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Thema - Papst Benedikt XVI. in den USA
Die Menschenrechte sind Frucht der «unveränderlichen Gerechtigkeit»
Stefano Alberto

In seiner Rede vor der UNO hat der Papst ein umstrittenes Thema aufgegriffen und in seiner Tiefe ausgelotet. Dabei führte er den Gedankengang weiter, den er in Regensburg begonnen hat.

Mary Ann Gledon, Rechtswissenschaftlerin in Harvard und derzeit US-Botschafterin beim Heiligen Stuhl hat in einer jüngsten Veröffentlichung über die Lage der Menschenrechte festgestellt: «Mit der fortschreitenden Entwicklung der Idee der Menschenrechte geht eine Erosion der Überzeugung einher, dass diese Rechte objektiv definiert, weltweit angewandt und philosophisch begründet werden können». (Vgl. Il traffico dei diritti insaziabili, Hg. Luca Antonini, Soveria Mannelli 2007, S. 59).
So ist es nicht nur dem 60. Jahrestag der Erklärung der Menschenrechte geschuldet, dass Papst Benedikt XVI. dieser Frage den zentralen und bedeutsamsten Teil seiner historischen Rede vor den Vereinten Nationen am 18. April widmete.
Der Papst hat seit den 90er Jahren in aller Klarheit eine solche Tendenz beklagt. Und so sprach er nun auch von der Notwendigkeit, «die Anstrengungen gegenüber dem Druck zu verdoppeln, der die Fundamente der „Erklärung“ neu zu interpretieren und ihre innere Einheit zu gefährden sucht, so dass ein Sich- Entfernen vom Schutz der Menschenwürde erleichtert wird, um einfache Interessen, oft Sonderinteressen, zu befriedigen». Die Neuinterpretation gründet auf einem relativistischen Verständnis, das die Universalität der Menschenrechte im Namen unterschiedlicher kultureller, politischer, sozialer oder religiöser Kontexte negiert. Sie führt schließlich dazu, ihre Achtung allein auf die Anwendung «korrekter Prozeduren» oder das «Erreichen eines einfachen Gleichgewichts zwischen untereinander konkurrierenden Rechten», zu verkürzen. «Wenn sie bloß in Begriffen der Gesetzlichkeit dargestellt werden, laufen Rechte Gefahr, zu schwachen Aussagen zu werden, die von der ethischen und rationalen Dimension losgelöst sind, die ihr Fundament und Ziel ist.» Der US-amerikanische Rechtswissenschaftler Paolo Carozza, spricht in dem oben zitierten Sammelband vom beeindruckenden und beunruhigenden Bild eines «Handels mit den Menschenrechten», die er als «leere Container» beschreibt (a.a.O. S. 81-94). Eine solche Entwicklung widerspricht radikal dem einheitlichen Verständnis der Menschenrechtserklärung, die als «gemeinsam erreichter Standard (Präambel) angenommen» wurden, und «nicht stückweise angewendet werden (kann), je nach Tendenzen oder selektiven Entscheidungen, die vor allem Gefahr laufen, im Widerspruch zur Einheit der menschlichen Person und damit der Unteilbarkeit der Menschenrechte zu stehen», so Benedikt XVI.
Der Papst mahnte demgegenüber das positive Fundament der Menschenrechte an, das von der Menschenrechtserklärung in der menschlichen Würde anerkannt wird und zwar mit dem ausdrücklichen Wunsch, «die menschliche Person in den Mittelpunkt der Institutionen, der Gesetze und des Vorgehens der Gesellschaften zu stellen». Dabei betonte der Papst, dass die in der Erklärung anerkannten und dargelegten Rechte, einschließlich des Rechts auf Religionsfreiheit, «auf jeden Menschen aufgrund des gemeinsamen Ursprungs der Menschen angewendet werden, der für die Welt und die Geschichte der zentrale Punkt des Schöpfungsplanes Gottes bleibt. Diese Rechte haben ihre Grundlage im Naturrecht, das in das Herz des Menschen eingeschrieben und in den verschiedenen Kulturen und Zivilisationen gegenwärtig ist. (...) Die große Vielfalt der Sichtweisen kann kein Grund sein, um zu vergessen, dass nicht nur die Rechte universal sind, sondern auch die menschliche Person, die das Subjekt dieser Rechte ist.»
Die wesentliche Neuheit im Beitrag von Benedikt XVI. besteht in der Warnung vor der Gefahr, dass die Legalität gegenüber der Gerechtigkeit überwiegt (die Rechte wären dann «ausschließliches Ergebnis legislativer Maßnahmen oder normativer Entscheidungen (...) die von den verschiedenen Einrichtungen derjenigen getroffen werden, die an der Macht sind»). Zugleich ruft er jene allzu oft vernachlässigte Erfahrung ins Bewusstsein, dass «die Achtung der Menschenrechte vor allem in der unwandelbaren Gerechtigkeit verwurzelt ist, auf die sich auch die verpflichtende Kraft der internationalen Proklamationen stützt».
Aus der Argumentation Benedikt XVI. lassen sich zwei grundlegende Dimensionen ableiten: a) Die Menschenrechte gehen nicht in erster Linie aus dem Willen des Gesetzgebers hervor und sie sind ebenso wenig Entscheidungen «verschiedener Einrichtungen derjenigen, die an der Macht sind». Sie gehen statt dessen aus der Intersubjektivität hervor, die jeder Person, jeder Kultur und jedem gesellschaftlichen und sozialen Kontext zueigen ist, «da Rechte und die sich aus ihnen ergebenden Pflichten auf natürliche Weise aus der menschlichen Interaktion folgen». b) Die Wurzel der Rechte und Pflichten ist also die Grunderfahrung der Person, weil sie «das Ergebnis eines gemeinsamen Gerechtigkeitssinns sind, der sich vor allem auf die Solidarität zwischen den Mitgliedern einer Gesellschaft gründet und daher für alle Völker und Zeiten gültig ist».
Als Antwort auf die Versuchung, die Legalität als Ausdruck des Machtwillens der Staaten und vor allem der transnationalen Lobbies zu interpretieren, die versuchen, immer neue Rechte auf der Grundlage individualistischer oder partikulärer Interessen zu verändern, besteht der Papst auf der Tatsache, dass die Menschenrechte «als Ausdruck der Gerechtigkeit respektiert werden (müssen) und nicht lediglich deshalb, weil sie aufgrund des Willens der Gesetzgeber durchsetzbar sind».
Für Benedikt XVI. liegt also das Fundament dieser Rechte in der Würde des Menschen und in der Anerkennung des transzendentalen Wertes jeder Person, die «fest in der religiösen Dimension» verankert ist. Hier liegt für ihn auch der Ausgangspunkt für die Unterscheidung («also die Fähigkeit, das Gute vom Bösen zu trennen») angesichts neuer Herausforderungen und der Forderung nach neuen Rechten.
In diesem Zusammenhang kommt der Papst auf das weitläufige Thema zu sprechen, das er bereits in der verhinderten Rede an der Sapienza-Universität im Dialog mit Rawls und Habermas ansprach: Die öffentliche Rolle der frei praktizierten Religionen in der säkularen Gesellschaft. Sie können «selbstständig einen Dialog der Gedanken und des Lebens führen» (Religionsfreiheit) und somit einen Beitrag leisten, um einen Konsens «um die einzelnen Werte und Ziele betreffende Wahrheit herum» aufzubauen – bei klarer Unterscheidung zwischen der religiösen Sphäre und politischem Handeln.
Der Papst hat bei den Vereinten Nationen einen neuen herausfordernden Schritt auf dem Weg getan, den er mit seiner Rede in Regensburg begann, um dem modernen Menschen dabei zu helfen, «die Vernunft zu weiten». Benedikt legt uns dazu eine klassische und zugleich originelle Wiederaufnahme des «Naturrechts» vor. Er sieht in ihm eine realistische Methode, um die «rationale und ethische Dimension», der Menschenrechte anzuerkennen und zu bekräftigen. Dabei geht er von der ursprünglichen Erfahrung jeder Person aus, die vom nicht zu unterdrückenden Verlangen nach einer «unveränderlichen Gerechtigkeit» bewegt wird.