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Aufmacher
Die Energie, die der Glaube braucht
Luigi Giussani

Aufzeichnung eines Beitrags von Luigi Giussani während der Wallfahrt der Jugendlichen zum Heiligtum von Caravaggio, auf Anregung der Diözese Mailand anlässlich des Marianischen Jahres, 18. Juni 1988.

Ich möchte gerne über die Stelle sprechen, in der es im Text heißt, dass die Muttergottes «das vollkommenste Bild der Freiheit und der Befreiung der Menschheit» darstellt . Die Muttergottes ist demnach derjenige Punkt, in dem das Geheimnis der Befreiung der Menschheit einsichtig geworden ist. Auch wenn dieses Wort nur undeutlich und verworren in unserem Herzen bleibt, bringt es doch klar zum Ausdruck, dass es sich um eine Befreiung – und keine Versklavung – der Menschheit handelt, eine Befreiung dieses Seins, das jeden Tag isst, trinkt, wacht und schläft. In der Muttergottes enthüllt das Geheimnis der Befreiung des Menschen, das Jesus selbst ist, seine Wirkkraft auf außergewöhnliche Weise («vollkommen» heißt es im Text).
Ich will dazu an einige Dinge erinnern, die mich in meinem Leben am meisten betroffen haben und vor allem anderen – «vor allem anderen in seiner absoluten Bedeutung, denn auch jetzt noch ist es das, was mich am meisten staunen lässt – an den Psalm 8. Als ich mit zehn Jahren in das Priesterseminar eintrat, war eines der ersten Dinge, die mich dort beeindruckt haben, der Psalm 8, den ich bei der gemeinsamen Lektüre des kleinen Breviers der Heiligsten Jungfrau (wie es damals Brauch war) hörte: «Was ist der Mensch, dass du an ihn denkst?». Seit damals ist mir dieser Satz im Herzen geblieben: «Des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst?» . Schon damals erschien mir offensichtlich, dass der Mensch einem Zweig inmitten eines Strudels gleicht, dass er zerbrechlich und schwach ist, wie ein Staubkorn im Wind. Und er ist nicht nur zerbrechlich, sondern auch inkonsequent. Daher vergeudet er seine Kräfte und spaltet sich selbst, so dass es ihm unmöglich ist, eine Einheit herzustellen.
Der Mensch ist wirklich armselig! Wer sieht am Ende eines Tages seine menschliche Kraft in den Anstrengungen des vergangenen Tages als Protagonist verwirklicht? Niemand. Deshalb geben wir uns der Zerstreuung und der Vergesslichkeit hin, um die Enttäuschung zu vermeiden.
Und trotzdem hat der Herr «auf die Niedrigkeit [und Nichtigkeit] seiner Magd» geschaut . Denn was war die Muttergottes, ein Mädchen im Alter von fünfzehn, sechzehn Jahren, im Verhältnis zum Universum, zur gesamten Wirklichkeit? Ein Staubkorn. Wer hat sie bemerkt in diesem Land, das zu den abgelegensten des Römischen Reiches in der damals bekannten Welt zählte, in einem kleinen Dorf, das darüber hinaus noch einen schlechten Ruf hatte? Alles in allem, sie war wirklich ein Nichts, genauso wie ich von mir selbst in manchen Augenblicken ohne Übertreibung sagen muss: «Ich bin wirklich ein Nichts!».
Der Herr hat diese kleine Sache ergriffen. Wenn ihr einmal das Glück haben werdet, nach Palästina zu kommen und euch an das Geländer zu lehnen, das euch von dem kleinen Raum trennt, in dem Maria gelebt hat und in dem eine Inschrift steht: «Hier ist das Wort Fleisch geworden», dann werdet auch ihr, glaube ich, von diesem Gedanken beeindruckt sein, der mich beeindruckt hat: «Ausgehend von hier hat sich alles ereignet?!». Noch immer setzt uns das, was sich hier in diesem dunklen Loch vor 2000 Jahren ereignet hat, mit klarer und reiner Überzeugung oder einem brennenden Herzen in Bewegung. Und wenn die Welt noch zweihundert Millionen Jahre dauert, müsste man immer noch sagen, dass alles dort begonnen hat. Es ist wahr, wie der heilige Paulus später sagen wird: «Das Schwache in der Welt hat Gott erwählt, um das Starke zuschanden zu machen» .
Aber ich will hervorheben, was dieses «Bild» meinem und unserem Leben sagt. Es ist das Größte, was man sagen kann, denn es betont den Wert des Augenblicks, der selbst nur ein Moment unseres Lebens ausmacht. Unser Leben braucht keine anderen Umstände, um die Aufmerksamkeit der Engel und Gottes, des Ewigen zu erwecken, also um Wert zu haben, um wahrhaft zu zählen. Dieser kurze Augenblick von Raum und Zeit, der gegenwärtige Moment, ist von Gott ergriffen, damit er in Funktion und Nützlichkeit für das Ganze stehe, für seinen ganzen Plan. Dieser Augenblick, ist wichtig für Christus; er ist wichtig – «wie» weiß nur Gott, aber er ist wichtig. Wir können bejahen, dass er so wichtig ist, wie die großen Taten, von denen die Bücher erzählen, die Taten, von denen die Geschichtsbücher und die Zeitungen berichten. Ich brauche nichts anderes als das, was ich jetzt habe, um in den Augen des Geheimnisses Gottes groß zu erscheinen und daher einen ewigen Wert zu besitzen. Die Muttergottes, dieses von Gott auserwählte Mädchen, sagt mir vor allem anderen das.
Die Umstände des Lebens also, zum Beispiel der Charakter (und an diesen sind fast alle Umstände gebunden) oder die unumgänglichen Situationen und der Erfolg dessen, was wir tun; diese Umstände kann man nicht übergehen, sondern in ihnen, durch sie hindurch erlangt unser Ich, unsere Person, Größe. Durch die Umstände wird unser Leben nützlich, nimmt Teil an der Nützlichkeit des Lebens Mariens und daher – daher! – an der großen Nützlichkeit, die die Befreiung des Menschen ist, am Leben Christi.
In diesem Sinne ist es nicht falsch, sondern geradezu verpflichtend für uns und Quell der Freude (wie uns der Text in Erinnerung gerufen hat), dass die Ehre Gottes, durch unsere Umstände und die Umstände unseres Lebens, in denen wir uns tatsächlich bewegen, hindurch geht und zwar durch die Ehre dieses Menschen, der Gottes Sohn ist, Christus. Daher war auf einer alten Karte zu Ehren Christkönigs ein berühmter Satz der heiligen Katharina geschrieben: «Wenn ihr seid, was ihr sein sollt, dann werdet ihr Feuer in ganz Italien entzünden. Begnügt euch nicht mit kleinen Dingen. Gott will, dass sie groß sind» . Das steht nicht im Widerspruch zu dem Gesagten. Sondern jeder Augenblick muss oder kann groß sein. Und wir sind nicht wirklich befreundet miteinander, wenn wir uns nicht daran erinnern, wenn wir uns nicht dazu herausfordern. Und das geschieht in erster Linie mit dem eigenen Beispiel, das zur Kraft wird, die von uns ausgeht und alle ansteckt, die uns umgeben.
Seine Eminenz, Kardinal Carlo Maria Martini hat in Leningrad in seinem schönen Beitrag, den ich der Zeitung Avvenire entnommen habe, gesagt: «Jedes Mal, wenn man Gott abgelehnt hat, seinen Sinn verliert oder verkürzt, oder auf falsche Art und Weise vorstellt, ging man mehr oder weniger ausgeprägten Formen der Dekadenz des menschlichen und des sozialen Zusammenlebens entgegen» .
«Dekadenz des Menschen» bedeutet, dass der Mensch sich verengt, armselig wird. Und in der Tat, wenn das, was man anschaut oder die Beziehungen, die man eingeht, ausschließlich der Reaktion entsprechen, die in uns ausgelöst wird und die wir bejahen, oder wenn die Urteile und die Beziehungen aus den (letztlich immer hysterischen) Versuchen entspringen, die eigenen Projekte zu behaupten (in der Beziehung mit dem Freund, der Freundin, in der Familie, der Arbeit, im Studium im kulturellen Leben oder der Politik), dann bedeutet die Armseligkeit, dass man wie gefangen ist: Der Horizont ist nicht länger offen und die Zeit wird zum Richter, weil man sich an dem langweilt, was man getan hat und was man tut. Nichts hat Bestand und Dauer, auch wenn es vorübgehend unseren Geschmack triff. Genau an dieser Stelle aber kommt der Aspekt der Befreiung ins Spiel: Unser Gefängnis wird nur dann gesprengt, wenn sich die Mauer öffnet und das Unendliche Einlass erhält. Darum hat Kardinal Martini gesagt: wer Gott ablehnt, oder ihn verliert und seinen Sinn verkürzt, der fällt in sich zusammen, erliegt der Dekadenz. Denn die Freiheit ist gewissermaßen grenzenlos, und ebenso ist die Beziehung mit Gott ohne Grenzen. Aber wie viel Mühe ist damit für den Menschen verbunden!
Wir verehren alle Bemühungen des Menschen, Gott anzuerkennen, sich ihn vorzustellen, eine affektive Beziehung mit ihm einzugehen und dem Gefühl, den dieser Gedanke im Menschen erzeugt, ästhetischen Ausdruck zu verleihen – kurz: die verschiedenen Religionen! Aber die Muttergottes hatte Ihn bei sich. Das unendliche Geheimnis war da, während sie aß und trank, während sie wachte und schlief. Welch andersartige Dimensionen hatten diese Dinge für sie! Sie konnte diese Beziehung, die sie mit diesem Geschöpf verband, bereits vor der Geburt, nach der Geburt, während sie ihn wachsen sah, nicht zeitweise vergessen. In ihr dominierte das Gedächtnis.
«Gedächtnis»: Das ist das große Wort, das unser Leben, das ansonsten in Versuchung stünde, in die Schranken des Gefängnisses zurückgedrängt zu werden, fortwährend wiederbelebt und befreit. Dieses Gedächtnis ist es, das von der Last der Existenz befreit. Wir haben uns oft an die Szene erinnert, in der Jesus ein Begräbnis sieht und eine Frau verzweifelt weinen hört. Er bleibt stehen, macht einen Schritt nach vorne und sagt ihr: «Frau, weine nicht!» . Wir haben in diesem Zusammenhang oftmals bemerkt, dass diese Aussage auf den ersten Blick widersinnig erscheint, denn wie kann man einer Frau, die ihr Kind verloren hat, sagen: «Frau, weine nicht!»? Aber es ist der größte und schönste Ausdruck einer Zärtlichkeit, also einer Leidenschaft für den Menschen. Ohne uns dieser Zärtlichkeit bewusst zu werden, ist es unmöglich, den Herrn zu verstehen. Aus diesem Grund ist der Herr aus Mitleid zum Menschen gekommen. Der Ursprung seiner Initiative ist daher, so möchte ich fast sagen, nicht ein «religiöser», sondern ein menschlicher Ursprung. Dieses Gedächtnis ließ alle Handlungen der Muttergottes anders werden! Gott unter uns ist zur gegenwärtigen Wirklichkeit geworden.

Wie müssen wir diese Einladung, die durch die Gottesmutter an uns ergeht, den Eindruck, den ihre Gestalt auf uns macht, aufnehmen? Wir müssen eine große Verehrung, eine große Aufmerksamkeit für all das haben, wodurch Christus uns zum Gedächtnis ruft: Vom großen Geheimnis der Kirche als ganzer, dem lebendigen und konkreten Geheimnis unserer Teilkirche, unserer Pfarrei, unserer Gemeinschaft von Freunden, den Familienangehörigen: Sie sind wirklich – nach der Anbetung, die Gott gebührt, nach der Dankbarkeit Gott gegenüber – das, wofür wir in unserem Leben am meisten dankbar sein müssen. Wir müssen gewissermaßen zu einer Anbetung dieser menschlichen Wirklichkeit gelangen, in der wir daran erinnert werden, das Gedächtnis Christi zu leben, das heißt, dass wir an Seine Gegenwart erinnert werden, denn allein sind wir zerstreut. Das gilt selbst dann, wenn wir Theologie studieren. Aber hier handelt es sich um eine Wahrnehmung, um ein Bewusstsein; aber ein Bewusstsein, das auf unsere ganze Affektivität Einfluss nimmt, das danach strebt, sie zu durchdringen. Und dies muss die Art und Weise bestimmen, mit der wir die Dinge betrachten und mit ihnen umgehen.
Welche Gnade, welche Gnade ist dieses Zeichen Seiner Gegenwart, diese Menschlichkeit, die uns an Ihn erinnert: von der Kirche über die Familie bis zu einem Freund, zu einem persönlichen Freund. Das ist wahre Freundschaft. Ich habe diesen Wert, den das Bild Mariens uns in Erinnerung ruft, immer lebendig gespürt, schon als Jugendlicher am Gymnasium und bei den Spaziergängen am Donnerstag, bei den Ausflügen im Seminar – wir liefen dabei immer in Dreierreihen hintereinander –, besonders mit zweien meiner Klassenkameraden musste ich immer daran denken und wir träumten. Die Ehre Christi ist größer und durchstößt alle Grenzen des Vorstellungsmögens, mit der wir versuchen, ihm Ehre zu erweisen; aber uns an ihn zu erinnern, an ihn zu denken – wie auch immer diese Erinnerung aussehen mag –, an ihn zu denken ist in unserem Leben der Punkt, an dem unser Leben zur Freiheit gelangt. Es öffnet sich das Gefängnis der Gefühlswelt, das Gefängnis der Weggemeinschaft, das Gefängnis der Arbeit, der Mühe, das Gefängnis unserer eigenen Person.
Jetzt heißt dieses Gedächtnis «Glaube», gerade weil es nicht eine Erinnerung an das unvorstellbare und unaussprechbare Geheimnis ist, sondern die Erinnerung an eine menschliche Gegenwart (das Geheimnis ist ein Mensch geworden, und «Ich werde bei euch sein – so hat er gesagt – alle Tage bis ans Ende der Welt» ). Als Maria «fiat», «ja» gesagt hat, hat sie auf die kürzeste, zusammenfassende und großartige Weise den Glauben aller Zeiten zum Ausdruck gebracht.
Ich möchte unterstreichen – das ist etwas, was mich immer bewegt hat –, wie der Glaube der Gottesmutter ein vor allem vernünftiger Glaube ist, gemäß dem, was der Apostel verlangt: dass der Glaube eine «vernünftige Ehrerbietung» sei. Inwiefern war der Glaube der Gottesmutter vernünftig? Wir wissen nicht, wie dieser bedeutende Moment, den wir Verkündigung nennen, abgelaufen ist. Wir können ihn uns vorstellen, aber wir wissen nicht, wie er sich wirklich ereignet hat. Das, was geschehen ist, ist gewiss Folgendes: dass sich der Gottesmutter eine Entsprechung zwischen dem aufgezeigt hat, was passierte, also dem, was ihr da gesagt wurde, und der tiefen Erwartung ihres Herzens. Das heißt Vernünftigkeit. Das, was sie tief in ihrem Herzen erwartete, war, dass sich die Verheißung Gottes erfülle, die an die Väter ergangen war: «Selig ist die, die geglaubt hat, dass sich erfüllt, was der Herr ihr sagen ließ» . Selig, der geglaubt hat, dass sich erfüllt, was der Herr gesagt hat, und dass sich erfüllt, was der Herr gesagt hat, das ist die Erfüllung der großen Verheißung: «Er wird geboren werden» – so wurde es gerade eben vorgetragen –, «er wird geboren werden»: Gott, der zu einer menschlichen Gegenwart wird.
Aber das, was mich immer beeindruckt hat, ist der Satz, der danach kommt, nachdem der Engel fertig gesprochen hat und die Gottesmutter antwortet: «Ja, mir geschehe nach deinem Wort». Punkt! «Danach verließ sie der Engel» . Dieser Satz hat mich immer sehr beeindruckt. Wie oft ist mir dieser Moment immer wieder eingefallen und ich habe mir dabei die furchtbare Situation vor Augen geführt, in der sich dieses Mädchen befunden haben muss. Denn sofort, nachdem der Engel sie verlassen hatte, hätte sie sagen können: «Das ist reine Illusion gewesen!» «Ich habe mir das eingebildet!» «Was soll das heißen?» «Das war nur ein Phantasiegebilde!» In dem Moment hat die Gottesmutter die ganze Energie leben müssen, derer der Glaube bedarf. Und sie hat es gerade in einem Moment bewiesen, in dem das, was sie in sich trug, noch nicht feststellbar war; in dem großen Moment («Danach verließ sie der Engel» ), in dem sie allein zurückblieb, allein ihrem Verlobten gegenüber, gegenüber den Familienangehörigen, allein der Welt gegenüber. Und sie blieb aufrichtig dem gegenüber, was sie gehört und gesehen hatte.
Der Glaube umfasst einen Mut, der die Intelligenz stützt. Die Intelligenz drückt sich durch ein Urteil aus («Ja, es ist so»). Es braucht aber ein mutiges Herzen, um dann auch zu sagen: «So ist es», und vor allem bei dieser Feststellung zu bleiben, von dieser Feststellung nicht abzuweichen.
Deswegen ist der Glaube direkt proportional zum grundlegenden und unersetzbaren Gestus des Menschen; mehr noch zum wahren menschlichen Gestus, so würde ich sagen: zur «Bitte», die man auch Gebet nennen kann. Alles andere ist gegeben; auch das ist bis zu einem gewissen Punkt etwas Gegebenes, aber es ist der Punkt, an dem das, was uns gegeben ist, unsere Freiheit herausfordert. Deshalb möchte ich von der «Bitte» sprechen.
Man kann keinen Glauben haben, ohne ihn zu erbitten. Und so stelle ich mir die Gottesmutter vor der Verkündigung vor: sicher war sie es gewohnt, die Bibel zu lesen, sie war es gewohnt, so in ihrem Innern die große Bitte zu wiederholen, die der Mensch dem Herrn gegenüber zu allen Zeiten ausgesprochen hat. Und mir scheint bedeutungsvoll, dass die Bibel am Ende der religiösen Geschichte der Menschheit, die sie aufzeigt, mit einer Bitte endet: «Komm, Herr Jesus» .
Antonio Socci sagt in seiner Monographie über den großen Tarkovskij: «Der westliche Mensch hat schon seit langem seine Hinwendung zur Bitte gleichsam „über Bord geworfen“ und damit den Rucksack und Stock des Wanderers verbrannt [der Mensch hat darauf verzichtet, Pilger zu sein; das heißt, der Mensch hat darauf verzichtet zu verstehen, dass das Leben ein Weg auf die unendliche Bestimmung zu ist, mit seiner bewegenden Hinwendung zur Bitte]. Die Bleibe (Ethos) des Menschen [das heißt, die Art, etwas zu begreifen und sich zu verhalten] ist nicht mehr der Horizont [der Horizont, auf den derjenige, der unterwegs ist, also der Wanderer zugeht], sondern das Versteckspiel, wo er niemandem begegnet und wo er deswegen beginnt, an seiner eigenen Existenz zu zweifeln» . Nur in der Bitte, nur wenn wir uns in die Haltung der Bitte begeben, nehmen wir alle anderen Menschen – die, die uns nahe stehen und die Ferneren, die, die auch unserer Meinung sind, und die, die anderer Meinung sind – als Teil von uns wahr.
Wir können uns die Gottesmutter nicht anders vorstellen als eine ständige Bitte, dass die Ehre ihres Sohnes am Horizont der Welt erscheint und alle Menschen sie erkennen. Die Gottesmuter lebte ihr ganzes Leben das, worum Christus vor seinem Tod bittet: «Vater, die Stunde ist gekommen, verherrliche deinen Sohn» . Jeder von uns ist dazu berufen, der Gestalt der Gottesmutter anzuhängen, damit sich die Ehre Christi ereigne. So wird sein Leben zu einem Abenteuer, zu einem nützlichen Weg für ihn selbst und für die anderen, leuchtend, weil «die Stunde gekommen ist». Wir haben es vorher gesagt: Jeder Augenblick ist diese Stunde.



J. Ratzinger, Instruktion über die Freiheit der Christen und die Befreiung, Glaubenskongregation, 22. März 1986, 97. Zitiert in Johannes Paul II., Redemptoris Mater, 25 März 1987.
Ps 8, 5.
Lk 1, 48.
1 Kor 1, 27.
Vgl. Heilige Katharina Siena, Brief an Stefano Maconi, Nr. 368.
C.M. Martini zitiert in U. Folena, Russi, l’Europa vi aspetta, «Avvenire», 17. Juni 1988, S. 8.
Lk 7, 13.
Mt 28, 20.
Röm 12, 1 «Obsecro itaque vos, fratres, per misericordiam Dei, ut exhibeatis corpora vestra hostiam viventem, sanctam, Deo placentem, rationabile obsequium vestrum …». («Angesichts des Erbarmens Gottes ermahne ich euch, Brüder, euch selbst als lebendiges und heiliges Opfer darzubringen, das Gott gefällt; das ist für euch der wahre und angemessene Gottesdienst.»)
Lk 1, 45.
Lk 1, 38.
Ebd.
Apg 22, 20.
A. Socci, Obbiettivo Tarkovskij, EDIT, Mailand 1987, S. 27.
Joh 17, 1.