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Briefe
Briefe November 2008
Zusammengestellt von Paola Bergamini


Brief einer Freundin an eine Kollegin, welche sie zum Eröffnungstag eingeladen hatte.
Selbsterkenntnis
Liebe Ale,
während ich diese Geschichten [die Zeugnisse von Pater Aldo und von Vicky, Anmerkung der Redaktion] las, begann ich zu zittern, ich weiß nicht warum. Auch gestern habe ich gezittert, als ich ein paar Begriffe gehört habe, die ich gut kenne und die zu meinem Alltag gehören, und die Carrón, und damit ihr „Glauben“ nennt. Ich zittere beim Lesen von Vickys Worten: «Auf einen Anruf kann man nicht anders als mit „Ja“ antworten». Ich zittere, weil ich erkenne, mit welcher Einfachheit man über sich selbst sprechen und seine eigene Menschlichkeit ausdrücken kann, während andererseits die Welt das so kompliziert macht. Anstatt sich zu öffnen, igeln sich alle hinter Begründungen wie „Zurückhaltung“, „Würde“, „Scham“, „Angst“, „Schwierigkeiten“ ein. Ihr sprecht über äußerst eindringliche Fragen, als wären sie die normalste Sache der Welt. Die Menschen versuchen, Ihre Verschlossenheit zu rechtfertigen und sagen deshalb: «Das ist mein Charakter, so bin ich halt, wir sind nicht alle gleich». Ich aber glaube, dass wir alle gleich sind. Dass Liebe Liebe ist, und Schmerz Schmerz. Und dass derjenige arm dran ist, der ihn nicht aussprechen kann, wie es Vicky und dieser Priester, dessen Name mir nicht einfallen will, getan haben. Einigen Freunden habe ich über das Zeugnis, das die beiden gehalten haben, geschrieben. Ich habe für Sie auch einige Sätze zitiert, die mich beeindruckt haben: Über den Gehorsam, über das Leben mit dem Herzen als Maß. Ich weiß nicht, ob sie mich verstehen werden. Vielleicht werden Sie mich für sentimental halten. Ich habe es trotzdem versucht, weil man nicht mehr zurück will, nachdem man einmal diesen Schwindel verspürt hat. Man will nicht mehr zurück, weil dort wirklich die Erfüllung des Herzens liegt. Alles andere ist nur langweilig, weil es ohne diese Fülle ist, und nur ein trügerisches Abbild von etwas, das unerreichbar ist. Danke, dass du mir ermöglicht hast, etwas zu erkennen, was in Wirklichkeit schon in mir vorhanden war, aber ohne dass ich ihm einen Namen und eine Gestalt zuordnen konnte. Wie auch ich, suchen viele mühsam beim Psychotherapeuten eine Selbsterkenntnis, die eigentlich schon da ist, einfach und klar, und außerdem noch kostenlos. Ich habe meinem Therapeuten gesagt, als er sich sehr zufrieden über meine „Fortschritte“ geäußert hat: «Mir wird auch von anderen geholfen. Und diese Hilfe wage ich als die intensivere zu bezeichnen». Es ist mir nun unmöglich, nicht von diesem Weg fasziniert zu sein.
Barbara

Abendessen der Hausgemeinschaft
Wir hatten schon lange vor, ein Zusammensein mit den anderen Bewohnern unseres Mehrparteienhauses zu veranstalten (Ich wohne in einem Haus der Memores Domini). Den günstigen Moment hierzu gab dann ein Aushang mit der Einladung zu einer Hausversammlung. Also haben wir beschlossen: Wir schlagen ein Hausfest mit Grillen und Singen vor. Wir hingen also einen freundlichen Zettel auf, und luden alle in unserer Wohnung statt auf den Hof ein, zumal es nach Regen aussah. Von zwölf Wohnungen haben sich zehn angemeldet (vier davon bewohnen wir), und außerdem hatten wir noch die Bewohner des Hauses gegenüber dazu gebeten. Insgesamt kamen wir auf dreißig Personen, darunter einige Angehörige „sozialer Randgruppen“. Wir gehörten natürlich am deutlichsten zu einer „Randgruppe“, mit acht Männern in derselben Wohnung. Aber das ganze restliche Haus besteht aus einem Geflecht von getrennt lebenden Menschen, die zum Teil sogar auf dem gleichen Stockwerk wohnen. Kirchlich getraute Paare waren nur zwei dabei. Das Abendessen war ganz einfach, so einfach, dass wir uns „ganz wie zu Hause“ fühlten. Daher sprachen wir zu Beginn ein Tischgebet und sangen Lieder, die wir sonst auch zum Feiern singen. Wir hatten nicht die Sorge, den Vorschlag zu „verwässern“, obwohl wir nichts Bestimmtes geplant hatten. Es war schön zu sehen, wie dreißig Personen zum Lied Pim Pam rhythmisch aufsprangen und sich wieder setzten, oder zu I Coccodrilli gestikulierten. Als Peppe Luntane cchiù luntane anstimmte, gab es etwas Gerede im Hintergrund. Daraufhin hörte er auf zu singen und sagte: «Dieses Lied ist es wert, dass man zuhört und gut singt, denn es spricht vom Herzen. Unser lieber Freund Don Giussani hat darüber gesagt: „Dieses Lied sagt euch, dass ihr auf das Herz achten müsst“». Und hörten alle aufmerksam zu.
Zum Schluss beteten wir das Memorare, nachdem Mario erklärt hatte, dass der, der auf die Gottesmutter vertraut, nicht betrogen wird. Auch das nächste Zusammensein haben wir schon verabredet: für kurz vor Weihnachten.
Carlo sagte: «Ich danke euch, aber nicht fürs Grillen. Wenn ich hierher komme (er war das zweite Mal da), stellt ihr mich auf eine harte Probe». Wir alle waren beeindruckt. Zuerst einmal wir vom Haus der Memores Domini, denn es war offensichtlich, dass ein Anderer diese dreißig Leute zusammen hielt, und nicht unsere Leistung und unser Organisationstalent. Zuerst fragte ich mich: «Wie schaffen es dreißig Hausbewohner, so zusammen zu sein?» Und dann, wenige Tage später: «Und wer hält uns hier, im Haus der Memores, zusammen?» Zwischen mir und jenem Mitbewohner Carlo gibt es keinen Unterschied: Wenn einem etwas Schönes widerfährt, das einem entspricht, dann kann man sich nicht wehren, sondern das Wahre durchbricht sofort die Abwehr. Und deine Lebensumstände, ob Randgruppe oder nicht, tun nichts dazu. Dann ist deine Freiheit gefragt: Folgst du dieser Tatsache oder verdrehst du die Methode und beginnst, dich selbst zu rechtfertigen («Das ist so schön, dass es unmöglich dauerhaft sein kann.»). Ich habe herausgefunden: Das Abenteuer des Lebens besteht darin, den kennen zu lernen, der diese Schönheit möglich macht. «Quaerere Deum», wie der Papst es gesagt hat.
Paolo, Montesilvano

Die Wirklichkeit leben
Lieber Don Carrón,
die Ferien sind für mich eine besondere Gelegenheit, eine Fülle der Erfahrung und Gemeinschaft zu erleben. Das galt besonders für die Zeit, die ich mit meinen Freunden der Fraternität auf dem Meeting verbracht habe. Aber seitdem war ich in einer Art Wartezustand und bat darum, dass diese Erfahrung fortdauern möge in der Arbeit, in der Familie, in der Alltäglichkeit. Denn es zeigte sich ein ganz offensichtliches Missverhältnis. Alles war wie ausgetrocknet. Was fehlte in der Arbeit? Am ersten Tag hast Du uns vor eine Herausforderung gestellt, als Du vom Seminar der Gemeinschaft sprachst. Du sagtest, dass es immer ein Vergleich mit der Wirklichkeit und der Erfahrung, die wir machen, sein müsse. Nach 25 Jahren habe ich tatsächlich entdeckt, dass das, was mir fehlte, die wirkliche Arbeit am Seminar der Gemeinschaft war. Nicht, dass ich nie daran teilgenommen hätte, aber teilnehmend sprach ich doch über das, was Don Giussani sagte. Diese Woche kam ich zu einer Kundin, bei der ich eine alte Rechnung einzutreiben hatte, entschieden, das herauszuholen, was sie schuldete. Aber als ich dann bei ihr war, ihr in die Augen sah und zuhörte, wie sie erzählte von den Wechselfällen des Lebens (der Betrieb musste umziehen, gleichzeitig wurde ihr Mann krank und starb, die dadurch bedingte Abwesenheit von der Arbeit, die Konjunktur, einige Spekulanten), die den Betrieb in die Krise gebracht hatten, da überraschte ich mich dabei, wie ich sie mit leidenschaftlichem Mitgefühl ansah, wie es Christus gehabt haben muss angesichts der Witwe von Nain, die ihren Sohn verloren hatte. Und das obwohl ich mit ganz anderen Beweggründen gekommen war. Mir wurde im Herzen klar: Es ist mehr im Spiel, da ist mehr und ich konnte nicht mehr nur einen Teil von ihr betrachten. Also konnte ich nicht anders, als bei dieser Ergriffenheit stehen zu bleiben und im Gehorsam gegenüber meinem Herzen mit ihr die Modalitäten ihrer Verpflichtungen neu zu verhandeln. Welches Urteil hat mir erlaubt, mich in dieser Sache anders zu verhalten? Das Gedächtnis dessen, was Du uns als Letztes immer sagst: in der Wirklichkeit erfahren wir, wer Christus ist, indem wir in den Augen und im Herzen diese Barmherzigkeit wahrnehmen, die herabkam, um mein Nichts zu umarmen. Wenn wir so leben wandelt sich auch das, was augenscheinlich verdorrt ist, und wir erbauen dort, wo wir sind, ein Stück verwandelter Menschheit, die Kirche.
Franco, Abbiategrasso

Die Bedeutung der Weggemeinschaft
Wer in einer deutschen Pfarrgemeinde aufwächst, weiß, dass es an intelligenten Strategien und Konzepten nicht mangelt, die Menschen wieder in die Kirchen zu bekommen. Und dank Bertelsmann- und Sinusstudien wissen wir alles über die verschiedenen Glaubenstypen und -ausprägungen. Wir denken darüber nach, wie wir von Punkt A nach Punkt B kommen, wie wir beispielsweise Pfarreigemeinschaften bilden, aber Seine Gegenwart ist davon doch irgendwie getrennt und bleibt abstrakt.
Die Wirklichkeit ist nicht mehr die Grundlage einer Erfahrung Seiner Umarmung, Seiner Gegenwart, Seines Rufes. Unser Denken, Interpretieren und Tun steht immer schon am Anfang, statt an zweiter Stelle zu stehen.
In diesem Zusammenhang war es mir ein Herzenswunsch in unserer Gemeinde in Dettelbach das neue Buch von Giussani Kann man so leben? vorzustellen. Nach der Einführung von Martin Groos und Andreas Centner ergab sich ein sehr intensiver und engagierter Dialog unter den 20-25 Zuhörern. Das Schöne war, dass es keine theoretische Diskussion war, sondern ein Vergleich des Vorgetragenen mit der eigenen Lebenssituation. Es war wie ein gutes Seminar der Gemeinschaft.
Auch als der Pfarrer zum Schlussmachen drängte, wurde weiter diskutiert und wir standen noch lange beisammen. Und nach der darauffolgenden Sonntagsmesse wurde ich angesprochen, wann wir uns denn zum nächsten Mal treffen werden.
Der Abend war für mich persönlich eine große Freude, denn mir wurde klar, wie wichtig auch für andere in der Gemeinde die Begleitung in einer Weggemeinschaft ist und wie jeder, der sein Leben ernst nimmt, auf der Suche nach einer Entsprechung ist. Außerdem war es ein großer Moment der Dankbarkeit gegenüber Martin und Andreas, die mich schon seit langem auf diesem Weg begleiten und ohne deren „Ja“ all dies und auch meine Geschichte so nicht möglich gewesen wären.
Adolf Diefenhardt, Dettelbach