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Don Johannes Bosco
Ein Heiliger unter Jugendlichen
Paola Bergamini

Er hat Oratorien, Schulen und Ausbildungsstätten errichtet. Es waren Orte der Erziehung, die es Tausenden von junger Menschen ermöglichten, dem Christentum zu begegnen. Denn dies ist der einzige Weg, um „die eigene Würde zu entdecken und zu verwirklichen“. Das gilt damals wie heute.

Wir leben in einem vielfach von Unsicherheit geprägten äußeren Umfeld: Wirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit, Bildungsnotstand. Gerade deswegen sticht das Zeugnis von Menschen hervor, die den christlichen Glauben als lebendiges Faktum erfahren. In ihnen zeigt sich die einzige Antwort auf die wirklichen Bedürfnisse des Menschen. Der Herr schenkt seiner Kirche zu jeder Zeit Menschen, die durch ihr Handeln, vor allem aber durch ihre Persönlichkeit sichtbar machen, dass eine solche verändernde Antwort möglich ist. Aus diesem Grund beginnen wir in dieser Ausgabe von Spuren eine Reihe über Heilige. Sie alle haben in schwierigen sozialen Zeiten eine neue Form von Menschlichkeit hervorgebracht, wobei sie die Mittel zu Hilfe nahmen, die ihnen die Wirklichkeit bot. Sie legten gleichsam beherzt Hand an und gründeten Werke, die noch heute Vorbild sind.
Wir beginnen mit Don Johannes Bosco, dem bedeutenden Erzieher. Vor 150 Jahren nahm er sich den damals ausgegrenzten Jugendlichen an und verhalf ihnen zu einem bewusst gelebten Glauben, das heißt zum wahren Menschensein. Er tat dies in der Begegnung und im Umgang mit ihnen.
Turin, 8. Dezember 1841. In der Sakristei der Kirche Sankt Franziskus bereitet sich der Priester auf die Messfeier vor. Auf einmal hört er, wie der Mesner einen Jungen anherrscht: »Was machst du hier, wenn du nicht mal fähig bist, richtig zu ministrieren? Hau ab, sonst setzt es was!« Der Priester eilt herbei und schaltet sich ein: »Lassen Sie den Jungen in Ruhe, er ist mein Freund!« Dann wendet er sich dem Jugendlichen zu: »Komm und nimm an der Messe teil. Danach treffen wir uns hier.« Nach der Feier zeigt sich der Junge schweigsam an der Schwelle der Sakristei. »Komm rein. Wie alt bist du? Woher kommst du?« – »Ich bin 16 Jahre alt, bin aus Asti. Ich bin Maurer.« »Und deine Eltern?« – »Sind tot.« »Kannst du lesen und schreiben?« »Nein.« »Warst du bei der ersten heiligen Kommunion?« »Nein.« »Gehst du zum Kommunionunterricht?« »Ich schäme mich. Da sind die Kleinen – die sind viel jünger und können schon auf die Fragen antworten.« » Würdest du kommen, wenn ich nur für dich Unterricht geben würde?« »Ja.« »Dann lass uns gleich beginnen wir. Knie dich hin und sprich ein Ave Maria.« Als Don Bosco sich nach dem Gebet bekreuzigt, versucht der Junge, es irgendwie nachzumachen. Der Priester merkt es. »Ich bring es dir bei. Im Namen des Vaters ... Weißt du, warum wir Gott Vater nennen?« »Nein.« »Weil ... «. »Bitte nicht auf Italienisch ... ich kann es nicht verstehen.« Der Priester lächelt und setzt die Erklärung im Dialekt fort. Am Ende sagt er: »Ich erwarte dich am Sonntag. Und bring deine Freunde mit.« Der 26 Jahre junge Priester betrachtet den Jungen beim Weggehen. »Man muss was für die Jungen tun – unmittelbar. Sie müssen Gott begegnen, um ihre Würde zu entdecken und zu verwirklichen. Ich muss bei ihnen sein«, denkt Don Bosco. Damals wie heute kommt es jenseits aller soziologischen Analysen auf eine Beziehung an, die die Dimension des Unendlichen in sich trägt.

Wölfe mit angsterfüllten Augen.
Don Bosco ist erst vor kurzem in die Hauptstadt des savoyischen Staates gekommen. Er stammt aus bescheidenen Verhältnissen, hat aber von seiner Mutter Margherita eine gediegene religiöse Erziehung erfahren. Er weiß, was Armut bedeutet. Doch hier in der Stadt trifft er auf ein größeres Elend als in seiner ländlichen Heimat um Asti. Inzwischen lebt er schon seit einigen Monaten im Priesterseminar, wo Don Giuseppe Cafasso 45 Kandidaten darauf vorbereitet, »Priester der Zeit und der Gesellschaft zu werden, in der sie einmal leben werden«.
Die industrielle Revolution hat unzählige Menschen vom Land in die Stadt gezogen. Turin erlebt eine grundlegende soziale Umwälzung. Binnen kurzer Zeit steigt die Bevölkerungszahl um 17 Prozent. Vor allem arme Leute zieht es in die Fabriken. Sie leben zusammengepfercht in Hinterhöfen und Spelunken. Unter ihnen sind viele Jugendliche ohne eigenes Zuhause. Ihre Eltern haben sie entfernten Verwandten anvertraut oder direkt den Arbeitgebern übergeben, die sie schamlos ausbeuten. Don Bosco sieht sie in der Stadt herumziehen. Für ihn sind sie »Wölfe, in deren Augen sich Angst spiegelt«. Und er trifft sie in den Gefängnissen, wenn er Don Cafasso begleitet. In ihm wächst die Überzeugung: Sie brauchen Schule, menschenwürdige Arbeit ... und vor allem einen Ort, wo sie Jugendliche sein können. Es ist dieselbe Situation wie heute in vielen Städten. Drei Tage nach jenem 8. Dezember kommt der Maurerlehrling mit neun Freunden zurück. Am darauffolgenden Sonntag sind es 25. Die Gruppe wächst von Tag zu Tag.
Unter der Woche besucht Don Bosco die Jugendlichen an ihren Arbeitsplätzen. Er klettert auf Baugerüste und steigt in dunkle Werkstätten hinab. Am Sonntag sammelt er sie um sich, zum Gebet, zum Spiel, zum Scherzen … Wenn es die Zeit erlaubt, besucht er mit ihnen Marienheiligtümer. Er lernt jeden einzelnen genau kennen. So bekommen die Jugendlichen – ohne sich dessen bewusst zu sein – Geschmack an der wahren Freude: die Freude der christlichen Hoffnung, die Freude, sich in den Händen Gottes geborgen zu wissen. Der Sonntag mit Don Bosco ist aber nicht irgendein Einschub in einem ansonsten tristen Leben. Der heiligmäßige Mann erreicht sie in ihrem Innersten. Sie haben nichts und doch alles.

Eine neue Menschlichkeit.
Im Jahre 1844 gelingt es Don Bosco dank der Markgräfin Barolo, zwei Räume und eine Kapelle für seine Jugendlichen zu organisieren. Die Räumlichkeiten erhalten den Namen Oratorium des heiligen Franz von Sales. Denn die Markgräfin lässt ein Bild des Heiligen am Eingang malen. Don Bosco nennt in seinen Aufzeichnungen einen weiteren Grund für den Namen: »Unsere Aufgabe erforderte Ruhe und Sanftmut: Deshalb stellten wir uns unter den Schutz des heiligen Franz von Sales, damit er für uns seine Sanftheit beim Herrn erbittet.« Don Boscos Jugendlichen fehlt es an Kleidern, an Büchern und nicht selten auch am Brot. Deshalb bittet er die wohlhabenden Familien der Stadt um eine Gabe. »Die Liebe rühmt sich nicht, sie bläht sich nicht auf. ...«. Don Bosco unterrichtet seine nahezu analphabetischen Jugendlichen über den Kommunionunterricht hinaus. Zugleich mahnt der die Arbeitgeber, die Verträge einzuhalten, vor allem aber die Schutzbefohlenen nicht zu misshandeln. Nach mehreren Widrigkeiten und Umzügen siedelt Don Bosco 1846 schließlich in das Stadtviertel Valdocco über, wo er ein heruntergekommenes Haus mit einem größeren Grundstück anmietet. Er bittet seine Mutter Margherita, ihm beizustehen, um den inzwischen mehr als 500 Jugendlichen eine Mutter zu sein. Doch 500 sind für ihn immer noch wenig angesichts der Armut und Not, die in Turin unter der Jugend herrschen. Über Geld verfügen Don Bosco und die Seinen nicht. Doch kommt ihnen die Vorsehung stets zu Hilfe. In jener Zeit herrschte ein antichristliches, vor allem antiklerikales Klima in Norditalien. Ja man wird sogar versuchen, Don Bosco zu töten. Dieser aber zeigt mit den wenigen Mitteln, die er hat, dass es nur einen Weg zum Glück und zur Bildung einer neuen Menschlichkeit gibt: die Liebe, die Liebe zu Christus. Dadurch werden menschlich gesehen unmögliche Werke möglich.

Werkstätten und Schulen.
Innerhalb weniger Jahre ruft Don Bosco mit Hilfe seiner Jugendlichen, die inzwischen teilweise schon seinen Mitarbeiter sind, weitere Oratorien ins Leben, in und außerhalb der Stadt. Er eröffnet ein Waisenhaus, errichtet eine neue Kirche und erhält vom Innenminister eine Unterstützung für das Oratorium. Der Geistliche nutzt für sein Werk alle Mittel, die ihm zur Verfügung stehen. Er schreibt Bücher und gründet die zweiwöchentliche Zeitschrift Freund der Jugend. 1853 weiht er die beiden ersten Werkstätten für die Berufsausbildung ein: eine Schuhmacherei und eine Schneiderei. Es folgen die Bildungsstätten für Buchbinder und Tischler. Zwei Jahre später entsteht eine eigene Schule. Die ersten Lehrer sind Jungen, die Don Bosco in der Spelunke von Valdocco aufgenommen hatte. Viele werden Priester. Wer ihn fragt, wie ihm diese »großen Werke« gelungen seien, dem antwortet er: »Ich habe überhaupt nichts gemacht. Die Muttergottes hat alles getan.«
Viele wollen wissen, was denn sein Erziehungs- oder Bildungs-System sei. Doch es gibt keine am Schreibtisch ausgearbeitete Theorie. Don Bosco hat sich seiner Jugendlichen so angenommen, wie er selbst von einem Anderen angenommen wurde. Das System beruht für ihn auf drei Begriffen: Vernunft, Religion, liebevoller Umgang. Vor allem aber stützt es sich »auf die Worte des heiligen Paulus, der da sagt: „Die Liebe ist sanftmütig und geduldig; sie erträgt alles, sie hofft alles und hält allem stand.“ Deshalb kann nur der Christ dieses System erfolgreich anwenden.« Eine Lektion für die Vertreter des Laizismus.
Dieses System bringt noch weitere Werke hervor: die Kongregation der Salesianer Don Boscos, das Heiligtum Maria von der immerwährenden Hilfe, die Kongregation der Töchter Mariens von der immerwährenden Hilfe, die ersten Salesianer-Missionare.
Don Bosco stirbt am 31. Januar 1888. Drei Jahre zuvor wurde er in Rom in einem Interview des Journal de Rome gefragt: Was denken Sie über die aktuellen Verhältnisse der Kirche in Europa und in Italien und über ihre Zukunft? Er antwortete: »Niemand außer Gott kennt die Zukunft. Dennoch steht menschlich gesprochen zu fürchten, dass die Zukunft schlimm sein wird. Meine Aussichten sind sehr traurig, aber ich fürchte nichts. Gott wird Seine Kirche stets retten. Und die Gottesmutter, die die gegenwärtige Welt auf sichtbare Weise beschützt, wird Rettergestalten hervorbringen.«

Ein möglicher Umbruch
Welche Wesenszüge waren für Don Bosco charakteristisch? Vor allem eine schlichte Fähigkeit, die konkrete Wirklichkeit zu bejahen. Dann sein Vermögen, die Bestimmung des eigenen Lebens zu lieben. Eine solche Liebe vereinigt Personen und Dinge in der gleichen Bestimmung und erweist sich als unermesslich fruchtbar. Schließlich kennzeichnet ihn eine Freude, die bereits in dieser Welt die Dimension des Ewigen aufscheinen lässt.