Logo Tracce


Geschichte des Christentums
Der Angriff der Puristen
Giuseppe Bolis

In der Geschichte des Christentums gab es immer wieder dunkle Zeiten. Wie im 4. Jahrhundert, als sich Bischof Donatus von der Kirche loslösen wollte, weil diese (auch) aus Sündern bestand. Dabei vergaß er, dass Christus gerade dort gegenwärtig wird. Pater NELLO CIPRIANI, Theologe am Augustinianum, erläutert, was wir aus dieser Episode lernen können.

In der Kirche hat es immer menschliche Schwächen und „Schmutz“ gegeben. Angefangen bei Petrus und Judas. Zugleich gab es aber stets und erst recht die Erfahrung, dass die Gnade obsiegt. Zuweilen nahm diese Spannung dramatische Züge an. Zum Beispiel im 4. Jahrhundert in Nordafrika. Damals standen dort die christlichen Gemeinschaften in voller Blüte und brachten zahlreiche Zeugen hervor: Die wichtigsten Märtyrer der ersten Jahrhunderte stammten von dort. Doch kam es zugleich zu einem der schwersten Konflikte in der Geschichte des Christentums: das donatistische Schisma.
Wir haben dazu Pater Nello Cipriani, Theologieprofessor am Augustinianum in Rom und Augustinus-Experte, befragt.

Was war der Donatismus?

Der Donatismus war eine schismatische Bewegung, die zwischen dem 4. und 5. Jahrhundert im heutigen Nordwestafrika zu einer Kirchenspaltung führte. Ihr Name leitet sich von Donatus ab, der zwar nicht der eigentliche Gründer der Bewegung war, dafür aber deren Galionsfigur, zumindest am Anfang.

Worum ging es bei dieser Auseinandersetzung?

Es ging um eine puristische und eine traditionelle Auffassung der Kirche. Alles begann Ende der letzten großen Christenverfolgung unter Diokletian (303−304), die zu vielen und schmerzlichen Verlusten in der Kirche führte. Als die Religionsfreiheit wieder eingeführt war und die Christen nach dem Mailänder Edikt (313) sogar in den Genuss von Privilegien kamen, baten viele der „Traditores“ (jene, die den Glauben in der Verfolgung verraten hatten) darum, erneut in den Schoß der Kirche aufgenommen zu werden. Die Puristen, die auch im Leid kirchentreu geblieben waren, sprachen ihnen diese Möglichkeit ab und verlangten für sie eine neue Taufe. Für die „katholische“ Kirche war dies aufgrund ihrer langen Tradition und der Überzeugung, dass die Taufe einen Christen ein für allemal und unabhängig von dessen moralisch konsequentem Handeln zeichnet, nicht erforderlich.

Die Auseinandersetzung griff von der Kirche auch auf die Politik über …

Ja. Die Donatistenfrage wurde zum Schlachtruf einer gewaltbereiten Gruppierung, gleichsam fundamentalistische „Terroristen“ des 4. Jahrhunderts, den sogenannten Circumcellionen. Diese nahmen die innerkirchlichen Spaltungen zum Vorwand für soziale Revolten und beispiellose Grausamkeit, so dass Augustinus zornig schrieb: „Ihre Gewalt hatte sich in ganz Afrika ausgebreitet, und alle und jeder fürchteten ihre brutalen Angriffe, ihre Diebeszüge, Überfälle auf Reisende, Raubmorde, Brandschatzungen, Verwüstungen aller Art und die von ihnen verübten Massaker.“

Was tat Augustinus unter diesen dramatischen Umständen?

Er suchte vor allem den Dialog, in der Überzeugung, dass die Vernunft jegliche Spaltung verhindern könne. Dann musste er aber wohl oder übel feststellen, dass das Schisma unausweichlich war, weil die Donatisten daraus eine Frage des Nationalstolzes machten und in eine religiöse Ideologie abdrifteten. Augustinus stellte sich ihnen entschlossen entgegen und zeigte vom christlichen Standpunkt her die inhaltlichen und methodologischen Irrtümer auf. Dabei blieb er stets offen für Versöhnung, erst recht nachdem die Donatisten anlässlich des Streitgesprächs von Karthago im Jahr 411 verurteilt und ausgeschlossen wurden.

Bei einer Sünde, besondern in schweren und skandalösen Fällen, tendiert man immer zur kategorischen Trennung von Gut und Böse. Wie hat sich Augustinus verhalten, und welche Methode wandte er an?

Die Donatisten hatten sich von der Kirche abgegrenzt, weil sie der Ansicht waren, die Guten dürften nicht Seite an Seite mit den Sündern leben, weil sie sonst selbst zu Sündern würden. Augustinus hat sich stets gegen diese schismatische Logik gestellt. Im Lichte des Evangeliums sieht er die Kirche als ein Feld, auf dem der Bauer guten Samen aussät, der Feind des Nachts aber heimlich Unkraut dazwischen streut. Die Feldarbeiter möchten, dass der Bauer ihnen erlaubt, sofort einzugreifen und das Unkraut zu tilgen. Doch dieser wehrt ab, denn er behauptet, dass beim Ausreißen des Unkrauts auch der gute Samen verlustig geht. Lieber lässt er das gute Korn neben dem Unkraut wachsen bis zur Ernte. Dann wird er die beiden endgültig aussortieren. Bildlich ist damit gemeint, dass die Kirche das Feld ist, auf dem Gott mit seinen Dienern durch die Predigt des Wortes und die Sakramente guten Samen ausstreut. In der Kirche sät der Teufel aber seinerseits Böses, die Sünder. Doch Gott ist geduldig mit allen. Er will nicht, dass die Sünder verloren gehen, sondern sich bekehren und leben. Daher rief Augustinus die Gläubigen zu Toleranz auf, zu Geduld und zum Gebet für ihre Bekehrung, in der Gewissheit, dass „die Guten nicht durch die Bösen zu Schaden kommen werden, entweder weil sie sie nicht kennen oder weil sie sie aus Friedensliebe dulden, in Erwartung der Wiederkunft Christi, der den Weizen von der Spreu trennen wird.“ (Wider den Brief des Parmenianus II, 6, 11)


Der eigentliche Kern der Kontroverse betraf allerdings die Natur der Kirche: Welche Kirche war die richtige? Es ging um die Frage, ob nur die moralische Integrität ihrer Mitglieder der Kirche Autorität verleiht?

Die echte Kirche ist dort, wo der auferstandene Christus mit seinem Geiste gegenwärtig ist. Er hat den Jüngern versprochen: „Ich werde bei euch sein bis zum Ende der Welt.“ Christus sagte zu Petrus, der ihm gegenüber seinen Glauben an ihn beteuert hatte: „Du bist Petrus und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen und die Mächte der Unterwelt werden sie nicht überwältigen.“ Man kann die Kirche nicht verstehen, wenn man nicht von dieser unsichtbaren aber ganz konkreten Gegenwart Christi in ihr ausgeht. Die Kirche hat in den vergangenen Jahrhunderten noch schlimmere Zeiten erlebt als die heutigen, und sie hat sich immer wieder aufgerichtet, weil Christus sie nicht fallen lässt und sie immer wieder mit seinem Geist erneuert. Augustinus hatte diesen unerschütterlichen Glauben an Christus und an die Kirche. Im Übrigen, wer die Wahrheit wirklich liebt, kann mühelos feststellen, dass es in der Kirche auch heute neben den schlechten Christenmenschen ebenso viele, wenn nicht mehr, gute und heilige gibt.

Die Anklage der Donatisten zielt direkt auf die moralische Integrität der einzelnen Priester ab. Nur wer rein und ohne Sünde ist, darf gültig die Sakramente spenden. Wie reagiert Augustinus darauf?

Tatsächlich glaubten die Donatisten, dass die Wirksamkeit der Sakramente von der Heiligkeit der Priester abhing. Wenn ein Diener Gottes wegen seiner Sünden nicht vom Heiligen Geist erfüllt ist, kann er nicht andere heiligen, weil niemand etwas weitergeben kann, das er gar nicht hat, lautet ihre Theorie. Für Augustinus aber ist es Christus selbst, der in den Sakramenten wirkt und heiligt, auch wenn er sich dabei eines Priesters bedient: „Der Heilige Geist ist somit aktiv im Diener Gottes gegenwärtig. Auch wenn dieser ein Heuchler ist, wirkt der Geist durch ihn sowohl das ewige Heil als auch die Wiedergeburt oder die Erbauung jener, die geweiht oder unterrichtet werden.“ (Wider den Brief des Parmenianus II, 11, 24). Im Kommentar zum Johannesevangelium (Traktat 6, 7) sagt er es klar und deutlich: „Sollte Petrus taufen, so wäre es Christus, der tauft; sollte Judas taufen, so wäre es Christus, der tauft.“

Nachdem ihnen die Argumente ausgingen, griffen die Donatisten Augustinus persönlich an und warfen ihm seine sündige Vergangenheit vor. Der Bischof von Hippo schämte sich nicht zu antworten, ja er spaltete sogar seine Widersacher. Augustinus erscheint zwar bedrückt, macht dem Bösen gegenüber aber keine Kompromisse und strahlt ruhige Entschlossenheit aus, denn er ist sich sicher, dass Christus in ihm siegen wird. Er erinnert stark an Papst Benedikt XVI. in diesem Moment …

Ja, es ist für uns sehr schmerzlich mit ansehen zu müssen, wie Papst Benedikt XVI. wegen der pädophilen Priester beleidigt und angegriffen wird. Er, der wegen dieser Verbrechen gelitten und sie wie kein zweiter verurteilt hat. Die Situation von Augustinus war aber eine andere. Weil er gegen das Schisma kämpfte, wurde er von den Donatisten seiner eigenen Jugendsünden wegen angeklagt. „Wer bist du überhaupt“, warf einer ihm vor, „dass du so über uns herziehst?“ Augustinus machte keinen Hehl aus seinen alten Vergehen, zumal er diese bereits öffentlich in seinen Bekenntnissen verurteilt hatte. Er konnte daher erwidern: „Meinen Sünden gegenüber bin ich strenger als du: Die von dir gerügten Taten habe ich verurteilt. Möge der Himmel bewirken, dass du es mir nachtust und endlich auch dein Verfehlen Vergangenheit werde.“ (Kommentar zu Ps. 36, disc. III, 19) Der Papst allerdings muss für Verbrechen gerade stehen, die er nicht selbst begangen und die er bekämpft hat. Diese Situation ist noch bedrückender und daher auch für uns viel schmerzlicher. Es ist die Verurteilung eines Unschuldigen durch die Massenmedien.