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CL / Abenteuer Freiheit
Der Weg zur Freiheit führt über die Erfahrung
Christoph Scholz

Zum diesjährigen Eröffnungstag trafen sich am ersten Novemberwochenende rund 500 Mitglieder von CL aus Deutschland, Österreich und der Schweiz in München. In diesem Jahr kam auch der Leiter der Bewegung, Don Julián Carrón. Er beharrte auf der Bedeutung des Seminars der Gemeinschaft als Weg zu einer persönlichen Reife im Leben. Die Eröffnungsmesse in der Bürgersaalkirche hielt der Münchner Erzbischof Reinhard Marx.

Es hätte kaum einen besseren Ort geben können für den Gottesdienst zum diesjährigen Eröffnungstag als die Kirche über dem Grab des seligen Pater Rupert Mayer in München. Der Volksmissionar trat unerschrocken für die Freiheit des öffentlich gelebten Glaubens im Kulturkampf ein und war Mitglied des katholischen Widerstandes während der NS-Zeit. „Ein Zeuge der Freiheit in Zeiten der Unfreiheit“, wie Münchens Erzbischof Reinhard Marx während der Eröffnungsmesse betonte. Und dabei verwies er auch auf den inneren Zusammenhang mit dem Thema des Treffens: «Das Abenteuer der Freiheit».

Marx hatte der Einladung von CL spontan zugesagt, ein Ausdruck seiner Sympathie für die Erfahrung von Comunione e Liberazione. Und diese Sympathie konnte er in der Münchner vollbesetzten Bürgersaalkirche auch unmittelbar Don Julián Carrón bekunden, der aus Mailand als Gast in die bayerische Hauptstadt gekommen war. «Mit Carrón ist die ganze Bewegung zugegen, denn er ist uns Meister, Lehrer, Vater und Freund», unterstrich Pfarrer Romano Christen, der Verantwortliche für die Bewegung in Deutschland zur Begrüßung.

Als der Gründer von CL, Don Luigi Giussani, die damals noch kleine Gemeinschaft 1987 besuchte, fand das Treffen in Altötting statt, dem bekanntesten deutschen Wallfahrtsort. Seitdem ist die Bewegung beträchtlich gewachsen. Zum diesjährigen Eröffnungstag füllten Teilnehmer aus allen Teilen der Bundesrepublik das Barocke Gotteshaus in der Neuhauser Straße im Herzen Münchens: aus Bremen, Köln, Karlsruhe, Stuttgart, Heidelberg, Freiburg, Dresden, Leipzig, Würzburg, Eichstätt und vielen weiteren Orten. Und es kamen auch rund 35 Studenten aus Wien sowie eine größere Gruppe von Deutsch-Schweizern.

Unter den zahlreichen Jugendlichen waren nicht wenige, deren Eltern zur „ersten Generation“ der „Ciellini“ in Deutschland gehören. Josef Clavería, der Leiter der Bewegung in Österreich, erinnerte an die Ursprünge von „Gemeinschaft und Befreiung“ im deutschsprachigen Raum; an jene «Hausgemeinschaft aus lebendigen Steinen» in Freiburg, wo alles seinen Anfang nahm. Der inzwischen verstorbene Erzbischof Oskar Saier hatte 1979 vier Mailänder Studenten ein Stipendium gegeben, um der Erfahrung von CL in seinem Erzbistum Raum zu geben. In Österreich breitete sich die Erfahrung dann einige Jahre später aus. Nun kamen knapp 500 Mitglieder aller Altersgruppen.
«Was mich in diesen Tagen beeindruckt hat, war dieses Volk zu sehen, das unterwegs ist», resümierte Clavería seine Eindrücke. Und er fragte, «wie dies möglich ist in einem Europa, in dem die geistige Wüste wächst?» – «Weder durch Aktivitäten oder Projekte noch durch eine Organisation – obgleich die Deutschen dies so sehr liebe», wie er augenzwinkernd hinzufügte. Nein, es ist möglich durch das Wirken eines Anderen. Augenfälligstes Zeichen dieses Wirkens war die Tatsache selbst dieser gemeinsam verlebten zwei Tage, die Lebensgeschichten und Freundschaften derer, die teilnahmen.

Wie wenig selbstverständlich und zugleich wie aktuell die Erfahrung von Comunione e Liberazione für die ganze Kirche ist, machte Marx deutlich. «Die Freiheit ist das große Thema der Neuzeit, denn sie entspricht der Sehnsucht des Menschen». Allerdings gelinge es der Kirche zu wenig, deutlich zu machen, «dass wir die wahren Hüter der Freiheit sind», so der Erzbischof. Dabei erinnerte er sowohl an den Besuch von Papst Johannes Paul II. am Brandenburger Tor und dessen Rede über die Freiheit nach dem Zusammenbruch des Kommunismus und dem Fall der Berliner Mauer, als auch daran, «dass die Freiheit nur in der Communio möglich ist» – und berührte er der Kern der Erfahrung von CL.

Mit Karl Marx, dem Theoretiker des Kommunismus verbindet den Kirchenmann übrigens nicht nur der Name und sein erster Bischofssitz: Trier, der Geburtsort von Karl Marx. In diesen Tagen erschien auch ein Werk des Professors für Christliche Gesellschaftslehre mit dem Titel Das Kapital. Das Thema: Die Bedeutung der katholischen Soziallehre in Zeiten des Kapitalismus.

Die Zusammenkunft mit Carrón fand im Münchner Künstlerhaus statt, dort wo einst Malerfürsten wie Franz von Lenbach, Fritz August Kaulbach und Franz von Stuck um die Wende zum 20. Jahrhundert ihre Feste gaben. Im Gegensatz zur verfeinerten Opulenz des Ambientes, ging es Carrón in den beiden Versammlungen allerdings um Grundlegendes. Kein Zuckergebäck, sondern Schwarzbrot.

Dabei wurde vor allem eines deutlich: Seine Leidenschaft für die Freiheit und Reife der einzelnen Person. Die Grundbotschaft war so einfach wie unmissverständlich: Nur die Befolgung einer Methode, wie sie uns Don Giussani mit dem Seminar der Gemeinschaft an die Hand gegeben hat, ermöglicht es, wirklich Schritte im Leben zu gehen. Nur so erlangt man mit der Zeit eine Gewissheit, die es erlaubt, eine reife Persönlichkeit zu entwickeln. Ansonsten schlägt man sich mit Folgeproblemen herum und tritt bei allem guten Willen auf der Stelle. Das könne auch denen passieren, die seit Jahrzehnten bei der Bewegung sind, betonte Carrón: «Es gibt Leute, die können Giussani von A bis Z herunterbeten, ohne etwas verstanden zu haben. Ob jemand etwas verstanden hat, sieht man daran, wie er über das Leben spricht». Für ihn selbst habe die Begegnung mit Giussani vor allem die Möglichkeit eröffnet, «Schritte im Leben zu gehen», sagte Carrón.
Ausgangspunkt der Methode – dies wurde schon in der Form der Antworten deutlich – ist keine neue Theorie über das Leben, keine Regel oder Gebrauchsanweisung, sondern allein eine Aufrichtigkeit gegenüber dem, was mir in der Wirklichkeit täglich wiederfährt, also gegenüber der eigenen Erfahrung. Hieraus erwächst ein Urteil, das sich aus dem Vergleich zwischen der Erfahrung und den eigenen Grundbedürfnissen ergibt. Nur so kann ich mit Gewissheit erkennen, was meinem Wunsch nach Glück und Erfüllung entspricht, der meinem Herz von Natur aus innewohnt. Was Liebe bedeutet, wird nicht durch eine Theorie vermittelt, sondern nur das Erleben des Verliebtseins, hob Carrón hervor. Und ebenso kann ich nur im Raum der Wirklichkeit jene unvergleichliche Erfüllung erfahren, die sich mir in der Begegnung mit Christus mitteilt. Oder um das Beispiel mit dem Wein zu zitieren: Wer den besten Wein gefunden hat, dem schmeckt hernach kein anderer mehr. Auch Christus forderte seine eigenen Jünger zu diesem Urteil, zu diesem Vergleich heraus, betonte Carrón. Nämlich als er sie etwa fragte «…wollt auch ihr gehen…» – nachdem ihn die Menschenmenge verlassen hatte.

Die Erfahrungsbericht und Fragen der Teilnehmer reflektierten sowohl die Vielfalt des Lebens der Bewegung, wie den persönlichen Wunsch, in der Freiheit und Erfüllung zu wachsen. Der Münchner Student Thomas Mack berichtete etwa von den Studentenferien am Meeting, und den dort gehörten Zeugnissen: Von der Aids-kranken Vicky aus Uganda und den italienischen Gefangenen, die sich durch einen anderen Strafvollzug wieder in ihre menschliche Würde wahrnehmen. Wie aber ist es möglich, dass die Faszination angesichts solcher Zeugen anhält? Wie kann das geweckte Interesse am Leben bestand gewinnen?, fragte Mack.
Hier mahnte Carrón, das ernst zu nehmen, was man mit den Ohren gehört, mit den Augen gesehen und mit Händen berührt hat: «Was wahr ist, ist auch dann wahr, wenn ich wieder allein bin, wenn ich traurig bin oder wenn ich einsam bin…» – und das ist eine Frage der Vernunft, des Urteils. «Das Christsein ist keine Überlegung, kein Gefühl und keine Einbildung, sondern die Teilnahme an einem Gegenwärtigen Ereignis». – «In unseren Händen die Texte, in unseren Augen die Fakten», fasste Carrón die Methode mit den Worten des heiligen Augustinus zusammen.

Von solchen Fakten in der deutschen Geschichte handelte der Abend: Ein multimedialer Vortrag ausgewählter Zeugnisse vom irischen Mönch Columban über den Heiligen Bonifatius, den Apostel der Deutschen, bis zu jenen Zeugen, die der Liebe Christi auch unter der Schreckensherrschaft der Nazis die Treue hielten. Am Ende standen die Worte von Papst Benedikt XVI. bei der ersten Audienz für deutsche Pilger nach seiner Wahl: Christus «zeigt uns den Weg zum Großen, zum Guten, zum richtigen Menschenleben». Möglich wird dies durch Zeugen. Denn «im Fleisch des Zeugen begegne ich Christus», so Carrón.

Als Dank für seinen Besuch erhielt Carrón einen Korb mit bayerischer „Brotzeit“: Bier, Brezeln und Würste. «Wir gehören keiner Religion an, die das Bier verbietet, sondern einer, die das Bier sogar braut», pries Mack das Geschenk an. Allerdings fügte er auch eine Warnung an den Gast aus Mailand: «Das Münchner Bier ist so gut, dass einem danach kein anderes Bier mehr schmeckt».