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Thema - Papst Benedikt XVI. in den USA
Der Papst gab eine aussergewöhnliche Lektion in der Meth ode der Glaubensverkündigung
Lorenzo Albacete

Am Ende seiner Ansprache an die Bischöfe der Vereinigten Staaten ist Papst Benedikt auf die Fragen von drei Bischöfen eingegangen, die die Bischofskonferenz vorab bestimmt hatte. Sie war mit Blick auf die «Herausforderung eines wachsenden Säkularismus im öffentlichen Leben und des Relativismus im intellektuellen Leben» mit dem Papst einer Meinung. Dies zeigt etwa der Umstand, dass «die Katholiken den gelebten Glauben aufgeben, manchmal als eine explizite Entscheidung, aber mehr noch klammheimlich durch den Verzicht, zur Messe zu gehen und sich zur Kirche zugehörig zu fühlen.» Die Bischöfe wollten wissen, «wie sie diese Probleme aus pastoraler Sicht in Angriff nehmen können, um das Werk der Evangelisierung wirksamer zu gestalten». Diese Fragen berühren einen entscheidenden, wenn nicht den wichtigsten Punkt des Papstbesuchs. Es sind Fragen zur Methode. Genau hierin liegt das Problem der Evangelisierung. Es gibt viele Programme zur Evangelisierung in einem Großteil der Diözesen und Gemeinden der Vereinigten Staaten. Und dennoch äußert sich in den Fragen der Bischöfe die Sorge über die Ergebnisse all dieser Programme. Was ist ihre tatsächliche Wirksamkeit, wenn offenbar keine wesentlichen Änderungen zu bemerken sind? Der Papst hat konkrete Antworten auf diese Fragen gegeben, aber vielleicht wäre «Folgt mir» die beste Antwort gewesen, die er hätte geben können. Der Besuch des Papstes in den USA hat viel mehr bewirkt, als Inhalte einer neuen Evangelisierung zu liefern. Er war eine außerordentliche Lektion über die notwendige Methode, um sie wirksam durchzuführen. Der erste Baustein dieser Methode ist das Ereignis einer menschlichen Begegnung, durch die eine außergewöhnliche Gegenwart die grundlegenden Bedürfnisse des Herzens wiedererweckt oder anregt, die zu einem Großteil möglicherweise beschwichtigt oder unterdrückt wurden, vielleicht auf der ununterbrochenen Suche nach Befriedigung. Die Anziehungskraft dieser Gegenwart bringt einen früher oder später dazu, sich zu fragen: «Kann man so leben?» Diese Art der Erfahrung wird von all denen – praktizierenden Katholiken oder hartgesottenen Skeptikern – weitreichend bezeugt, die dem Heiligen Vater bei seiner Reise gefolgt sind. Viele hatten erwartet, dass Benedikt XVI. den Herausforderungen einer Medialpräsenz, die seinem Charakter so fremd ist, nicht gewachsen sei (vor allem im Vergleich zu Johannes Paul II. und seinem großen kommunikativen Charisma). Allein, wer ihn gesehen hat, und nicht zu reden davon, wer ihn getroffen hat – jeder noch so große Zyniker, war gezwungen, anzuerkennen, dass etwas Unerwartetes und Faszinierendes geschah. Viele ( auch Gläubige anderer nicht-christlicher Religionen) sind sogar so weit gegangen, von einem göttlichen Ursprung der Gegenwart zu sprechen, die sich in der Begegnung mit dieser sehr bescheidenen Person manifestiert. Andere haben ganz einfach geweint. Die dramatischste Begegnung war natürlich jene mit den Opfern des sexuellen Missbrauchs durch Priester. Es ist wichtig, daran zu erinnern, dass die Teilnehmer nicht deswegen ausgewählt wurden, weil sie für eine Versöhnung mit der Kirche «offen» waren. Alle bezeugten einen völligen Vertrauensverlust in eine Kirche, die den «geistlichen Missbrauch» zugelassen hatte. Darüber hinaus hielten sie Joseph Ratzinger für nicht besonders verständnisvoll ihren Anliegen gegenüber. Indessen, allein durch das Zusammentreffen, durch das Reichen der Hand, die Umarmung oder durch das Zuhören – alle haben die Intensität dieses körperlichen Kontaktes unterstrichen – begann ihr Herz sich zu erweichen. Von diesem Augenblick an ist der Inhalt vieler Ansprachen von Papst Benedikt wie durch dieses ungewöhnliche Treffen gleichsam gefiltert worden.
Der Papst lobte wiederholt die amerikanische Erfahrung sowie das Gute und den Wert des amerikanischen Traumes. Am Anfang seiner Ansprache im Weißen Haus unterstrich er: «Amerikas Streben nach Freiheit war von Beginn der Republik an von der Überzeugung geleitet, dass die Prinzipien, die das politische und soziale Leben bestimmen, eng mit einer auf die Herrschaft Gottes, des Schöpfers, gegründeten sittlichen Ordnung zusammenhängen (… ). Ich bin zuversichtlich, dass die Amerikaner in ihren religiösen Glaubensüberzeugungen eine wertvolle Quelle der Einsicht und eine Inspiration dazu finden werden, im Bemühen um den Aufbau einer menschlicheren und freieren Gesellschaft den überzeugten, verantwortlichen und respektvollen Dialog weiterzuführen.»
Der zweite Baustein der «Methode der Evangelisierung» des Papstes lässt sich als «Bestätigung» bezeichnen. Die Amerikaner mögen es, geliebt zu werden, aber die Wertschätzung des Papstes für das amerikanische Experiment, eine der Freiheit geweihte Natur zu gründen und zu beherrschen, ist als sein authentisches Urteil angesehen worden und nicht als rein diplomatische Taktik. In einem gewissen Sinn war es der Ausdruck der Bejahung, die auch die Missbrauchsopfer bei ihrem Treffen erfahren hatten. Der dritte Baustein der «Methode» der Evangelisierung, die Papst Benedikt während seines Besuches verfolgte, könnte man als die «Erschaffung des christlichen Vorschlags» selbst bezeichnen. Der Ausgangspunkt ist dabei ein Urteil über die aktuelle Situation in der amerikanischen Geschichte im Lichte der 2000-jährigen Glaubenserfahrung. Papst Benedikt hat die Herausforderung der Kirche in den Vereinigten Staaten mit Worten zusammengefasst, die an seine Ansprachen an die lateinamerikanischen Bischöfe in Aparecida, in Brasilien erinnern. Trotz eines ganz anderen gesellschaftlichen Umfeldes als in Lateinamerika (das von der Theologie der Befreiung verführt wurde), war das Urteil gleich: «Ich glaube, dass die Kirche in Amerika, in diesem präzisen Augenblick ihrer Geschichte vor der Herausforderung steht, die umfassende, katholische Vision der Wirklichkeit wiederzufinden und sie in mitreißender und phantasievoller Art und Weise einer Gesellschaft vorzustellen, die jede Art von Rezepten für die Selbstverwirklichung des Menschen liefert.»
Schließlich hat der Papst klargestellt, dass er mit seiner Reise nicht eine Analyse vorstellen wollte über das, was gut, problematisch oder schlecht an der amerikanischen Religiösität und an der Suche nach der Verwirklichung des amerikanischen Traums ist. Er bestand darauf, dass er der Nachfolger Petri ist: Er kam als Zeuge für Jesus Christus und für die Wahrheit Seiner Identität und Seines Auftrages. Hinter der außergewöhnlichen Begegnung mit der leiblichen Präsenz des Papstes stand Christus. Der Glaube an Christus ermöglicht uns, die Umstände, die uns umgeben, zu beurteilen und den wahren Weg zur Freiheit zu erkennen, wie der Papst mehrfach gegenüber den Katholiken wie auch anderen Christen, Juden, Anhängern anderer Religionen, Agnostikern und Atheisten betonte. Da der Name Jesu in den USA überall zu finden ist, hat der Papst mit aller Klarheit deutlich gemacht, dass der Jesus, in dessen Namen er gekommen ist, der Gründer der Katholischen Kirche ist. In seiner Predigt im National Stadion von Washington sagte er:
«Christus errichtete seine Kirche auf dem Fundament der Apostel als eine sichtbare, gegliederte Gemeinschaft, die zugleich eine geistliche Gemeinschaft, ein von den mannigfaltigen Gaben des Heiligen Geistes beschenkter mystischer Leib und das Sakrament der Erlösung für die ganze Menschheit ist.»
Das abschließende Urteil über die Wirkung der Reise von Papst Benedikt in die USA wird gerade von jener Freiheit abhängen, die den Amerikanern so viel wert ist. Wird sie Ermutigung und Unterstützung finden, um den Vorschlag des Papstes zu bejahen? Das weiß allein die göttliche Vorsehung (…). Am Tag danach hat sich die Aufmerksamkeit des Landes erneut auf den Präsidentschaftswahlkampf gerichtet. Die Politiker würden gerne wissen, wie sie die Stimmen der Katholiken gewinnen können. Werden die Worte des Papstes irgendeinen Einfluss auf das Wahlverhalten der Katholiken haben? Der Kommentar von E.J. Dionne, einem bedeutenden Beobachter der religiösen Szene in Amerika, fasst vielleicht am besten zusammen, was als Frage im Gefolge des Papstbesuche gestellt wurde: «Ich vermute, dass die amerikanischen Katholiken aller politischen Richtungen mit dieser Botschaft zu kämpfen haben. Was mich betrifft, bewundere ich die ausdrücklich katholische Kritik von Benedikt am radikalen Individualismus sowohl im moralischen wie im wirtschaftlichen Bereich und sein Beharren auf der Tatsache, dass die christliche Botschaft nicht von der politischen und gesellschaftlichen Wirklichkeit getrennt werden darf. Allerdings sehe ich «den Geist dieser Zeit» noch nicht so im Glauben oder im menschlichen Gedeihen bedroht, wie Benedikt dies zu denken scheint (…). Vielleicht ist es gerade die Aufgabe des Oberhauptes der römisch-katholischen Kirche, ein Volk zu ermahnen, das so vollständig von der Moderne durchgestaltet wurde wie das amerikanische. Wenn das so ist, dann ist Benedikt dies gelungen.»