen Null. Im Übrigen, was bleibt vom Menschen, wenn er nicht Beziehung zum Unendlichen ist? Nichts. Er ist dann auch nur ein rollendes Steinchen, ein Krümel Materie in der Hand der Naturgewalten (…) Was sind wir im Universum? Wenn es eine Sache gibt, die die moderne Wissenschaft uns klar und dramatisch vor Augen führt, dann ist es die abgrundtiefe Weite der Welt, die Macht ihrer Kräfte, die gewaltige Größe des Raumes und der Zeit, inmitten derer ein menschliches Wesen ein lächerlicher Augenblick ist, ein unsichtbarer Punkt. Gibt es etwas in der einzelnen Person, das dem Vergleich mit dem Universum standhält? Menschen wie Pascal, Leopardi oder Dostojewskij haben klar erkannt, dass jeder Mensch eine nicht zu ermessende Größe hat; er ist von einer «anderen Ordnung», die jedes endliche Maß übersteigt. Und das genau ist diese unverkürzbare und direkte Beziehung zum Geheimnis, das ihn schafft. Nimm es weg und sag mir, wie man sich vernünftig gegen die Vermarktung der Körper und der Seelen wehren soll.

Haben Sie eine Empfehlung, wie man sich dem Meeting nähern soll?

Das Meeting ist ein glänzendes Beispiel dieser sonderbaren Art, Protagonisten der Geschichte zu sein, die das Gegenteil der Anmaßung und des Anspruchs ist, weil sie allein aus der Dankbarkeit für etwas erwächst, das man erhalten hat. Und es gibt nur eine Art und Weise, das zu genießen: Man muss es als Protagonisten leben.