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Thema-In Erwartung des Meetings
Mein Werk gehört dem Herrn
Roberto Fontolan

Er ist als Missionar seit 20 Jahren in Paraguay. Das Abenteuer einer Berufung. Er wird auf dem Meeting zur Freundschaft unter den Völker über das Thema Kann man so leben? sprechen.

Als er 2005 zum letzten Mal mitten in der Menschenmenge des Meetings steckte, wirkte Pater Aldo etwas verloren. Er hatte nicht mit so vielen Menschen, Bitten, Händen zum Schütteln, Fragen und Veranstaltungsvorschlägen gerechnet. Dann sagte er mir mit seiner rauen Stimme und in venezianischem Dialekt, unter Seufzen, dass er bald nach Paraguay zurückkehren wolle, «nach Hause». Das war die gerechte Rache, die Revanche des kleinen und wenig robusten lateinamerikanischen Landes an den Dolomiten seiner Kindheit und seiner Familie. Ein Ort, an dem die Hitze die Kälte schlägt, die Unordnung die Ordnung, die Trägheit die Sehnsucht. Gerechte Rache deshalb, weil Paraguay für Pater Aldo lange Zeit schwierig und hart gewesen ist: Dürr wie der Chaco, die Halbwüste westlich von Asunción, in der nur einige Indianerstämme und versteckte Mennonitengemeinschaften leben (Verwandte der Amish people in Pennsylvania). Die größte Mühe bereitete ihm lange Zeit die unbarmherzig brennende Sonne.
Wenige Monate vorher hatte ich ihn in seinem kleinen Schreibzimmer in Asunción aufgesucht. Während wir sprachen, wurden wir vom Kommen und Gehen der Besucher unterbrochen, die mit verschämten und liebevollen Gesten das erste Monatsgehalt (ein junger Mann), den kleinen Sparstrumpf (eine alte Frau) oder eine tagelang aufbewahrte Münze vom Taschengeld (viele Kinder) abgaben. Ich habe mit offenem Mund über das Leben in der Pfarrei gestaunt, über die Menschen, die ehrenamtlichen Helfer, über die Vielzahl und Verschiedenheit der karitativen, kulturellen und missionarischen Werke: Eine Schule, ein literarisches Café, eine Pizzeria, ein Zentrum für Lebenshilfe, eine Ambulanz, eine Einrichtung zur medizinischen Versorgung, Verteilung von Essen und Kleidern und schließlich das Juwel, ein Krankenhaus für Sterbende. Ich habe ihn gefragt, wie er es mit dem Geld schafft. Er hat mit Manzoni geantwortet: Dazu gibt es die Vorsehung. Ja sicher, die Vorsehung, und weiter? Raus damit, wo bleiben Papiere, Programme, fund raising, Banken ...? «Hör mal», sagte er mir etwas ungeduldig, «wenn ich abends ins Bett gehe und dabei daran denke, dass morgen ein Kredit fällig wird, und dieser Gedanke mich von Christus entfernt, dann ist das eine wirklich heftige Versuchung. Es ist der Teufel, der diese Trennung bewirkt. Wenn ein Werk mein eigenes Werk ist, dann ist es gut, dass es in sich zusammenfällt. Wenn ein Werk das Werk des Herrn ist, dann wird es fortdauern, weitergehen, dessen kannst du sicher sein. Die Vorsehung bringt nicht das in Ordnung, was ich tue, sondern bedient sich meiner, um in der Welt zu wirken.» Bei diesem Gespräch in einem Zimmerchen in Asunción ist mir klar geworden, dass viele von uns sich bemühen, das zu verwirklichen, was wir ersehnen. Und wenn wir es nicht schaffen, dann bedrängen wir Gott mit Bitten und Vorwürfen. Andererseits gibt es ein paar Menschen, die meinen, ja mit der Gewissheit leben, dass es nichts in unserem Leben gibt, das uns gehört, sondern dass alles sein ist. Und mehr braucht es nicht.

Er erzählte mir davon, wie eines Tages ein sterbendes Kind zur Pfarrei gebracht wurde wegen des Rufs, den das Krankenhaus «San Riccardo Pampuri» genießt. Aber das Krankenhaus, gepflegt und sauber wie ein Krankenhaus in Stockholm, kann keine Kinder aufnehmen. Noch nicht, hatte sich Aldo gedacht, denn wenige Tage später schlug er seinen Gemeindemitgliedern vor, das angrenzende Grundstück zu kaufen. Das Grundstück stand zufällig zum Verkauf, und so sollte darauf ein weiteres Gebäude für die Aufnahme von sterbenden Kindern entstehen. Man braucht wohl kaum zu erwähnen, dass der Bau rasant vonstatten ging und die neue Station deutlich früher als geplant eröffnet wurde. Inzwischen ist auch der «Stall von Bethlehem» entstanden, wo Waisen und ausgesetzte Kinder aufgenommen werden. Zurzeit sind es fünfzehn, von zwei Monaten bis zu elf Jahren.
Planen ohne Pläne, projektieren ohne Projekte, geht das?
Pater Aldo, der mit Nachnahmen Trento heißt und aus einem Dörfchen der Provinz Belluno stammt, lebt seit 20 Jahren in Paraguay, seit dem Schicksalsjahr 1989, das auch dort den nationalen Umbruch brachte: Der grausige Diktator Alfredo Stroessner gibt nach 35 Jahren endlich die Macht ab. Das Land liegt am Boden, die Wirtschaft muss von Grund auf neu aufgebaut werden, das gesellschaftliche Leben ist zerstört. Das Chaos regiert allenthalben.
In diesem Jahr wies Don Giussani Pater Aldo die Missionsarbeit in Paraguay zu. So wie es Matthäus im Bild Caravaggios zu tun scheint, antwortete auch Aldo: «Ich? Wirklich ich, bist du dir sicher?» Er war von sich selbst nicht überzeugt, hatte keine innere Ruhe. Seine Geschichte, seine Seele waren voller Qualen. Er war ein nachkonziliarer Revoluzzer, den man als «kritisch bewegt» bezeichnen könnte. Voller Zorn war er als Lehrer in einer süditalienischen Schule gelandet, in Battipaglia. Und ausgerechnet ein Schlagabtausch mit einem Grüppchen von Schülern von CL hatte ihn dazu gebracht, wieder grundlegend den fast vergessenen Sinn seiner Berufung zu überdenken. Aldo kehrte in den Norden zurück, an ein Gymnasium in Feltre, und verband sich in der Zeit der großen politischen Schlachten mit den Schülern von CL. Er organisierte Flugblätter, Versammlungen und Demonstrationen und fand so seine Aufgabe wieder. Aber Unruhe und Qualen wollten ihn nicht verlassen, eine tiefe und geheimnisvolle Krise. Dann erfolgte die Einladung zur Mission. Aldo wehrte sich, obwohl das von jeher ein Ideal für ihn gewesen war: «Ich bin nicht bereit, ich bin nicht würdig, ich kann es nicht.» Don Giussani sagte dem Priester aus Belluno, dass er sich seiner sicher sei, da er trotz allem nie seine Berufung zum Priesteramt in Zweifel gezogen habe, und bat Don Massimo darum, Aldo in die Missionspriesterbruderschaft vom heiligen Karl Borromäus aufzunehmen. So geschah es, dass er sich eines Tages am Flughafen Linate wiederfand, begleitet von Don Giussani. Der verabschiedete ihn mit den Worten, dass er sich von den Jesuiten des siebzehnten Jahrhunderts und ihren Reduktionen leiten lasse solle. Um das zu verstehen, müssen wir nach Manzoni auf Hollywood verweisen, denn es war der spektakuläre Film The Mission, der jene vernachlässigte aber doch so außerordentliche Erfahrung ins öffentliche Bewusstsein gerückt hatte. Ich habe nicht anders gekonnt, als allen, denen ich von der Pfarrei San Rafael erzählt habe, Robert De Niro und Jeremy Irons zu zitieren. Außerdem ist Pater Aldo, getreu dem Motto Giussanis («formuliert diese Erfahrung neu») selber zum Erforscher jenes «glücklichen Christentums» geworden, wie es Ludovico Antonio Muratori treffend benannt hat. Der kleine Verlag der Pfarrei (Ja, auch das machen sie!) druckt Biographien der Jesuiten und historische Texte, viele davon als Kinderbücher. Einmal haben wir die großartigen Ruinen von Santa Trinidad besucht, der Reduktion, die ihm am meisten gefällt. Dabei hatte sie nur fünfzig Jahre Bestand. Während wir die rötlichen Steine berührten, den Ingenieurgeist der Erbauer bestaunten, den Wandschmuck aus musizierenden Engeln untersuchten, berichtete Pater Aldo von den großen Jesuiten Ruiz de Montoya und Antonio Sepp. Diese Geschichte, die Geschichte dieses Christentums, die Geschichte Paraguays, war zu seiner eigenen geworden.
Das geschah nicht von jetzt auf nachher. Im Gegenteil, jahrelang litt Aldo an einem nicht enden wollenden Lebensekel und in Paraguay konnte er nichts anderes als Hitze und Staub erkennen. Hinzu kamen endlose Reisen in abgewirtschafteten Bussen, Leute, die einen Bogen um ihn machten, und Schlaflosigkeit – Schlaflosigkeit ohne Unterlass. Es war der mood, dieser Eindruck des Unendlichen, der unbarmherzige Himmel, von dem schon Graham Greene in Die Macht und die Herrlichkeit erzählte. Pater Aldo war nicht allein, aber es war ihm nicht gelungen, die Einsamkeit niederzuringen, die in ihm wohnte. Bis sich etwas veränderte. 1999 musste der Pfarrer von San Rafael, auch er ein Italiener, aus Gesundheitsgründen in die Heimat zurück. Jetzt ist Aldo wirklich allein, aber die traumatische Überraschung der neuen Verantwortung reißt ihn aus seiner Isolierung heraus.
Don Massimo erinnert sich: «Bernanos schreibt, dass ein Werk erst untergehen muss, um wirklich geboren zu werden. Und für Pater Aldo ist es so gewesen. Als er niemanden mehr um sich herum hatte, als ich kurz davor war, unsere Mission in Paraguay zu schließen, begann er, sein Leben, seine Mission und die Menschen in seiner Umgebung ganz neu anzuschauen.»
Die Welt mit anderen Augen sehen.
«Ich habe die Prüfung mit Freude angenommen», schrieb Aldo in einem Brief, «als Geschenk, durch das Gott alles von mir verlangte, wirklich alles. Ich bin in dieser Zeit nur deswegen aufrecht stehen geblieben, weil ich vor Ihm gekniet habe.»
Heute hat die «Reduktion» San Rafael das Aussehen einer originellen städtischen Pfarrei, wegen ihres architektonischen Flickenteppichs, der im Grunde doch harmoniert. Im Hintergrund zeigt sich das Profil einer mittelalterlichen Burg, sogar mit Zinnen und Schießscharten, im Garten alpine Berghütten, am Eingang der Kirchenbau, mit blühenden Blumenbeeten geschmückt. Jeden Morgen schwärmen zweihundert Kinder aus der Grundschule über den Hof aus, zugleich wird auf der anderen Seite das Krankenhaus um fünfzig Betten erweitert. Die Ambulanz mit 15.000 Patienten seit 2002 sowie die Essens- und Kleiderausgabe haben Hochbetrieb. Ebenso geht es im Bauernhof «Padre Pio» zu, auf dem auch Aidskranke angestellt sind. Abends füllen sich die Tische der Pizzeria, die acht Personen ein Auskommen bietet und etwas Gewinn erwirtschaftet. Wenn man montags in San Rafael vorbeikommt, trifft man vor der Berghütte des «Cafés van Gogh» Pater Paolino Buscaroli, der zuerst in Chile wirkte und den die Priesterbruderschaft anschließend nach Asunción sandte. Er bereitet hier üblicherweise, alles für den «Literarischen Montag» vor, das heißt Vorträge und Debatten von Dante bis zu Isabella, der katholischen Königin. Dienstags und mittwochs wird der Observador abgeschlossen, eine Wochenbeilage der Tageszeitung Ultima Hora. Der Herausgeber selbst hatte darum gebeten, weil er erkannte, dass es in der Pfarrei etwas gibt, was ganz Paraguay interessieren muss: Nicht nur die Werke, sondern auch die Gedankenwelt dahinter, ein nützliches und verantwortungsvolles Urteil, das sich allen anbietet.
Mehrere Dutzend Menschen sind bei San Rafael angestellt, Hunderte Freiwillige arbeiten mit. Ein Anwalt besorgt die Buchführung, ein Manager macht sich als Klempner nützlich, eine Assistentin organisiert den Katechismusunterricht, eine Hausfrau sorgt für Kranke. Aber alles, sagt Pater Aldo immer, geht vom wahren Pfarrer aus: Dem Herrn, der in der Sakramentskapelle unablässig angebetet und geliebt wird. Und Aldo meint es ernst, wenn er sagt: «Auf mich kommt es nicht an. Gott erwählt die Dummen und Ungebildeten, um zu tun, was er will. Er erwählt die Sünder. Er ist in die Welt gekommen, um zu arbeiten, und die Arbeit Gottes besteht darin, mir zu vergeben und mich zu umarmen.» Er sagte das auch am zweiten Juli in der italienischen Botschaft in Asunción, anlässlich eines Empfangs zu seinen Ehren. Der italienische Präsident Giorgio Napolitano hatte ihn zum «Cavaliere della Stella della Solidarietà» [«Ritter des Ordens vom Stern der Solidarität»] ernannt, einschließlich des «Rechts, die Insignien des Ordens zu tragen». Wie sein Name auf die Schreibtische des Quirinalspalastes gelangen konnte, ist ein Geheimnis, so schön wie der nahe blaue Himmel über Paraguay.