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Thema/Gemeinsam mit Petrus
„Angesichts dieser Tränen habe ich einen Vater wiedergefunden“
Alessandra Buzzetti

Das Treffen mit den Opfern und die Tränen des Papstes in Malta haben alle beeindruckt. Was geschah danach? Wir haben die Protagonisten gefragt, die erzählen, warum sie zum ersten Mal „denen vergeben können, die ihnen so viel Schmerzen zugefügt haben“.

„Als ich den Papst weinend vor mir sah, fragte ich mich: warum leidet er so sehr für etwas, wofür er gar keine Schuld trägt? Von diesem Moment spürte ich einen großen Frieden in mir. Erstmals dacht ich, dass ich dem vergeben könnte, der mir so viel Schmerzen zugefügt hat.“
Joseph Magro, hat soeben die Apostolische Nuntiatur von Rabat auf Malta verlassen, wo er Benedikt XVI. zusammen mit sieben anderen Missbrauchsopfern getroffen hat. Um den Hals trägt der 38-jährige Vater von vier Kindern einen weißen Rosenkranz mit dem Wappen Benedikts. Neben Joseph steht Manuel, auch er trägt über der Krawatte eine Kette mit dem Antlitz Christi. Auch er ist fast 40 Jahre alt, hat zwei kleine Kinder und ist noch geprägt von den Wunden des erlittenen Missbrauchs. Er war noch ein Kind, als sich einige Ordensbrüder im Haus des Heiligen Joseph an ihm vergingen. Es geschah in einem Pflegeheim nur wenig Kilometer außerhalb von La Valletta.
„Der Papst hat meine Hände genommen, sie ganz fest gedrückt und ich habe verstanden, wie sehr er in dem Moment gelitten hat“, erzählt uns Manuel. „Ich habe ihm gesagt, dass es mir sehr leid für ihn tut, dass er nichts mit diesen Ereignissen zu tun hat, dass ich die Kirche liebe und für jene leide, die sie so beschmutz haben, im Namen Jesus Christus!“
Das sind die Worte des kurzen persönlichen Gesprächs zwischen Manuel und Benedikt XVI. Der Papst ist um die Mittagszeit angekommen, nach der Messe mit den Katholiken Maltas und sichtlich erschöpft. Aber trotzdem entschieden, die Erwartungen der acht Männer nicht zu enttäuschen, deren Kindheit und Unschuld von einigen Priestern missbraucht wurde.
Das Treffen in einer Kapelle beginnt mit einem gemeinsamen Gebet, bevor der Papst sich jedem persönlich widmet.
Manuel ist bestürzt und kann die Tränen nicht unterdrücken, während er den demütigen Blick von Benedikt XVI. beschreibt, von dem er sich so sehr umarmt gefühlt hat, dass er nach langer Zeit den Eindruck hat, das Selbstvertrauen wiedergewinnen zu können. „Er sagte mir, dass er mir glaubte, dass er Vertrauen in mich habe“, wiederholt er ununterbrochen.

Eine mutige Geste. Manuel ist ein erfundener Name. Die Anonymität, erklärt er uns, besteht, um die 7 und 9 Jahre alten Töchter zu beschützen, um ihnen nicht das Gewicht einer Geschichte aufzubürden, die er 13 Jahre lang versuchte zu verdrängen. Er hatte sie niemandem erzählt, nicht einmal seiner Frau.
So auch Joseph, der zehn Jahre lang im Haus des Heiligen Joseph gelebt hat und zwei Jahre lang, von 1988 bis 1990, Objekt der Perversionen eines Priesters war. Derselbe Priester zelebrierte auch 1995 die Trauung.
„Es ist schwierig das zu erklären“, erzählt Joseph. „Für uns Jugendliche, ohne Eltern, war dieser Priester wirklich wie ein Vater. Ich habe das Institut mit 18 verlassen und es war er, der für mich damals eine Arbeit gefunden hat. Das hat er auch für viele andere getan. Aber jeder von uns dachte, der einzige Junge zu sein, den er missbrauchte.“
Ein Geheimnis, das niemandem anvertraut werden konnte, vor allem nicht von einem zerbrechlichen Jungen, von dem das Leben schon so viel gefordert hatte: von den Eltern verlassen und an eine Umgebung gewohnt, in der man um jedem Preis seinen Namen und Anschein retten musste.
Bis 2003, als Lawrence Grech, auch er Opfer der Gewalt im Josephshaus, sich dazu entschied Anklage zu erheben, um nicht noch mehr Schmerz zuzulassen.
Der Prozess ist immer noch im Gange. Er wurde mehrfach verzögert und verschoben. Nach dem öffentlichen Appell der Bischöfe Maltas, die pädophilen Priester anzuklagen, aber vor allem nach dem Treffen des Papstes mit den Hauptzeugen der Anklage, haben sich noch andere Opfer gemeldet.
Ein paradoxes Ergebnis des großen Mediendrucks der letzten Monate? Oder Frucht einer Möglichkeit, die bisher verdrängten Wunden endlich wirklich anschauen zu können? Eine Möglichkeit, die durch die mutige Geste eines Papstes entsteht, der die Wahrheit nicht fürchtet und sich die Schuld anderer aufbürdet, indem er der Welt das Antlitz Christi vorzeigt, der als Einziger die Wunden heilen kann?

Derselbe Name. „Ich habe mich geheilt gefühlt, weil ich einen Heiligen getroffen habe“, antwortet Joseph ohne zu zögern. „Der Papst ist ganz anders, als man ihn im Fernsehen sieht oder wie ihn die Zeitungen beschreiben. Er ist demütig und einfühlsam, ruhig, aber leidend. Als ich ihm sagte, wie ich heiße, ist er sofort zusammengefahren, weil wir denselben Namen haben. Ich habe ihn das gefragt, was mir am meisten am Herzen lag: Wie konnten mir diese Priester das antun? Der Papst sagte mir, dass er keine Antwort darauf hätte, dass es ein Geheimnis sei, weil diese Menschen vor Gott ihre Treu geschworen haben. Er versicherte mir, dass er für mich beten werde. Es war ein unvergessliches Treffen.“
Eine lebendige Erinnerung, die für Joseph jeden Abend überraschend weitergeht, wenn er den Rosenkranz mit seinen zwei Kindern betet. Er gibt zu, dass er anfangs nicht einmal die Geheimnisse des Rosenkranzes kannte und auch vorher nie mit seiner Familie gebetet hatte. „Warum ich mich dazu entschlossen habe, den Rosenkranz zu beten? Wenn der Papst ihn mir geschenkt hat, dann weil er wünscht, dass ich ihn benutze!“, antwortet er. Einfach und direkt, wie ein Sohn, der seinen Vater wiedergefunden hat.