Logo Tracce


Briefe
Briefe Mai 2008
Zusammengestellt von Paola Bergamini

Treue zum Bedeutsamen
Die österlichen Tage sind nun vorbei und im September werde ich mein Studium beginnen. Während meiner Rückreise von den «Drei Tagen» der Vorbereitung auf Ostern sprach ich mit Mario über meine Schwierigkeiten mit einem Freund, der Atheist ist. Mario meinte nur: «Aber warum liegt dir so viel daran, das Christentum zu verteidigen?» Das war für mich eine riesige Herausforderung. Denn Marios Frage rief in mir die Frage nach dem Sinn dessen, was ich tue, noch deutlicher ins Bewusstsein. Zugleich spornte sie mich an, die Herausforderungen der Wirklichkeit anzunehmen. Dabei war der Ostertag, an dem ich arbeiten musste, wesentlich für mich. Um die Universität in Mailand zahlen und meine Familie, die in schlechten wirtschaftlichen Verhältnissen lebt, unterstützen zu können, arbeite ich als Kellner im Agritourismus. Vor Arbeitsbeginn las ich im Heftchen der «Drei Tage» den Abschnitt über das Opfer, und das war grundlegend für mich. Denn während der Arbeit erinnerte ich mich an «Die Suche nach dem Bedeutsamsten», die Don Giorgio uns ans Herz gelegt hatte. Die Folge war, dass ich die Ostertage in einer Fülle gelebt habe, die ich mir nie hätte vorstellen können. Auch meine Mitarbeiter haben mich gefragt: «Aber warum bist du so glücklich? Bist du dir klar, dass wir uns hier abschinden, während die anderen feiern?» Nur dass für mich auch dies ein Fest war, weil ich nicht nur arbeitete, um Geld zu verdienen, sondern «das Bedeutsamste» darin suchte. Sonst wäre es eine wirkliche Tortur gewesen; etwa weil es unmöglich ist, zu lächeln, wenn du sechs Teller mit heißer Lasagne in der Hand hältst und sechs spielende Kinder dir den Weg versperren. Beeindruckend war auch das Erstaunen, mit dem der Besitzer des Agritourismus mich am Abend anschaute. Nachdem er den halben Tag nur geflucht hatte, wunderte er sich über meine Arbeitsweise und sagte mir, ich hätte im Vergleich zu den anderen Malen wirklich anders gearbeitet. Ich habe Gott für die Freunde gedankt, die er mir zur Seite gestellt hat, denn nur durch sie konnte ich mich so verändern. Am wichtigsten aber war für mich, dass ich am Abend nach der Arbeit mit einigen meiner Freunde zusammensaß, die Ostern gemeinsam verbracht hatten. Einige hatten viel getrunken, und ich setzte mich zu einem der wenigen «Überlebenden», um mit ihm zu sprechen. Dabei kam heraus, dass sie sich erst sehr vergnügt hatten, (im Sinne einer Zerstreuung, von der Don Giorgio gesprochen hatte), dann aber abends sehr traurig waren. Anfangs wusste ich nicht, was ich diesem Freund sagen sollte, aber dann verstand ich plötzlich, dass ich nur durch einen Vorschlag etwas ändern konnte. Ihm half kein moralistischer Diskurs geschweige denn eine Predigt, sondern jemand, der ihm zur Seite stand. Und in der Tat, als ich ihm dann von der Schönheit erzählte, die ich während der Vorbereitung auf Ostern erlebt hatte, war er so überrascht, das er mich fragte: «Wann findet so etwas wieder statt?» Ich schlug ihm dann vor, zum Seminar der Gemeinschaft zu kommen. Auf dem Weg nach Hause sang ich für mich das Lied «Non Nobis», denn mir wurde bewusst, dass diese Schönheit nicht mein Verdienst ist, sondern die Gnade Gottes. Denn ER ermöglicht uns heute, durch ein Ereignis, die Wirklichkeit nicht gemäß unserer Grenzen, sondern durch unsere Freiheit zu leben, das heißt durch das, was aus der «Treue zum Bedeutsamsten» erwächst.
Pierluigi

Dem Herzen entsprechend
Ich bin Paola aus Rio de Janeiro. Ich sende euch einen Brief, den eine Freundin mir nach ein paar Ferientagen mit den Erwachsenen der Bewegung geschickt hat. Sie sandte mir den Brief mit folgendem Kommentar: «Diese Zeilen sind zu gering, um das auszudrücken, was diese Gemeinschaft für mich bedeutet.»
Obwohl ich schon oft am Seminar der Gemeinschaft teilgenommen und auch etliche Bücher und Schriften gelesen habe, hatte ich immer Schwierigkeiten, wirklich zu verstehen, was die Bewegung ist. Im Moment durchlebe ich derart große persönliche Probleme, dass mein Leben aus dem Gleis zu springen scheint. Durch diese Schwierigkeit entdeckte ich erst, dass ich von den richtigen Personen umgeben bin, die mich mit meinen Problemen anhören und mir helfen, sie zu bewältigen. Ich begann mich zu fragen, wer diese Personen sind, wie sie so intensive leben können und woher sie diese Energie nehmen. So verstand ich allmählich, wie sie ihre Menschlichkeit leben und wie wichtig die Gemeinschaft ist, die uns hilft, dies nicht aus den Augen zu verlieren. Zu der Zeit begannen wir, im Seminar den Text Freunde, das heißt Zeugen zu lesen. Ich las ihn mehrmals und die Worte ergaben einen Sinn und halfen mir weiter. «Sogar die Haare eures Hauptes sind gezählt.» Aufgrund dieses Satzes entdeckte ich, dass ich nicht alleine bin und so machte ich die Erfahrung einer persönlichen Beziehung zu Christus, indem ich lieben kann und geliebt werde durch diese Freunde, die nun ein wirklicher Bezugspunkt geworden sind. Ich wurde so zu einem neuen Leben in Christus erweckt, das allen Dingen des täglichen Lebens eine neue Bedeutung gibt und sie wahrer und intensiver macht. Die Begegnung mit Christus durch die Bewegung hat in mir den Wunsch wachsen lassen, diese Religiosität jedes Mal besser zu verstehen, zu verifizieren und zu vertiefen. Ich verspüre die Notwendigkeit, diesen Freunden nahe zu sein und zu hören, was sie mir sagen. Denn nur das gibt meinem Leben einen Sinn. Es ist wirklich alles anders geworden, wie eine Abhängigkeit, die mich erst ganz mich selbst werden lässt. Während der Ferien habe ich einmal mehr erfahren können, dass es mein Wunsch ist, jeden Moment wirklich zu leben, sei er gut oder schlecht. Denn nun weiß ich, dass ich nicht alleine bin. Eigentlich war ich es nie, auch als ich mir dessen noch nicht bewusst war. Ich möchte offen und verfügbar sein für den, der mich liebt und schon geliebt hat, bevor ich auf der Welt war. Ich weiß, dass all dies nicht einfach ist, da wir schwach sind. Deswegen möchte ich alles tun, damit diese Bewegung in mir nicht einschläft. Aber seitdem ich diese wirkliche Entsprechung erfahren habe, reicht mir nichts mehr wirklich aus. Ich habe erfahren, dass die Entsprechung von Christus abhängt. Er erreicht mich durch diese Gemeinschaft und deswegen möchte ich ihr nachfolgen.
Sandra

Maxims Freunde
Im Januar 2006 begann Maxim im Jugendzentrum von Almaty zu arbeiten. Er ist 28 Jahre alt. Eines Abends wurde er tragischerweise bei einem Raubüberfall umgebracht. Kaum ein Jahr zuvor hatte er die Freunde der Gemeinschaft von Almaty während eines italienischen Sprachkurses kennen gelernt. Die Mutter erfuhr von dem schrecklichen Ereignis erst am Tag der Beerdigung, denn in den Tagen des tragischen Geschehens befand sie sich in der Ukraine. Maxims Geschwister hatten ihr aus Angst, sie könne die furchtbare Nachricht nicht verkraften, nicht die ganze Wahrheit erzählt. Tetia Katia ist 65 Jahre alt und hat schon die älteste Tochter Tonia durch einen Unfall verloren. Vor einigen Jahren starb auch ihr Mann. Ihr blieben drei weitere Kinder und sie hätte sich selbst in ihren schrecklichsten Träumen nicht ausmalen können, was sie nach ihrer Rückkehr zu Hause erwartete. Durch die Tragödie lernt sie auf geheimnisvolle Weise die Freunde Maxims im Jugendzentrum kennen. Zwei Jahre nach der Tragödie schreibt sie ihr Zeugnis.
Zwei Jahre sind nun seit dem tragischen Tod meines Sohnes vergangen. In den ersten Monaten gelang es mir weder zu denken, noch zu überlegen oder besonnen zu urteilen. Ich war wie benommen im Kopf und fühlte einen unendlichen Schmerz in meinem Herzen. Für unsere Familie ist es eine große Tragödie gewesen. Es gelang uns nicht, zu realisieren und zu verstehen, was geschehen war. Ich wollte weder leben noch jemanden sehen. Ich wollte nur die Einsamkeit. Insgesamt also eine totale Enttäuschung. Der Verlust des Lebenssinnes. Und auch der Verlust von Gott. Ich hatte immer nur die Frage: Warum? Die ersten Treffen mit Luca und den Jugendlichen des Jugendzentrums waren bitter und schmerzhaft. Alles erinnerte an meinen Sohn. Aber langsam begann ich, diese Treffen zu erwarten. Nach den Unterhaltungen und der gemeinsam verbrachten Zeit wurden die Gedanken in meinem Kopf klarer und sinnvoller. In meiner Erinnerung kehrte Maxim als gut, zärtlich und intelligent zurück. Wir glichen uns in vielen Dingen. Wir hatten eine gemeinsame Liebe zur Natur. Nicht alle bemerken die Farbe des Himmels, die Form der Wolken, das Rauschen der Blätter und die Bewegung der Insekten. Maxim kannte und wusste viele Dinge zu tun, er verstand die Bedeutung des Lebens auf der Erde sowie derer, die sie bewohnen. Aber vor allem liebte er das Leben und die Personen, von denen er umgeben war. Er studierte und arbeitete, aber ich sah, dass es immer etwas gab, das ihm fehlte. Es gab keinen Funken in dem, was er tat. Eines Tages kommt er nach Hause und sagt mir: «Mama, sie schlagen mir eine neue Arbeit im italienischen Jugendzentrum vor.» Ich wusste, dass er Italienisch studierte und fragte ihn, ob der Vorschlag ihm gefalle und Maxim antwortete: «Ich habe das gefunden, was ich gesucht habe.» Nach der Tragödie, als ich beginnen konnte, vor allem im Beisein der Jugendlichen Lucia, Tiziana, Giulia und Luca, vernünftiger nachzudenken, habe ich verstanden, dass Maxim nicht weggegangen ist. Ich habe ihn in der Freundschaft und Liebe der Jugendlichen des Zentrums zurückbekommen. Er ist bei mir im alltäglichen Leben. Das, was er liebte, und die, die er liebte, sind mir nah. Das gibt mir die Kraft, weiter zu gehen und das zu leben und zu lieben, was er liebte. Nicht den Optimismus zu verlieren und die Kräfte zu finden, immer wieder weiter zu gehen; meine Familie und die, die mich umgeben, mehr zu lieben – sie so zu akzeptieren, wie sie sind. Und das ist die Liebe, wie Jesus sie verkündete und lebte. Es hat mir geholfen, in die Wirklichkeit einzutreten und den Sinn aller Dinge zu offenbaren. Ich bin dabei, die Dinge zu verstehen, aber die Jahre, die ich nun in einer anderen Art und Weise, lebe sowie die Erziehung machen sich bemerkbar. Es ist nie zu spät, zu Gott zu gelangen, wenn man solche Freunde um sich hat, wie ich sie nun habe.
Katia

Das Geschenk der Einheit
Liebe Freunde, ich bin froh, mit euch zusammen eine Erfahrung christlichen Lebens als Brüder und Schwestern zu leben. Es ist großherzig von euch, mich eure wunderschöne Gemeinschaft erleben zu lassen. Das Herz des Christentums, das ich unter uns sehe, lässt mich verstehen, dass wir stets einander brauchen. Ich bin glücklich, die Bewegung kennen gelernt zu haben und sie zu erfahren. Don Giussani hat die Gemeinschaft mit Christus vielen Jugendlichen und Erwachsenen vorgeschlagen und uns die Methode gezeigt, das heißt «die Kultur, die Caritas und die Mission» in einer Einheit. Die Einheit unter uns ist das kostbarste Geschenk, das entsteht, wenn wir diese Initiative aufnehmen. 2003 war ich noch Adventist, aber als Ernest aus Italien zurückkehrte und neue religiöse Ideen mitbrachte, sind wir Freunde wie zu Beginn geblieben, auch wenn seine Ideen ganz anders waren als meine. Eines Tages, als wir nach Hause gingen, habe ich ihn gefragt: «Ernest, wir sind Freunde, aber warum hast du dich so verändert?» Und er antwortete mir: «Weil ich Christ bin.» Ich entgegnete: «Ich bin auch Christ, aber du bist anders!» Ernest hat mir dann Folgendes erklärt: «Ich habe die Wahrheit und die Wirklichkeit des christlichen Lebens mit der Bewegung von CL getroffen.» Dann hat er mir von Don Giussani erzählt und was die Bewegung ist. Die Bewegung von CL ist das Licht der Wahrheit und die Wirklichkeit, um das christliche Leben zu leben. Wegen allem, was ich bisher unter uns gesehen und erlebt habe, möchte ich ein Mitglied der Fraternität werden.
John, Sierra Leone

Das Leben als Aufgabe
Vor nunmehr elf Jahren hat der Herr unsere Tochter Elena nach einem Monat des Lebens zu sich genommen. Es ist unnötig zu sagen, wie dieses Ereignis mein Leben und das meiner Frau gezeichnet hat und noch immer zeichnet. Dazu kommt die Verschlechterung der Krankheit, die meine Frau Anna bereits im ersten Jahr unserer Ehe befiel. Auch das Adoptionsgesuch fand kein erfolgreiches Ende. Und so finden wir uns nach 15 Jahren Ehe ohne Kinder und mit vielen offenen Wunden wieder. Es war gewiss nicht das, was wir uns erhofften, als wir geheiratet haben. Was ist das bloß für ein Leben? Ist das Leben wirklich «ein Märchen, geschrieben von einem Idioten in einem Tobsuchtsanfall»? Was für eine Gerechtigkeit gibt es in dieser Welt, wo Millionen Frauen ihre eigenen Kinder ablehnen. Von der Bewegung und der Kirche erzogen, haben wir aber niemals daran gezweifelt, dass der Herr uns liebt, auch wenn seine Methoden absurd erschienen. Wir wissen, dass seine Wege nicht unsere Wege sind. Wir sagen immer: «Dein Wille geschehe», aber das reicht nicht. Mir passte daran nicht, dass es in einer Resignation oder einem einfachen Trost endet. Denn mir wollte die Idee nicht aus dem Kopf, dass mir Unrecht geschieht und mein Leben beeinträchtigt ist. Ich bemerkte, dass die Erinnerung an unsere Tochter immer schwächer wurde, so als könne man so etwas vergessen! Ich konnte mich nicht einmal mehr mit meinen Freunden zufrieden geben, um mit ihnen Zeit zu verbringen oder die Themen der Bewegung aufzufrischen. Man braucht die Geduld Gottes, um etwas zu verändern. Doch nach einiger Zeit, mit viel Geduld, und in Treue zur Geschichte, die wir getroffen haben, wurde mir auf fast unmerkliche Weise die Gegenwart Jesu immer gewisser. So fragte zum Beispiel eine Person während des Seminars der Gemeinschaft, was die Schönheit mit dem Opfer zu tun habe. Ich erinnere mich nicht mehr genau an die Antwort, aber es wurde gesagt, dass die Schönheit der Glanz der Wahrheit ist. Plötzlich wurde mir klar, dass das Leben unserer Tochter etwas von einer Schönheit und einzigartigen Reinheit hatte, in diesem Schmerz, der andauert. Sie kam zur Welt und ging zügig auf ihre Bestimmung zu. Das ist alles! Ich entdeckte, dass die Geschichte meiner Tochter ein Faktum ist, das weiter geschieht. Es ist wie das Paradigma meines Lebens: Jedes Mal, wenn ich an sie denke und sie vermisse, bittet mich Christus um ein «Ja». Das ganze Leben ist so: Ein ständiger Kampf zwischen der Selbstbehauptung und der Abhängigkeit von Gott. Entweder abhängig von Gott und frei von den Umständen, oder frei von Gott und Sklave von allem. Was erfüllt mich am meisten? Das Leben hat eine Aufgabe und es ist nicht jene, die du bestimmst oder von der du meinst, dass Gott sie dir gegeben hat. Mit meiner Frau, mit den Kindern in der Schule oder mit den «Suchern des Grals», mit allen, in allem, gibt es immer ein Schema zu brechen, eine Mauer niederzureißen … nicht allein. Es muss nicht immer unbedingt ich im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen. Ich kann mich auch an Sachen erfreuen, die nicht ich mache. Und so kann ich sagen, wie der Gärtnermönch im Schlussteil von Miguel Mañara: «… mein Herz ist fröhlich … denn ich weiß, dass alles dort ist, wo es sein soll, und alles dorthin geht, wo es hin soll: An den von einer Weisheit, die (der Himmel sei gelobt!) nicht die unsere ist, zugeteilten Ort».
Riccardo, Verona

Eine großartige Freundschaft
Seit Rosanna fehlt, sind nunmehr einige Monate vergangen. Rosanna war meine Freundin. Sie war 37 Jahre alt und Mutter von drei Kindern. Vor zweieinhalb Jahren diagnostizierten die Ärzte bei ihr einen Tumor in der Speiseröhre. Man dachte, sie hätte nur noch drei Monate zu leben. Doch lebte Rosanna noch zwei Jahre lang auf eine wunderbare Art und Weise: Nicht nur weil die Krankheit überraschenderweise zunächst nicht mehr fortschritt, sondern vor allem, weil Rosanna uns allen in dieser Zeit zeigte, was es bedeutet, einen gewissen, beständigen Glauben zu leben, fest gemacht an der Gegenwart Christi. Sie tat dies auf eine einfache, aber äußerst konkrete Art und Weise. Von der Erziehung ihrer Kinder bis hin zur Liebe für ihren Mann, von der Leidenschaft für ihre Schüler bis hin zu der Zuneigung, mit der sie alle anschaute, die sie besuchten. In diesen zwei Jahren hat uns Rosanna bezeugt, dass man leben kann, indem man das Leben liebt für das, was dir heute gegeben ist – egal wie die Lebensumstände aussehen. Im August kamen erste Zeichen einer raschen Verschlechterung, und damit wurde das Zeugnis vom Wertvollsten, das sie hatte, noch offensichtlicher. Es war kein heldenhafter Voluntarismus, sondern ein Glaube, der an der Schönheit einer Gegenwart in den ganz menschlichen Umständen festgemacht ist. So gab sie auch bewegt zu, schwierige Zeiten zu durchleben, aber nicht so sehr deshalb, weil sie keine Aussicht auf eine Besserung hatte, sondern vielmehr deshalb, weil sie jene Gegenwart nicht sah: «Denn was würde es mir bringen, wenn ich auch geheilt würde, aber den Sinn nicht hätte?» Ab November musste sie regelmäßig ins Krankenhaus. Es begann ein harter und zugleich bewegender Todeskampf, der die menschliche Haltung eines jeden zutage brachte: Sie lebte jeden Augenblick, um die große Aufgabe zu erfüllen, die ihr anvertraut war. So korrigierte sie in den immer seltener werdenden Momenten mit klarem Verstand und physischer Kraft im Krankenhaus die Aufgaben ihrer Schüler. Ich/wir waren hingegen betäubt durch die irreversible medizinische Diagnose, bis zu dem Punkt, an dem man es nicht mehr schafft, um ein Wunder zu bitten. Und auch hier war es Rosanna, die uns bezeugte, dass man eine Freundschaft braucht, die den Wunsch nach einem Neubeginn erweckt. Sie hatte mir anvertraut, dass sie nicht mehr die Kraft hatte zu bitten, ohne das Zeugnis der engsten Freunde. Denn ihr Glaube stützte sich ganz auf das Zeugnis derer, die ihr wahrere Freunde waren. Am Weihnachtstag kam sie nach Hause zurück. Ihr Mann schrieb uns: «Gestern Abend, als wir mit den Kindern beteten, dankten wir für das Geschenk, das wir in dieser Adventszeit bekommen hatten: Wir haben deutlich verstanden, was es bedeutet zu „erwarten“. Heute Nachmittag kommt Rosanna nach Hause.» Bei ihr zu Hause betete man mit den Kindern rund um ihr Bett wie folgt: «Wir danken Gott vor allem für das Geschenk, das Er uns heute gegeben hat, und wir bitten für Mama …» Vom 28. Dezember an beteten wir mit einigen Freunden täglich gemeinsam den Rosenkranz. Und so entdeckte ich, dank Rosanna und all unserer Freunde, die uns begleiteten, ein bisschen mehr die schönste Sache, die mir passiert ist. Ich möchte sie in die Worte ihres Mannes kleiden: «Weißt du, warum unsere Freundschaft großartig ist? Wegen dem, der mitten unter uns gegenwärtig ist, und nicht wegen unserer Erwartung dessen, was noch passieren sollte!»
Chino, Buccinasco